Kaum ist die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion in BRD und DDR Realität, da beginnen die Beratungen zum zweiten Staatsvertrag. In den Entwürfen dieses Einigungsvertrages und in zahlreichen Gesetzen der Volkskammer sind eklatante Verschlechterungen der sozialen Absicherung und der Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte in der DDR vorgesehen, gegen die nur gewerkschaftlicher Widerstand und gewerkschaftliche Einheit helfen. Sie muss nun rasch geschaffen werden.
1. Juli 1990
Um Mitternacht tritt der Staatsvertrag zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion in Kraft. Zahlreiche Tarifverträge konnten rechtzeitig abgeschlossen werden, um wirtschaftliche und soziale Härten zu verringern.
Die gewerkschaftliche Rechtsschutz- und Unterstützungseinrichtung für Werktätige aller Verkehrsberufe in der DDR, die traditionsreiche Fakulta, und die Gewerkschaftliche Unterstützungseinrichtung für Verkehrsberufe (GUV) im Deutschen Gewerkschaftsbund arbeiten ab heute eng zusammen. Beiträge, Leistungen und Aufgaben werden angeglichen. Möglichst rasch soll eine gemeinsame Organisation GUV/Fakulta ihre Arbeit aufnehmen.
4. Juli 1990
In einem Telegramm appelliert der Hauptvorstand der IG Medien an den Ministerpräsidenten der DDR, Lothar de Maizière, das im Ministerrat zur Beratung anstehende Rundfunküberleitungsgesetz nicht zu verabschieden. Bestehende Strukturen von Rundfunk und Fernsehen würden zerschlagen, zahllose Beschäftigte ihren Arbeitsplatz verlieren.
5. Juli 1990
Die DDR-Verleger verweigern bei den Gehaltstarifverhandlungen für die Angestellten und Redakteure der Zeitungs- und Zeitschriftenverlage in Berlin eine sofortige Erhöhung der Gehälter, obwohl seit dem 1. Juli zum Teil erhebliche Reallohnverluste durch höhere Sozialabgaben und Preissteigerungen hingenommen werden müssen.
6. Juli 1990
Die ersten Tarifverhandlungen für die Druckindustrie der DDR in Berlin beginnen mit einer herben Enttäuschung für die Vertreter der Arbeitnehmer, IG Druck und Papier und IG Medien, die in Tarifgemeinschaft verhandeln. Die Druckunternehmer erklären sich für nicht abschlussfähig. Sie könnten nur für bestimmte Teile der DDR sprechen und auch für diese hätten sie kein Mandat, Tarifverträge zu unterzeichnen. Nicht nur die Gewerkschaften, auch die Arbeitgeber in der DDR müssen sich an die neue Arbeitswelt anpassen und sich organisieren.
"Erste Tarifverhandlungen für die Druckindustrie in der DDR: Unternehmer sind nicht abschlußfähig" in: Kontrapunkt 15/1990. S. 16 (pdf-Datei) mehr...
7. Juli 1990
Auf dem außerordentlichen Fachgruppentag Theater, einer Fachgruppe in der Gewerkschaft Kunst, Kultur, Medien, fordern die Delegierten den frühestmöglichen Zusammenschluss zur IG Medien Deutschland. Sie beginnen schon jetzt mit der gemeinsamen, länderübergreifenden Fachgruppenarbeit. Der Ausbau der Organisation geht zügig voran, es gibt erste Landes- und auch Betriebsfachgruppen.
12. Juli 1990
Zu ersten informellen Gesprächen treffen sich in Ost-Berlin Vertreter der IG Medien mit Vertretern des Schriftstellerverbandes der DDR. Hauptthema ist die Streichung der Subventionen für den Schriftstellerverband. Daraus könnte sich die Auflösung des Verbandes ergeben, befürchten sie. Noch fehlt in der DDR ein Künstler-Sozialversicherungs-Gesetz. Die Gespräche werden am 16. Juli in Stuttgart fortgeführt.
In Leipzig, wo seit einigen Monaten der Landesbezirk NRW ein Kontaktbüro betreut, wird ein Ortsverein der IG Medien gegründet. Er ist zuständig für 17 000 Mitglieder. Das Motto für die Gewerkschaftsarbeit des neuen Ortsvereinsvorstandes: "Stark und kreativ - Helfen statt gängeln".
13. Juli 1990
Zehntausende Beschäftigte von HO-Filialen und Konsum folgen dem Aufruf der Gewerkschaft HBV in der DDR zu Protestkundgebungen gegen den konzeptionslosen Ausverkauf und die Zerschlagung des DDR-Handels durch das "Gesetz zur Entflechtung des Handels in den Kommunen" vom 6. Juli 1990. Ministerpräsident Lothar de Maizière sieht sich gezwungen, der HBV in der DDR und den Handelsorganisationen zuzusichern, dass sie an einer Verordnung zum Entflechtungsgesetz beteiligt werden. Sie können den Schaden immerhin begrenzen. Dennoch ist der Willkür der Kommunen zur Zerschlagung des DDR-Handels weiterhin Tür und Tor geöffnet; eine planvolle Überführung der Handelsketten und Tarifverhandlungen werden massiv behindert.
17. Juli 1990
Auf einer Protestkundgebung im Berliner Nikolaiviertel, zu der die Gewerkschaft Kunst, Kultur, Medien und der Schutzverband der Künstler der DDR aufgerufen hatten, fordern die Künstlerinnen und Künstler, Kunst müsse für alle Teile der Bevölkerung zugänglich und bezahlbar bleiben. Sie befürchten den Kahlschlag der DDR-Kultur, wenn die Künstler nicht endlich sozial abgesichert werden.
