Gewerkschaften in Ost- und Westdeutschland arbeiten immer enger zusammen: mit Informationsbüros, Seminaren, Publikationen und Kooperationsabkommen. Die Zeit drängt, am 18. März wird gewählt, die Währungs- und Wirtschaftsunion soll im Juli beginnen. Die alten Inhalte und Strukturen haben ausgedient, doch das Volk wird nicht gefragt, welche neuen es für ein geeintes Deutschland will. Die DDR wird von der Marktwirtschaft westdeutscher Prägung überrollt und die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter lernen, gemeinsam Forderungen aufzustellen und gemeinsam dafür zu kämpfen.
1. März 1990
Das Beratungs- und Informationsbüro der Deutschen Postgewerkschaft (DPG) in Ost-Berlin, Neue Promenade 3, wird eröffnet. Es ist besetzt mit dem früheren stellvertretenden DPG-Vorsitzenden Klaus-Dieter Zemlin und dem Kieler Bezirkssekretär der DPG Rolf Johanning. In der Fläche werden fünf Referententeams eingesetzt, die ihre Kollegen aus der DDR auf Versammlungen in den Post- und Fernmeldeämtern beraten.
Ein Beraterstab von 15 Kolleginnen und Kollegen der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) arbeitet ab März in den Bezirksstädten der DDR. Ziel ist die Bildung einer einheitlichen Gewerkschaft ÖTV im vereinigten Deutschland. Leiter der Ostberliner Informationsstelle in der Kleinen Auguststr. 6 ist der frühere Pressesprecher des ÖTV-Bezirks Berlin, Werner Ruhnke.
1. bis 3. März 1990
Zum außerordentlichen Kongress des Schriftstellerverbandes der DDR kommen 500 Mitglieder, fast die Hälfte, in das Kulturhaus des VEB Elektrokohle in Berlin-Lichtenrade. Auch ausgebürgerte und aus dem Verband ausgeschlossene Autoren sind eingeladen. Der Verband will die Vergangenheit überwinden und neu beginnen. Der Kongress beschließt eine neue Satzung und einen neuen Namen,"Deutscher Schriftstellerverband" (DSV), und wählt einen neuen Vorstand mit dem Vorsitzenden Rainer Kirsch. Stellvertreter sind Joachim Walther und Bernd Jentzsch, einer der ausgeschlossen worden war. Eine Geschichtskommission soll die Vergangenheit des Verbandes aufarbeiten; ihr Vorsitzender ist Heinz Kahlau. Der Beschluss zur Auflösung des DSV zum 1. Januar 1991 soll erst nach einem Mitgliederentscheid wirksam werden.
2. März 1990
In Leipzig gründen 100 Delegierte aus 20 sächsischen Betrieben den Landesverband Sachsen der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG), den ersten in der DDR. Sie verabschieden eine Satzung und wählen einen Vorstand. Bis Ende des Monats folgen die DAG-Landesverbände Sachsen-Anhalt und Thüringen.
2. und 3. März 1990
Auf der außerordentlichen Zentraldelegiertenkonferenz der IG Druck und Papier in Ost-Berlin beschließen die 262 Delegierten, die 150 000 Mitglieder vertreten, eine neue Satzung und neue Strukturen für ihre Organisation, die "selbständige, freie und unabhängige Industriegewerkschaft im Dachverband des FDGB". Ziel ist die Bildung einer Mediengewerkschaft der DDR zusammen mit der Gewerkschaft Kunst und dem Verband der Journalisten (VDJ). Werner Peplowski, der bisherige Vorsitzende, wird wieder gewählt.
6. März 1990
Die Volkskammer der DDR verabschiedet das Gewerkschaftsgesetz.
Der Bezirksvorstand Frankfurt der der Berufsvertretung Feuerwehr in der Gewerkschaft der Volkspolizei (GdVP) ruft auf zur Bildung einer Gewerkschaft ÖTV in der DDR, "um die Gewerkschaftsunion zu schaffen". Die geplante Wirtschafts- und Währungsunion müsse durch eine Sozialunion ergänzt werden.
7. März 1990
Der DGB-Bundesausschuss verabschiedet eine "Entschließung zur deutschen Einheit", in der er sich dazu bereit erklärt, den Aufbau freier und unabhängiger Gewerkschaften in der DDR zu fördern.
