Nachdem Ministerpräsident Modrow seinen Plan zur nationalen deutschen Einheit verkündet hat, wird die Vereinigung von BRD und DDR auf der Grundlage der sozialen Marktwirtschaft energisch vorangetrieben. Die Gewerkschaften in Ost und West stellen sich auf die zu erwartenden Probleme ein. Ihr Weg: Gesetzesinitiativen, Informationsbüros, Schulungen und vor allem enge Zusammenarbeit. Das Ziel: einheitliche Gewerkschaften in einem vereinigten Deutschland.
1. Februar 1990
Am 2. Tag des FDGB-Kongresseswerden die Delegierten überrascht von der neuen Konzeption des Ministerpräsidenten Modrow "Für Deutschland, einig Vaterland". Die neugewählte FDGB-Vorsitzende Helga Mausch befürchtet den Ausverkauf der DDRals Folge einer überstürzten Vereinigung der beiden deutschen Staaten
4./5. Februar 1990
In Ost-Berlin wird die "Vereinigung der Opernchorsänger in der DDR" (VdO) in der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) in der DDR gegründet. Mehr als ein Drittel der Opernchorsänger der DDR tritt der neuen VdO bei. Zahlreiche weitere Berufsgruppen der DAG werden in den nächsten Wochen in der DDR gegründet.
8. Februar 1990
Der DGB empfiehlt die Einrichtung eines "Gesamtdeutschen Runden Tisches" von Regierungen, Gewerkschaften und Arbeitgebern. Auch die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG) fordert den runden Tisch zur Lösung der Herausforderungen und Aufgaben auf dem Weg zu einem einheitlichen Deutschland.
12. Februar 1990
Der Geschäftsführende Bundesvorstand des DGB beschließt die Einrichtung einer Verbindungsstelle in Berlin.
Werner Peplowski und weitere Vorstandsmitglieder der IG Druck und Papier der DDR sprechen mit dem Geschäftsführenden Hauptvorstand der IG Medien in Stuttgart über Kooperationsmöglichkeiten und verständigen sich auf eine enge Zusammenarbeit, u. a. Versand der Mitgliederzeitschriften in Betriebe der DDR, Betreuung und gegenseitige Unterstützung auf Landesbezirksebene, gemeinsame Seminare, sowie monatlicheTreffen der Geschäftsführenden Hauptvorstände.
Im Friedrichstadtpalast in Ost-Berlin gründen Künstlerinnen und Künstler die Fachgruppe Theater in der Gewerkschaft Kunst - es sind dieselben, die auch zu den Initiatoren der großen, bunten Demonstration am 4. November 1989 zählten. Im April soll eine ordentliche Delegiertenkonferenz ein Arbeitsprogramm verabschieden und einen Vorstand wählen.
14./15. Februar 1990
Auf seiner Sitzung fasst der Hauptvorstand der ÖTV wesentliche Beschlüsse zur Lage in der DDR. Durch ein umfassendes Engagement in der DDR will die ÖTV dazu beitragen, "den Reformprozess in der DDR zu stärken, der Resignation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entgegenzuwirken und Perspektiven für eine positivere wirtschaftliche und soziale Entwicklung in der DDR aufzuzeigen".
Ziel ist die Bildung einer einheitlichen ÖTV im vereinigten Deutschland. Das wird nicht einfach: Bisher sind die Beschäftigten, die in der DDR zum Organisationsbereich der ÖTV gehören könnten, in verschiedenen Gewerkschaften organisiert, die sich im Verlauf des Jahres zum Teil neu formieren oder auch erst gründen:
15. Februar 1990
Die ÖTV eröffnet eine erste offizielle Informationsstelle des Hauptvorstandes in West-Berlin zur Koordination der Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und Arbeitnehmerorganisationen in der DDR. Leiter der Informationsstelle ist Werner Ruhnke vom Bezirk Berlin.
16. Februar 1990
Beauftragte der DGB-Gewerkschaften beraten über die gewerkschaftspolitische Entwicklung in der DDR und eine mögliche Zusammenarbeit. Sie stellen übereinstimmend fest, dass die Fähigkeit der DDR-Gewerkschaften, sich zu reformieren, sehr unterschiedlich ist und dass "von einer unterschiedlichen Vorgehensweise der Gewerkschaften in bezug auf ihre Ansprechorganisationen in der DDR auszugehen ist".
17. Februar 1990
Die erste Kreisgruppe der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft in der DDR wird in Salzwedel gegründet. Weitere Kreisgruppen folgen rasch.
17./18. Februar 1990
Autorinnen und Autoren aus BRD und DDR beschließen auf dem ersten deutsch-deutschen Schriftstellertreffen im Sprengelmuseum in Hannover den "Hannoveraner Appell" zur Einbeziehung der Kulturpolitik in die Gespräche zwischen BRD und DDR.
