Mai 1990

24.04.2014

Der Weg zu einheitlichen deutschen Gewerkschaften wird ohne den alten FDGB fortgeführt. Die Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften und ihr Sprecherrat bestimmen im Osten nun den zukünftigen Weg. Der wird inzwischen immer konkreter und durch Vereinbarungen gesichert. Die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion ab Juli zwingt zu raschem Handeln auch bei den Tarifverhandlungen.

 
ötv magazin extra, Sonderausgabe für die DDR, Mai 1990

1. Mai 1990
Das Motto der DGB-Gewerkschaften zum Tag der Arbeit: "100 Jahre 1. Mai. Solidarität sichert unsere Zukunft".
Auf der zentralen Mai-Veranstaltung der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft in Braunschweig sind mehrere hundert Mitglieder der DAG aus der DDR mit dabei. Im Mittelpunkt der Ansprachen stehen ihre Sorgen und Nöte und die Probleme der DDR insgesamt. Das Motto der DAG zum 1. Mai: "Deutschland in Europa, frei, sozial und einig".
Zum ersten Mal seit 44 Jahren gibt es in Berlin wieder eine gemeinsame Mai-Kundgebung der Gewerkschaften aus Ost- und Westberlin mit 60 000 feiernden Menschen vor dem Reichstag.

 
Wortlaut des Beschlusses in: Kontrapunkt 11/1990, S. 27

2. Mai 1990
Der Gewerkschaftsrat der IG Medien beschließt den Weg zur "IG Medien D": "Zum Aufbau einer einheitlichen IG Medien in beiden deutschen Staaten". Gäste der Sitzung sind Vorstandsmitglieder der drei beteiligten Organisationen aus der DDR:

4. Mai 1990
Der FDGB fordert, mit Beginn der Währungsunion am 1. Juli 1990 den durchschnittlichen Nettolohn um 50 Prozent zu erhöhen und die Wochenarbeitszeit auf 38 Stunden zu verkürzen.
Vor 60 Jahren wurde die Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) - heute die Gewerkschaftshochschule des FDGB "Fritz Heckert" - in Bernau eröffnet. Anlässlich des Jahrestags bilden zahlreiche Persönlichkeiten aus der BRD, der DDR und West-Berlin die Vereinigung zur Bewahrung des Gebäudes, des Hannes-Meyer-Baus.

8. Mai 1990
Bei einem Treffen in West-Berlin erklären der Generalsekretär der CDU in der DDR, Martin Kirchner, und der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Ernst Breit, der FDGB sei für sie kein Verhandlungspartner mehr.

9. Mai 1990
Auf Antrag der IG Transport beschließen die Vorsitzenden der zwanzig Einzelgewerkschaften in der DDR die Auflösung des FDGB, setzen den gewählten Vorstand ab und wählen aus ihren Reihen einen Sprecherrat, der die Organisation vertritt: Peter Rothe von der Gewerkschaft der Eisenbahner, Marianne Sandig von der Gewerkschaft Land, Nahrungsgüter und Forst und Peter Praikow, Vorsitzender der Deutschen Postgewerkschaft.

10. Mai 1990
Der Sprecherrat der DPG-Gewerkschaftsjugend konstituiert sich. Vorausgegangen waren zahlreiche Versammlungen und Aktionen der DPG-Jugend und der Initiativgruppe "Gewerkschaftsjugend" im Dachverband FDGB, so z. B. die Informationsrundreise mit dem knallroten DPG-Bus über die Betriebsschulhöfe der DDR.

10. und 11. Mai 1990
Der Vorsitzende des Sprecherrats, Peter Rothe, und der DGB-Vorsitzende Ernst Breit vereinbaren in Düsseldorf eine enge Zusammenarbeit und plädieren für eine unabhängige Einheitsgewerkschaft für ganz Deutschland.
Der Vorsitzende der IG Transport der DDR, Karl-Heinz Biesold, ist zur Hauptvorstandssitzung der ÖTV nach Stuttgart eingeladen, um den Standpunkt seiner Gewerkschaft zur gemeinsamen künftigen Arbeit zu erläutern. Er berichtet vom konsequenten Aufbau demokratische Strukturen in den Betrieben, von Vertrauensleutewahlen und der Vorbereitung von Betriebsratswahlen. Wichtigstes Ziel aber sei, so Biesold: "eine einheitliche starke ÖTV zu bilden".
Der Hauptvorstand der ÖTV beschließt, nicht nur Kooperationsverträge mit Gewerkschaften in der DDR abzuschließen, sondern auch die Gründung einer Gewerkschaft ÖTV der DDR zum 9. Juni 1990 zu unterstützen. Ziel der Kooperationen ist die zügige Vereinigung mit der ÖTV.

 
ötv-magazin 6/90, S. 18

11. Mai 1990
Initiativgruppen zur Gründung der Gewerkschaft ÖTV in der DDR in Magdeburg gründen die Gewerkschaft ÖTV in Magdeburg. Vorsitzender wird Robert Knauth aus dem Bereich Gesundheitswesen.

