Am 22. November 2000 hatten die geschäftsführenden Vorstände der ver.di-Gründungsgewerkschaften - der DAG, DPG, HBV, IG Medien und ÖTV - sowie der Vorstand der Gründungsorganisation ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft e. V. den Entwurf des Vertrages über die Verschmelzung zur ver.di aufgestellt.
Die Entscheidung über die Verschmelzung lag nun bei den Delegierten der außerordentlichen Gewerkschaftstage und -kongresse im März 2001.
Eine Grundlage zur Vorbereitung ihrer Entscheidung war der Verschmelzungsbericht der Vorstände der Gründungsgewerkschaften und der Gründungsorganisation ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft e. V. (Go-ver.di) vom November 2000, der neben dem Vertragsentwurf u. a. umfassende Informationen über die Gründungsgewerkschaften enthielt. Die Inhalte werden nachfolgend gekürzt wiedergegeben.
1949 fand in Stuttgart der Vereinigungsverbandstag der "Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr" statt. Damit war die Neugründung der Gewerkschaft ÖTV nach dem Zweiten Weltkrieg vollzogen. Ihre Geschichte reicht jedoch zurück bis ins Jahr 1896, als die Verbände der Handels-, Transport- und Verkehrsarbeiter sowie der Gemeinde- und Staatsarbeiter gegründet wurden. 1930 vereinigten sich diese Verbände mit denen der Gärtner und Berufsfeuerwehrmänner zum "Gesamtverband der Arbeitnehmer der öffentlichen Betriebe und des Personen- und Warenverkehrs" - dem größten Vorläufer der Gewerkschaft ÖTV.
Bei der Nachkriegsdiskussion um die Zuschnitte gewerkschaftlicher Organisationsfelder verlor die ÖTV die Zuständigkeit für die Beschäftigten der Post sowie die für die Handelsarbeiter. Ihrer Tradition entsprechend verstand sie sich als Einheitsgewerkschaft unter dem Dach des DGB und wurde Mitglied von ITF (International Transport Federation) und IÖD (Internationale des Öffentlichen Dienstes). Von Anfang an war sie mit rund 785 000 Mitgliedern (1951) die zweitgrößte Gewerkschaft im DGB. Sie gliederte sich damals in sieben Hauptfachabteilungen, die für die Förderung der beruflichen Interessen der Mitglieder zuständig waren.
Anfang der 50er Jahre begannen Verhandlungen über Manteltarifverträge. Erfolgreich abgeschlossen werden konnten sie für die Arbeiter/innen der Gemeinden 1953 (BMT-G), der Länder 1959 (MTL) und des Bundes 1960 (MTB). Mit dem Bundes-Angestelltenfarifvertrag (BAT) 1961 wurde ein weiteres maßgebliches Tarifwerk des öffentlichen Dienstes vereinbart.
Innerorganisatorische Reformdiskussionen, angestoßen vom Gewerkschaftstag 1988 in Hamburg, wurden nach dem Fall der Mauer im Jahre 1989 zurückgestellt. Die ÖTV sah sich in der Verantwortung, demokratische Kräfte beim Neuaufbau von Gewerkschaften zu unterstützen. Im Juni 1990 gründeten Vertreter/innen von Initiativen in Magdeburg die "ÖTV in der DDR". Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik am 3. Oktober 1990 erweiterte sich der Tätigkeitsbereich der Gewerkschaft ÖTV auf die neuen Bundesländer.
Nach mehr als sechs Jahren Diskussion kam es im September 1994 zur Organisationsreform der ÖTV. Die 41 Abteilungen und acht Hauptabteilungen wurden zu sechs Bereichen zusammengefasst.
Die neue Lage nach Auflösung des Ost-West-Gegensatzes, der Herausbildung der Europäischen Union sowie den Veränderungen im Dienstleistungssektor führten zu einer Annäherung von ÖTV und DAG. Im Juni 1994 schlossen sie eine Kooperationsvereinbarung, die mit einer gemeinsamen Erklärung im Oktober 1997 bekräftigt wurde.
