Die DDR steckt in der Krise, und die Gewerkschaften bleiben davon nicht unberührt. Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) hat ein Zehntel seiner Mitglieder verloren. Ein Ende der Austrittswelle ist nicht abzusehen. Harte Zeiten auch für die Gewerkschaftsfunktionäre der Einzelgewerkschaften.
6. Dezember 1989
Drei Tage nach der Verhaftung von Harry Tisch, dem ehemaligen FDGB-Vorsitzenden, wegen Schädigung des Volkseigentums und der Volkswirtschaft demonstrieren zweitausend Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter vor dem Gebäude des FDGB am Märkischen Ufer in Ost-Berlin gegen Korruption und Amtsmissbrauch, für Konsequenzen und Erneuerung der Gewerkschaften, aber auch für die Teilnahme des FDGB am "Zentralen Runden Tisch".
In West-Berlin beraten der Vorsitzende der IG Druck und Papier im FDGB, Werner Peplowski, und der Vorsitzende der IG Medien, Erwin Ferlemann, über die Erneuerung der DDR-Gewerkschaften und vereinbaren eine enge Zusammenarbeit ihrer Organisationen, die vor allem in Satzungsfragen und Tarifrecht dringend notwendig erscheint.
7. Dezember 1989
Die Gespräche des "Zentralen Runden Tisches" beginnen, mit dabei für den FDGB: Hartwig Bugiel, seit knapp zwei Wochen Vorsitzender der IG Metall, und Rainer Schramm, der BGL-Vorsitzende des VEB Elektrokohle Lichtenberg, der Ende Oktober in einer Fernsehdiskussion den damaligen FDGB-Vorsitzenden Harry Tisch aufgefordert hatte, die Vertrauensfrage zu stellen.
9. Dezember 1989
Wegen zahlreicher Vorwürfe des Missbrauchs von Gewerkschaftsvermögen und schleppender Umwandlung treten die Mitglieder des FDGB-Bundesvorstands gemeinsam zurück. Neues Führungsgremium ist das "Komitee zur Vorbereitung des außerordentlichen Kongresses" aus Vertretern der Einzelgewerkschaften und der mittleren und unteren Ebenen des FDGB. Sie wählen Werner Peplowski, den Vorsitzenden der IG Druck und Papier, zu ihrem Vorsitzenden.
10. Dezember 1989
Das neue Leitungsgremium des FDGB beschließt die "Erklärung für eine grundlegende Erneuerung des FDGB als Gewerkschaftsbund freier und unabhängiger Industriegewerkschaften und Gewerkschaften in der DDR". Neue Ziele der Gewerkschaftsarbeit sind:
15./16. Dezember 1989
Die 11. Tagung des Zentralvorstandes der IG Transport und Nachrichtenwesen beschließt, als ersten Schritt zur Neuformierung selbständiger Einzelgewerkschaften nach den Besonderheiten der in ihr vertretenen drei Bereiche Transport, Eisenbahn und Post für jeden eine eigene Gewerkschaft zu bilden.
Für die einzelnen Bereiche werden Arbeitssekretariate eingesetzt, die die konstituierenden Delegiertenkonferenzen vorbereiten:
19. Dezember 1989
Auf der Sitzung des Hauptvorstandes der Deutschen Postgewerkschaft (DPG) begrüßt der Vorsitzende Kurt van Haaren die Entwicklung in der DDR hin zu freien, unabhängigen und demokratischen Gewerkschaften und erklärt die Bereitschaft seiner Organisation, den gewerkschaftlichen Reformprozess in der DDR zu unterstützen. Die DPG registriere aufmerksam die Entwicklung im FDGB, auch die Entstehung neuer Gewerkschaftsformen. Vor allem der im Bereich des Post- und Fernmeldewesens tätigen IG Transport und Nachrichtenwesen gelte das besondere Interesse.
20. Dezember 1989
In "Leitlinien für den Kontakt mit DDR-Gewerkschaften" für die Arbeit der Kreis- und Bezirksverwaltungen der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) weisen Monika Wulf-Mathies und Willi Mück darauf hin, dass Kontakte zu den Spitzengremien des FDGB wegen des massiven Vertrauensverlustes bei den Mitgliedern wenig sinnvoll erscheinen. Gespräche zu Tarif- und Organisationsfragen sollten trotzdem geführt werden. Vor allem Begegnungen auf Orts- und Bezirksebene seien geeignet, gewerkschaftliche Ziele bekanntzumachen und Kräfte zu unterstützen, die eine freie, unabhängige Gewerkschaftsbewegung anstreben.