18. Juli 1990
Der Gewerkschaftsrat der IG Medien berät in Stuttgart durchaus kontrovers über die Entwicklung zur IG Medien "D", die durch die staatlichen Vorgaben und nicht genügend breite demokratische Diskussion in der Mitgliedschaft problematisch erscheint. Einigkeit besteht darüber, dass die Bedingungen des Zusammenschlusses von allen beteiligten Organisationen vertretbar und annehmbar sein muss.
19./20 Juli 1990
Der Hauptvorstand der IG Medien beschließt die Einberufung eines außerordentlichen Gewerkschaftstages am 25. und 26. Oktober in Fellbach und verabschiedet Anträge zum a. o. Gewerkschaftstag zu Änderungen und Ergänzungen der Satzung für den Aufbau einer IG Medien auf dem Gebiet der DDR. Der Hauptvorstand beschließt Forderungen zur Neugestaltung des Rundfunks in Deutschland, "Für einen offenen Rundfunk in einer demokratischen Gesellschaft", gegen die hektischen Bemühungen des DDR-Medienministers Gottfried Müller, mit einem Rundfunküberleitungsgesetz am Medienkontrollrat vorbei Fernsehen und Rundfunk der DDR in den Griff der Konservativen zu bekommen.
22. Juli 1990
Das Personalvertretungsgesetz für die DDR wird verabschiedet. Es bedeutet faktisch die Anwendung des Bundespersonalvertretungsgesetzes der BRD. Die Gewerkschaften in BRD und DDR arbeiten gemeinsam an der Vorbereitung der Wahlen, die im Oktober stattfinden sollen, und bieten Schulungen und Infomaterialien an.
25. Juli 1990
Die ÖTV übermittelt die Tarifforderungen für den öffentlichen Dienst in der DDR an den zuständigen Minister im Amt des Ministerpräsidenten der DDR, Klaus Reichenbach. Für die Verhandlung wurde eine gemeinsame Kommission gebildet aus der federführenden ÖTV sowie den DDR-Gewerkschaften ÖTV in der DDR, Gewerkschaft der Armeeangehörigen, Gewerkschaft Gesundheits- und Sozialwesen, Gewerkschaft Öffentliche Dienste (GÖD), Gewerkschaft Wissenschaft, Gewerkschaft der Zivilbeschäftigten der NVA und IG Transport. Die Gewerkschaften fordern rückwirkend zum 1. Juli um 350 Mark, mindestens aber 30 Prozent höhere Einkommen und einen Sozialzuschlag von 50 Mark je Kind, den Abschluss von Tarifverträgen über den Schutz von Arbeitsplätzen und Arbeitseinkommen und Verhandlungen zur Übernahme der Tarifstrukturen des öffentlichen Dienstes in der Bundesrepublik für die DDR.
26. Juli 1990
In Leipzig wird der erste Tarifvertrag für die Beschäftigten der Druckindustrie in der DDR abgeschlossen. In dem Pilotabschluss für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen wird die Lohnstruktur der BRD rückwirkend zum 1. Juli 1990 übernommen. Ab 1. Oktober 1990 betragen Löhne und Gehälter 50 Prozent vom jeweiligen BRD-Entgelt. Eine Mindestbruttolohnerhöhung von 250 DM sichert das Nettoeinkommen, das seit 1. Juli durch höhere Steuern und Sozialversicherungsbeiträge massiv geschrumpft war. Die Wochenarbeitszeit von 43,75 Stunden wird in einem ersten Schritt ab 1. Januar 1991 auf 42 Stunden, für Zweischichtarbeiter auf 40 Stunden verringert.
31. Juli 1990
In einer Sondersitzung verabschiedet der Hauptvorstand der DPG in Frankfurt am Main einen mit der DPG Berlin/DDR abgestimmten Zeitplan zur Zusammenführung. Für den 29. und 30. Oktober wird ein außerordentlicher Kongress nach Berlin einberufen.
10. August 1990
Die Tarifverhandlungen für alle Beschäftigten des öffentlichen Dienstes der DDR mit Ausnahme der Reichsbahn und der Post beginnen - zuerst über höhere Einkommen, sofort danach über den Schutz von Arbeitsplätzen und -einkommen, schließlich über ein schrittweises Angleichen der Tarifstrukturen.
23. August 1990
Am Tag des Beschlusses der Volkskammer über den Einigungsvertrag erklären die Unternehmer der Papier und Pappe verarbeitenden Industrie der DDR bei den Tarifverhandlungen in Leipzig, sie könnten erst nach umfassenden Untersuchungen in der Betrieben über die von den Gewerkschaften IG Druck und Papier und IG Medien geforderte Übernahme der Lohn- und Gehaltstarife, die in der BRD gelten, unter Berücksichtigung von 60 Prozent der westdeutschen Lohn- und Gehaltssätze verhandeln. Noch nicht einmal ein Nettolohnausgleich sei derzeit möglich.
29. August 1990
Rund 90 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der DDR legen für ein bis zwei Stunden die Arbeit nieder, zwei Drittel von ihnen in Ost-Berlin. Sie unterstützen damit die Forderungen ihrer Gewerkschaften bei den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst bereits zum dritten Mal, nach den Warnstreiks am 21. und am 27. August.