Seit der Diskussion um die Organisationsreform und der Vereinbarung mit der DAG von 1994 wurde auch verstärkt über die gewerkschaftliche Neustrukturierung im Bereich der privaten und öffentlichen Dienstleistungssektoren debattiert. Diese Debatte führte dazu, dass die Delegierten des Gewerkschaftstages 1996 in Stuttgart dem geschäftsführenden Hauptvorstand den Auftrag erteilten, konkrete Bemühungen für einen Zusammenschluss von Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes im DGB einzuleiten.
Der Organisationsbereich der ÖTV war in Paragraf 2 ihrer Satzung sowie in einem der Satzung als Anhang beigefügten Organisationskatalog festgelegt. Der Organisationsbereich der ÖTV umfasste Dienstleistungen für die Allgemeinheit in öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Form, insbesondere öffentliche Dienste, den Transport und Verkehr, die Ver- und Entsorgungswirtschaft einschließlich der leitungsgebundenen Energieversorgung, die Gesundheits- und Sozialdienste, Einrichtungen der Infrastruktur und der Forschung und Entwicklung, Umweltschutzdienste sowie bestimmte private Dienstleistungsbereiche.
Der räumliche Tätigkeitsbereich der ÖTV erstreckte sich auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Er konnte auch Dienststellen, Betriebe und Zweigbetriebe aus dem Organisationsbereich im Ausland einschließen.
Mitglied konnte werden, wer im Organisationsbereich der ÖTV in einem Arbeits-, Dienst-, Amts- oder Ausbildungsverhältnis stand oder im Organisationsbereich der ÖTV arbeitslos geworden war. Das Gleiche galt für Studierende und für Arbeitslose, die als Schul-/ Hochschulabgänger/ innen eine Tätigkeit im Organisationsbereich der ÖTV anstrebten. Zivildienstleistende konnten Mitglied in der ÖTV werden, soweit sie in Betrieben bzw. Dienststellen im ÖTV-Bereich eingesetzt waren (Paragraf 4 der Satzung der ÖTV).
Die ÖTV bekannte sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Sie setzte sich ein für den Ausbau des sozialen Rechtsstaates und die weitere Demokratisierung von Wirtschaft und Verwaltung. Die ÖTV war unabhängig von Arbeitgeber/innen, Regierungen, Verwaltungen, politischen Parteien und Kirchen. Sie vertrat die wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und beruflichen Interessen ihrer Mitglieder. Vor allem war es ihre Aufgabe, die Lebens- und Arbeitsbedingungen durch Abschluss von Tarifverträgen und Einflussnahme auf die Gesetzgebung ständig zu verbessern sowie sich für die Vollbeschäftigung, ein umweltverträgliches wirtschaftliches Handeln und für die Gleichberechtigung aller Beschäftigten in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft einzusetzen. Die ÖTV arbeitete in der internationalen Gewerkschaftsbewegung mit. Sie trat ein für Völkerverständigung und Frieden. Diese Grundsätze und Aufgaben der Gewerkschaft ÖTV waren in Paragraf 3 der Satzung niedergelegt.
Die Leistungen, welche die Gewerkschaft ÖTV gegenüber ihren Mitgliedern erbrachte, wurden in Paragraf 9 der Satzung beschrieben.
Die ÖTV gewährte ihren Mitgliedern unter den in den Paragrafen 10 bis 16 der Satzung festgelegten Voraussetzungen auf Antrag folgende Leistungen:
Rechtsschutz,
Unterstützung bei Streik und Maßregelung,
Unterstützung bei Haft wegen gewerkschaftlicher Tätigkeit,
Unterstützung in außergewöhnlichen Notlagen,
Treuegeld,
Sterbegeld bei einem tödlichen Betriebs- oder Dienstunfall, Freizeitunfallversicherung.
Über diese in der Satzung festgelegten Leistungen hinaus gab es für die ÖTV-Mitglieder eine Reihe von Serviceangeboten, die regelmäßig in der Mitgliederzeitschrift "ÖTV-Magazin" publiziert wurden. Sie reichten von günstigen Versicherungsverträgen über Bildungs- und Kulturveranstaltungen bis hin zu preisgünstigen Angeboten aus der Konsum- und Dienstleistungswelt. Diese wurden über den ÖTV-Mitglieder-Vorteil-Service in Form einer GmbH organisiert.