19. Februar 1990
Der Geschäftsführende Hauptvorstand der ÖTV bildet eine politische Steuerungsgruppe für Kontakte in der DDR und die damit verbundenen Aktivitäten.
20. Februar 1990
Beim Kanzlergespräch in Bonn werden Fragen im Zusammenhang mit der Öffnung der innerdeutschen Grenze beraten. Für die Gewerkschaften nehmen der DGB-Vorsitzende Ernst Breit und der DAG-Vorsitzende Roland Issen teil.
21. Februar 1990
Der Hauptvorstand der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) beschließt die Einrichtung von acht Büros in der DDR mit dem Ziel, "demokratische, unabhängige, starke und durchsetzungsfähige Gewerkschaften in einem vereinten Deutschland" aufzubauen. Die Einrichtung und Unterstützung "der betrieblichen Gewerkschaftsarbeit und demokratisch gewählter betrieblicher Interessenvertretungen" stehen dabei im Vordergrund. Diese Ziele sollen möglichst gemeinsam mit den zuständigen DDR-Gewerkschaften Handel, Nahrung und Genuß und der - für Banken und Versicherungen zuständigen - Gewerkschaft der Mitarbeiter der Staatsorgane und der Kommunalwirtschaft (MSK) verwirklicht werden.
22./23. Februar 1990
Die außerordentliche Zentraldelegiertenkonferenz der Industriegewerkschaft Transport und Nachrichtenwesen der DDR beschließt die Auflösung der Organisation und die Gründung der IG Transport im FDGB. Von den rund 800 000 Mitgliedern der IG Transport und Nachrichtenwesen werden 295 000 Mitglieder in die eigenständige IG Transport übernommen. Vorsitzender wird Karl-Heinz Biesold.
23. Februar 1990
Die Deutsche Postgewerkschaft (DPG) kündigt die Einrichtung eines Beratungs- und Informationsbüros in Ost-Berlin an. Ab März werden insgesamt sechs Referententeams der DPG in der DDR eingesetzt.
23. bis 25. Februar 1990
300 von 1000 Mitgliedern kommen zum außerordentlichen Kongress des Verbandes der Film- und Fernsehschaffenden der DDR in das Festivalkino "International" nach Ost-Berlin. Sie appellieren an den "Runden Tisch", die Unterwerfung der nationalen Filmkultur unter ausschließlich marktwirtschaftliche Gesetze zu verhindern. Eine neue Satzung wird beschlossen, ein neuer Vorstand mit dem Vorsitzenden Joachim Tschirner gewählt. Zu einer Neuformierung des Verbandes als Teil einer Mediengewerkschaft der DDR kann der Kongress sich nicht entschließen.
26. Februar 1990
Die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG) ist in Leipzig mit einem Verbindungsbüro vertreten. Weitere folgen in Erfurt, Magdeburg, Dresden, Karl-Marx-Stadt (Chemnitz), Schwerin und Ost-Berlin. Am Sitz des Ministerrates der DDR ist der frühere DAG-Berufsgruppenleiter Heinz Knetter Bevollmächtigter; seine Aufgabe ist es, mit der Volkskammer, Regierungsstellen, Verbänden u. a. Kontakt zu halten und die Interessen der DAG zu vertreten.
Der Geschäftsführende Hauptvorstand der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) konkretisiert seinen Beschluss vom 14. Februar, einen Beraterkreis in die DDR zu schicken. Schwerpunkte der Arbeit sollen die Klärung tarif- und arbeitsrechtlicher und sozialpolitischer Fragen sein sowie der Aufbau demokratischer und unabhängiger gewerkschaftlicher Strukturen in der DDR. Hauptziel ist die Bildung einer einheitlichen ÖTV im vereinigten Deutschland. Vor den Wahlen zur Volkskammer am 18. März 1990 sollen keine Kooperationsabkommen mit Gewerkschaften oder gewerkschaftlichen Initiativen abgeschlossen werden. Nach den Wahlen wird darüber entschieden, ob der Beraterkreis Initiativen zur Gründung einer ÖTV in der DDR unterstützen soll.
Koordiniert durch den DGB-Landesbezirk Berlin bilden die sechzehn Einzelgewerkschaften in Berlin (West) einen gewerkschaftlichen Regionalausschuss mit den Einzelgewerkschaften der DDR-Bezirke Berlin, Frankfurt und Potsdam.
28. Februar 1990
Der geschäftsführende Bundesvorstand des DGB beschließt, zur Finanzierung deutsch-deutscher Gewerkschaftskontakte 2 Millionen DM zur Verfügung zu stellen.