9. März 1990
Der Deutsche Gewerkschaftbund (DGB) und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) veröffentlichen eine gemeinsame Erklärung zu einer einheitlichen Wirtschafts- und Sozialordnung in beiden deutschen Staaten. Darin begrüßen sie das Angebot der Bundesregierung und bekräftigen ihre Einschätzung, dass es nach dem "Zusammenbruch der DDR" wirtschafts- und sozialpolitische Fortschritte nur im Rahmen einer marktwirtschaftlichen Ordnung geben könne. Gemeint sind damit insbesondere die freie Preisbildung und die freie Aushandlung der Lohn- und Arbeitsbedingungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern im Rahmen staatlich garantierter Tarifautonomie.
10. März 1990
In Schneeberg gründen Delegierte der Berufssoldaten der NVA und der Grenztruppen der DDR die Gewerkschaft der Armeeangehörigen (GDAA). Seit 1949 konnten Berufssoldaten keine Gewerkschaftsmitglieder sein. Erst die Vereinbarung zwischen der Gewerkschaft der Mitarbeiter der Staatsorgane und der Kommunalwirtschaft (MSK)und dem Ministerium für Innere Angelegenheiten vom 15. Januar 1990 ermöglicht ihnen, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Die neue Gewerkschaft wird Mitglied im Gewerkschaftlichen Dachverband FDGB. Vorsitzender ist Martin Reißmann.
10. und 11. März 1990
In der Gewerkschaftshochschule in Bernau bei Berlin wird auf einer außerordentlichen Zentral-Delegiertenkonferenz die Deutsche Post-Gewerkschaft im FDGB gegründet. Sie ist aus der IG Transport und Nachrichtenwesen im FDGB hervorgegangen, die sich in die drei selbständigen Gewerkschaften für Transport, Eisenbahn und Post aufgeteilt hat. Etwa 130 000 Beschäftigte und 40 000 Rentnerinnen und Rentner gehören der neuen Gewerkschaft an. Die Delegierten beschließen eine neue Satzung und ein Aktionsprogramm. Peter Praikow wird Vorsitzender, Uta Pech stellvertretende Vorsitzende; beide waren Hauptamtliche in der IG Transport und Nachrichtenwesen. Der stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Postgewerkschaft im DGB Albert Stegmüller begrüßt die Gründung und bietet eine weitreichende Zusammenarbeit an.
"Eine 'Deutsche Postgewerkschaft' im FDGB gegründet" in: Deutsche Post Nr. 6 vom 20. März 1990, S. 12f. (pdf-datei) mehr...
14. März 1990
Die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) entwickelt einen Zeitplan für die Bildung einer einheitlichen Gewerkschaft in einem vereinten Deutschland. Im März führt sie dazu erste Gespräche mit der Gewerkschaft der Mitarbeiter der Staatsorgane und der Komunalwirtschaft (MSK) - am 13. März 1990 umbenannt in Gewerkschaft Öffentliche Dienste (GÖD) -, über die Zusammenarbeit in den Bereichen Banken, Sparkassen, Versicherungen, Wohnungswirtschaft, Reisebüro/Touristik und anderen Dienstleistungsbereichen.
Beschäftigte aus Bereichen des öffentlichen Dienstes, des Transports- und des Verkehrswesens rufen auf zur Gründung einer Gewerkschaft ÖTV in der DDR. Sie glauben nicht an die Reform der alten FDGB-Gewerkschaften und wollen stattdessen die Gründung einer neuen Organisation.
Mitte März treffen sich erstmals Kolleginnen und Kollegen aus Ost und West zum gemeinsamen Seminar und Gedankenaustausch im Bildungs- und Beratungszentrum der ÖTV in Berlin (BBZ), der neuen Begegnungsstätte für Gespräche und vor allem Schulungen zur Qualifizierung der Kolleginnen und Kollegen in der DDR.
14./15. März 1990
Der Hauptvorstand der IG Medien beschließt die Einrichtung eines Kontaktbüros in Berlin-Ost zur Informationsvermittlung und Beratung über gewerkschaftliche Interessenvertretung für Gewerkschafter und Verbandsmitglieder der IG Druck und Papier, der Gewerkschaft Kunst, des Verbandes der Journalsiten (VDJ) und des Schriftstellerverbands.