Die Gewerkschaft ÖTV, die unabhängig von Arbeitgebern, Regierungen, Verwaltungen, politischen Parteien und Kirchen war (Paragraf 2 Nummer 2 der Satzung), finanzierte sich aus Beiträgen ihrer Mitglieder. Diese betrugen für beschäftigte Mitglieder ein Prozent des regelmäßigen Bruttoverdienstes. Bei Rentnern sowie bei Kranken, die nur Krankengeld bezogen, betrug der Beitrag 0,5 Prozent des regelmäßigen Bruttoeinkommens. Für Arbeitslose, Mitglieder ohne Arbeitseinkommen und Mitglieder, die wegen Arbeitsunfähigkeit ausgesteuert waren, betrug der Beitrag eine Mark. Im Jahr 1999 wurden von den Mitgliedern der Gewerkschaft ÖTV 473.361.500 Mark an Beiträgen entrichtet. Die Mitgliederzahl betrug zum Jahresende 1999 1.526.891. Im Dezember 1999 lag der monatliche Durchschnittsbeitrag aller Mitglieder bei 26,34 Mark. Die vollbeschäftigten Mitglieder zahlten in diesem Monat einen Durchschnittsbeitrag von 38,37 Mark und die teilzeitbeschäftigten Mitglieder 22,31 Mark. Ein Rentner entrichtete im Monat Dezember 1999 durchschnittlich 9,59 Mark an Beiträgen.
Nach Paragraf 23 Nummer 2a der Satzung wurde der Haushaltsplan für das Haushaltsjahr (Kalenderjahr) vom Hauptvorstand verabschiedet. Einen Entwurf der Haushaltsplanung hatte zuvor der geschäftsführende Hauptvorstand erstellt. Mit der Verabschiedung entschied der Hauptvorstand über die Art der Finanzierung und den Umfang, der den jeweiligen Organisationsebenen zur Verfügung stehenden Mittel. In diesem Rahmen konnten die Bezirks- und Kreisvorstände ihrerseits über die weitere Mittelverwendung beschließen.
Gemäß dem ÖTV-Finanzierungsmodell standen zuletzt 47 Prozent der Beitragseinnahmen für Personalkosten und 53 Prozent für Sachaufwendungen zur Verfügung.
Von den Personalkosten, deren Verteilung in einer Richtlinie des Hauptvorstandes geregelt war, konnten die Kreisverwaltungen 29,2 Prozent, die Bezirksverwaltungen 8,4 Prozent, die Hauptverwaltung 7,3 Prozent und die Zentralen Bildungsstätten 2,1 Prozent ausgeben.
Bei den Sachkosten standen 13 Prozent der Beitragseinnahmen für den DGB und die Mitgliedschaft in anderen, teilweise internationalen Organisationen zur Verfügung. Der Streikfonds wurde jährlich mit sechs Prozent der Beitragseinnahmen bedient. Die Kreisverwaltungen erhielten 19 Prozent der Beitragseinnahmen, die Bezirksverwaltungen fünf Prozent, die Hauptverwaltung neun Prozent und die Bildungsstätten ein Prozent, um hieraus ihre Sachaufwendungen zu finanzieren.
Für die Anlegung und Verwaltung der Vermögenswerte hatte die Gewerkschaft ÖTV eine Vermögensverwaltung in der Rechtsform einer GmbH gegründet. Die VVG (Vermögensverwaltungsgesellschaft) hatte ihren Sitz in Stuttgart und war im Handelsregister des Amtsgerichts Stuttgart eingetragen. Das Geschäftsjahr war das Kalenderjahr. Gesellschafter der VVG waren die sieben Mitglieder des geschäftsführenden Hauptvorstandes und die 16 Bezirksvorsitzenden der Gewerkschaft ÖTV. Eine Gewinnverteilung an die Gesellschafter war nach der Satzung der VVG ausgeschlossen. Geleitet wurde die VVG von zwei Geschäftsführern. 1999 setzte sich das Treuhandvermögen zu 65 Prozent aus Finanzanlagen, zu 29 Prozent aus Sachanlagevermögen (hauptsächlich Immobilien) und immateriellen Wirtschaftsgütern (Software) sowie zu sechs Prozent aus kurzfristigen Geldern und Forderungen zusammen.
