Detlef Schütz: Mittendrin

24.04.2014

1989 machte der Schriftsetzer Detlef Schütz von der Rostocker Ostsee-Zeitung ein Fernstudium in Leipzig; er wollte Ingenieur werden. Zwanzig Jahre später ist er Betriebsrat an "seiner" Zeitung und kämpft mit den Kolleginnen und Kollegen für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze und für die Pressevielfalt.

 

Detlef Schütz war Fernstudent in Leipzig, vor 20 Jahren. „Auf einmal war man mittendrin“, sagt er. „Demos, Sprechchöre: Wir sind das Volk. Aber ich sah auch die Bereitschaftspolizei. Wie wird das ausgehen?“

Schütz ist Schriftsetzer, Jahrgang 1956. Als Schüler ging er zum Ostsee-Druck in Rostock, traf alte Meister, die ihr Handwerk liebten. Gediegen wirkte das auf den Jungen. 1972 begann er die Lehre als Setzer. „Man hat uns noch Handsatz beigebracht, das lernt heute keiner mehr.“ Am ersten Tag schickte man ihn ins Büro, um einen Zettel auszufüllen: Dann bist du im FDGB. Unspektakulär. Später war die Gewerkschaft für ihn „Plan, Planerfüllung, Kennzahlen – eine Art Controlling. Brigadefeste und die Auszeichnung als Kollektiv der sozialistischen Arbeit.“

Nach einem Jahr Lehre hieß es: Sie werden Maschinensetzer. Detlef Schütz saß dann an der Maschine, schaffte bis zu 180 Zeilen pro Stunde. Das fasziniert ihn immer noch, auch wenn er längst Betriebsrat ist, und die Zeitung mit anderer Technik entsteht. Als Jungfacharbeiter verdiente er 600 bis 700 Mark im Monat. Und hatte Glück mit seinem Beruf: Während der 18 Monate Wehrdienst bei der Armee setzte man ihn als Setzer ein.

Danach bewarb er sich bei der Deutschen Seereederei. Wieder Glück: Man holte ihn auf das Luxusschiff „Völkerfreundschaft“, als „Schweizer Degen“, der Mann, der setzen und drucken kann. Er war zuständig für alles Gedruckte an Bord. Ein Job, um den viele in der DDR ihn beneideten: Ostseerundfahrten, mit Westdeutschen in die Karibik, mit schwedischen Gästen auf Mittelmeerkreuzfahrt. Mancher von der Mannschaft stieg schon in Göteborg ab. Detlef Schütz blieb: „Mein Heimathafen war Warnemünde. Draußen sah es zwar bunt aus, aber ich sah auch die, die vor den Läden die Hand ausstreckten.“ Ein exotisches Leben, doch manches war nicht anders als in der Druckerei. Auch an Bord wählte man eine Schiffsgewerkschaftsleitung, organisierte den Wettbewerb zwischen Maschine, Deck, Küche und „Kultur“ mit Bademeister, Kapelle, Filmvorführer. Eine eigene Welt.

Ende 82 verließ er sie. „Ich wusste, wenn du es länger machst, kommst du an Land nicht mehr klar.“ Und noch ein Grund: Meisterschule könntest du vertragen, dachte er. Er kehrte zum Ostsee-Druck zurück, wurde Meister, machte das Abitur nach und begann ein Ingenieur-Fernstudium an der Fachschule für Polygraphie in Leipzig. Jemand aus der Kaderleitung hatte ihn gefragt. Man könnte es versuchen... So klingt norddeutsche Begeisterung. Fernstudium bedeutete dann, immer eine Woche pro Monat in Leipzig zu sein, ab 1988.

Auch Detlef Schütz sagt „Wahnsinn“, wenn es um den Herbst 89 geht. „Wie die Geschichte Fahrt aufnahm! Jeder Tag brachte Neues. Bis März 90 dachte ich noch über eine andere DDR nach. Dass es mit dem Land nicht mehr so weitergeht, hatte ich im Gefühl.“

Er wurde Mitglied der IG Druck und Papier. Als die Betriebsratskollegen vom Weser-Kurier aus Bremen zum ersten Mal vor der Tür standen, wurde auf einer Versammlung bei Ostsee-Druck und Ostsee-Zeitung gerade diskutiert, wie es weitergeht – Übernahme durch Springer oder eigenständig bleiben? „Die Mehrheit entschied sich für Springer“, sagt Schütz. 50 Prozent übernahm Springer, die andere Hälfte die Lübecker Nachrichten. Innerhalb von Tagen hielt neue Technik Einzug, wurde Schütz` Fernstudium überflüssig. „Wir waren in einer anderen Zeit. Gutenberg war beerdigt. Ich kam in die Druckformenherstellung. Wir sahen uns zwei Tage in Lübeck die Plattenherstellung an, am dritten machten wir es hier selbst.“

Seit 2002 gehört Schütz zum Betriebsrat. Er war dabei, als Experten der Gewerkschaft Anfang der 90er die ersten Tarife für die neuen Bundesländer aushandelten. 2006 wurde in Rostock die neue Druckmaschine eingesetzt, an der nicht mehr 40 Leute, wie bisher, arbeiten konnten. „Mit Nettigkeit erreicht man nichts, das wussten wir schon. Wir haben also immer mit zehn Druckern und Helfern draußen gestanden und gestreikt, 14 Tage, im Februar. So haben wir eine Besetzung von erst 20 und jetzt 15 Leuten durchgesetzt“, sagt Schütz. „In Lübeck sind es nur drei pro Schicht. Da wird klar, wofür eine Gewerkschaft nötig ist: für Tarife, gegen Leiharbeit für fünf Euro und politisch gegen eine Gesellschaft, in der es immer weiter bergab geht.“

Die Springer-Beteiligung an der Ostsee-Zeitung wurde im Februar '09 an die Madsack-Gruppe verkauft. Das brachte neue Konflikte. So soll die Finanzbuchhaltung mit zwölf Kollegen ausgelagert werden, ihnen droht die Kündigung. Sechs könnten nach Leipzig ziehen, länger arbeiten, für 1000 Euro weniger. „Nicht mit uns“, sagt Schütz. Die Geschäftsführung erklärt, es gebe mit den Lübecker Nachrichten und der Ostsee-Zeitung zwei Verlage und eine Zukunft. „Richtig ist: Zwei Verlage und nur einer hat Zukunft“, kommentiert er. „Aber wir tun was. Mecklenburg-Vorpommern braucht eigene regionale Zeitungen. Seit 2007 haben wir eine Initiative dafür.“ Und falls die nächste Betriebsratswahl schiefgeht, steht Schütz wieder in der Plattenherstellung.

Text: Claudia von Zglinicki