15. März 1990
Die IG Medien - Druck und Papier, Publizistik und Kunst und die IG Druck und Papier der DDR schließen einen Kooperationsvertrag und einen Gegenseitigkeitsvertrag ab. Wesentliche Inhalte betreffen die gegenseitige Information und Konsultation in allen sich im Medien- und Kulturbereich ergebenden Fragen, regelmäßige gemeinsame Sitzungen der Geschäftsführenden Vorstände, gemeinsame Bildungsveranstaltungen, enge Zusammenarbeit der betrieblichen Interessensvertretungen und gegenseitig Unterstützung bei Arbeitskämpfen. Außerdem wird festgelegt, für welche Bereiche die Landesbezirksvorstände der IG Medien im Bereich der DDR betreuend tätig werden sollen.
19. März 1990
Die außerordentliche Delegiertenkonferenz der Gewerkschaft Kunst tagt im Haus des FDGB am Märkischen Ufer in Ost-Berlin. Die Delegierten beschließen eine neue Satzung, geben sich einen neuen Namen - Gewerkschaft Kunst, Kultur, Medien - und wählen einen neuen Vorstand. Vorsitzende wird Ruth Martin.
Die IG Medien und die Gewerkschaft Kunst, Kultur, Medien schließen einen Kooperationsvertrag, der im wesentlichen dem zwischen IG Medien und IG Druck und Papier entspricht.
20. März 1990
Die IG Medien eröffnet ein Kontaktbüro im Haus des Zentralvorstandes der Gewerkschaft Kunst, Kultur, Medien in der Fritz-Heckert-Str. 70 in Ost-Berlin. Besetzt wird das Büro zunächst mit erfahrenen Kollegen, die sich bereits im Ruhestand befinden. Bis zum 12. April sind dies der frühere Vorsitzende des Südwestdeutschen Journalistenverbands (SWJV), Erich Bottlinger, und der ehemalige stellvertretende Landesbezirksvorsitzende der IG Druck und Papier Baden-Württemberg, Karl Holzmann.
Später wird Dieter Haas, Bezirkssekretär der IG Medien Köln, Leiter des Koordinierungsbüros und nach ihm bis zur Auflösung des Büros am 31. Oktober 1991 Holger Menze, Schulleiter des Instituts für Arbeitnehmerbildung in Lage-Hörste.
21. März 1990
In Brannenburg unterzeichnen die Vorsitzenden der beiden deutschen Postgewerkschaften, Kurt van Haaren und Peter Praikow, ein Kooperationsabkommen, das das Zusammenwachsen der Organisationen fördern soll. Ziel ist eine einheitliche Deutsche Postgewerkschaft.
27. März 1990
Auf einer Sitzung des Zentralvorstandes der Gewerkschaft Handel, Nahrung und Genuß (HNG) der DDR stellt Lorenz Schwegler, der Vorsitzende der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), die Beschlüsse der HBV zur Bildung einer einheitlichen Gewerkschaft für ein vereintes Deutschland vor. Die HBV will die demokratische Erneuerung der HNG unterstützen und mit ihr gemeinsame Kommissionen und Arbeitsgruppen bilden mit den Zielen einer Gewerkschaft Handel in der DDR ab September 1990 sowie später einer einheitlichen Gewerkschaft HBV in einem vereinten Deutschland.
29. März 1990
Die ÖTV-Vorsitzende Monika Wulf-Mathies fordert eine umfassende Reform des öffentlichen Sektors der DDR. Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie sowie Arbeitgeberverbände nach dem Muster der BRD seien unverzichtbar. Auch eine schrittweise Annäherung an Tarifniveau und Tarifstruktur der BRD sei dringend notwendig.
31. März 1990
Auf dem Gründungskongress des Arbeitslosenverbandes der DDR (ALV) im Haus der Gewerkschaften in Ost-Berlin werden Statut und Programm verabschiedet. Präsident wird Dr. Klaus Grehn. Im April beginnen die Beratungen der Arbeitslosen durch Ehrenamtliche in Räumen der Gewerkschaften