Im Jahre 2000 arbeiteten bundesweit zirka 2.450 hauptamtlich Beschäftigte für die Gewerkschaft ÖTV auf allen Ebenen. Nach Beschäftigtengruppen unterteilt, waren dies 60 Wahlangestellte, 1.135 Sekretäre/innen, 1.053 Verwaltungsangestellte und 202 gewerbliche Arbeitnehmer/innen. Auf Vollzeitstellen umgerechnet waren bei der ÖTV 2.077 Beschäftigte hauptamtlich tätig. Von dieser Zahl ausgehend, arbeiteten 318 von ihnen auf der Hauptverwaltungsebene, 482 bei den Bezirksverwaltungen und 1149 bei den Kreisverwaltungen. 128 waren bei den Bildungsstätten tätig.
Die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten mit Ausnahme der Wahlangestellten wurden in kollektiven Verträgen geregelt, die zwischen dem geschäftsführenden Hauptvorstand und dem Gesamtbetriebsrat der ÖTV abzuschließen waren (Paragraf 32a Ziffer 1 der Satzung der ÖTV). Wirksam wurden sie, wenn der Beirat sie genehmigt hatte (Paragraf 32a Ziffer 2 der Satzung).
In Angelegenheiten, die die Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten mit Ausnahme der Wahlangestellten betrafen, hatten die Betriebsräte ein Mitbestimmungsrecht. Über das Betriebsverfassungsgesetz hinausgehende Rechte und Verfahrensregelungen wurden in freiwilligen Gesamtbetriebsvereinbarungen geregelt (Paragraf 32b Ziffer 1 der Satzung).
Die Gewerkschaft ÖTV hatte am 31. Dezember 1999 1.526.891 Mitglieder. Gemessen an den Mitgliederzahlen nahm sie damit innerhalb des DGB nach der IG Metall den zweiten Platz ein.
52,98 Prozent (808.967) der Mitglieder waren Angestellte, 42,95 Prozent (655.839) Arbeiter/innen und 4,07 Prozent (62.085) Beamte/innen.
An vollbeschäftigten Mitgliedern zählte die Gewerkschaft ÖTV 857.318. Teilzeitbeschäftigt waren 196.599 Mitglieder. Diese Zahl stieg Jahr um Jahr. In Ausbildung befanden sich Ende 1999 23.599 Mitglieder. Arbeitslos waren 133.701 Mitglieder. Die Rentnergruppe umfasste 230.251 Mitglieder. Schließlich hatte die ÖTV 85.423 sonstige Mitglieder (Schüler/innen, Student/innen, nicht berufstätige Mitglieder). In Prozentzahlen ausgedrückt heißt dies, dass 56,15 Prozent der Mitglieder Vollzeitbeschäftigte waren, 12,88 Prozent Teilzeitbeschäftigte und 1,55 Prozent sich in einer Ausbildung befanden. 15,08 Prozent der Mitglieder waren Rentner/innen, 8,76 Prozent arbeitslos und 5,59 Prozent sonstige Mitglieder.
Teilt man die Mitglieder nach Bereichen auf, so waren im Bereich Bund/Länder am 31. Dezember 1999 147.445 Mitglieder organisiert. Der Bereich Gemeinden zählte 300.204 Mitglieder. Der Bereich Gesundheitswesen und soziale Sicherung hatte 308.003 Mitglieder. Im Bereich Ver- und Entsorgung waren 150.780 Mitglieder organisiert. Der Bereich Verkehr umfasste 160.951 Mitglieder und der Bereich Besondere Dienstleistungen 36.250.
703.079 (46,05 Prozent) der Mitglieder waren Frauen und 823.812 (53,95 Prozent) Männer.
Zu Beginn des Jahres 2000 hatte die Gewerkschaft ÖTV 168 Kreisverwaltungen, 16 Bezirksverwaltungen und eine Hauptverwaltung. Ferner unterhielt sie sieben Bildungseinrichtungen.
Vorsitzende der ÖTV
1949 - 1964 Adolph Kummernuss
1964 - 1982 Heinz Kluncker
1982 - 1994 Dr. Monika Wulf-Mathies
1994 - 2000 Herbert Mai
2000 - 2001 Frank Bsirske