15. Mai 1990
Die Vorsitzende der ÖTV, Monika Wulf-Mathies, fordert Bundeskanzler Helmut Kohl in einem Schreiben auf, klarzustellen, dass die Tarifautonomie im öffentlichen Dienst der DDR mit dem Staatsvertrag zur Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion, insbesondere Artikel 29,  nicht beschnitten werde.

17. Mai 1990
Vertreter der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) und der Gewerkschaft Öffentliche Dienste (GÖD) der DDR  treffen in Hannover mit dem Arbeitgeberverband des privaten Bankgewerbes und dem Arbeitsausschuss der DDR-Banken und -Sparkassen zur ersten deutsch-deutschen Tarifrunde in Hannover zusammen. Ziel ist eine Tarifvereinbarung noch vor dem 1. Juli 1990.

18. Mai 1990
In Bonn unterzeichnen die Finanzminister Theo Waigel (BRD) und Walter Romberg (DDR) den Staatsvertrag zur Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion; er tritt am 1. Juli in Kraft. Der Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft bedeutet das Ende für die nicht konkurrenzfähigen Betriebe in der DDR. Massenarbeitslosigkeit droht. Die Gewerkschaften versuchen das Schlimmste zu verhindern.
Auf die Übertragung der Arbeitsrechtsordnung der Bundesrepublik auf das Gebiet der DDR antworten die Gewerkschaften mit

  • der Aufnahme von Tarifverhandlungen mit dem Ziel materieller und beschäftigungspolitischer Erfolge für die Beschäftigten in der DDR,
  • dem Aufbau leistungsfähiger Strukturen im Bereich der Arbeitsverwaltung und Sozialversicherung einschließlich ihrer Selbstverwaltungsorgane und
  • die Einrichtung von Interessensvertretungen auf betrieblicher Ebene.

 
ötv-magazin 6/90, S. 15

20. bis 26. Mai 1990
Der 14. Bundeskongress des DGB in Hamburg verabschiedet eine Entschließung zur deutschen Einheit und verlangt, die Verfassung des vereinigten Deutschlands in einem Volksentscheid zur Abstimmung zu stellen. Unter den Vertretern der ausländischen Gewerkschaften sind auch die Vorsitzenden der Gewerkschaften und Industriegewerkschaften der DDR; in ihrem Auftrag spricht der Vorsitzende des Sprecherrats, Peter Rothe, auf dem Kongress. Der Vorsitzende Ernst Breit kandidiert aus Altersgründen nicht mehr; Nachfolger wird der Vorsitzende der IG Bergbau und Energie, Heinz-Werner Meyer.

21. Mai 1990
Die ÖTV, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und die Gewerkschaft Wissenschaft verabreden eine enge Kooperation. Ziel ist neben der Unterstützung der Gewerkschaft Wissenschaft vor allem in Fragen des Arbeits- und Tarifrechts, der Mitbestimmung und Personalvertretung die Vorbereitung der Vereinigung der Gewerkschaft Wissenschaft mit der ÖTV und der GEW nach den Organisationsprinzipien der Gewerkschaften in der Bundesrepublik.

28. Mai 1990
Die Delegierten des außerordentliche Gewerkschaftstags der Gewerkschaft Kunst, Kultur, Medien in Ost-Berlin beschließen Forderungen zur Tarifpolitik und die möglichst rasche Fusion mit der IG Medien. Die Vorsitzende der Gewerkschaft, Ruth Martin, betont: "Der Staatsvertrag zwingt uns zu einer völlig neuen Orientierung in der Gewerkschaftsarbeit." Die Vorsitzenden der IG Druck und Papier und des Verbandes der Journalisten (VDJ) erklären die Bereitschaft ihrer Organisationen, ebenfalls entsprechende Beschlüsse zu fassen, damit der Anschluss an die IG Medien rasch erfolgen kann.
Ruth Martin und Erwin Ferlemann, der Vorsitzende der IG Medien, erklären auf einer gemeinsamen Pressekonferenz, die Vereinigung werde nun zügig und partnerschaftlich angegangen.

 
ötv-magazin 7-8/90, S. 15


30. Mai 1990
Die Gewerkschaft ÖTV und sechs Gewerkschaften der DDR,

schließen eine Vereinbarung "Auf dem Weg zur geeinten ÖTV" mit dem Ziel, die Gewerkschaftseinheit zum 1. November 1990 herzustellen. Die Vorstände der sechs Gewerkschaften der DDR empfehlen deshalb ihren zentralen Delegiertenkonferenzen zu beschließen, dass ihre Mitglieder zum 1. November 1990 der ÖTV beitreten und die Vorstände die satzungsgemäßen Voraussetzungen für die Gewerkschaftseinheit vorbereiten sollen. Eine gemeinsame Kommission der sechs DDR-Gewerkschaften und der ÖTV soll das Verfahren regeln.

31. Mai 1990
Der Geschäftsführende Hauptvorstand der IG Medien beschließt Grundsätze für den Einsatz von ehren- und hauptamtlichen Kolleginnen und Kollegen aus der BRD beim Aufbau von Ortsvereinen in der DDR.