Die Angestelltengewerkschaften der britischen und amerikanischen Zone beschließen im Februar 1949 einen Gewerkschaftskongress, auf dem sie über ihre Vereinigung beraten wollen. Über alle Fragen des Zusammenschlusses war volle Übereinstimmung erzielt worden. Nun sollen die Delegierten der Verbände in Stuttgart entscheiden. Schließlich sind es fünf große Angestellten-Verbände aus allen drei Westzonen, die im Namen von 250 000 Mitgliedern die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG) als autonome einheitliche Angestelltengewerkschaft Westdeutschlands bilden.
Bereits bei den ersten Gewerkschaftsgründungen 1945 ist den Angestellten eines klar: Eine Spaltung der Gewerkschaftsbewegung in viele unterschiedliche Verbände wie vor 1933 soll es nicht mehr geben. Überall in Deutschland, zuerst auf Ortsebene, dann - nach Genehmigung der Besatzungsmächte - auch überregional finden sich die Angestellten in gemeinsamen Organisationen zusammen. Früher waren sie in vielen kleinen und großen Gewerkschaftsbünden Gegner gewesen, jetzt wollen sie eine gemeinsame, starke Angestelltenbewegung.
Und sie wollen eine enge Zusammenarbeit mit den übrigen Gewerkschaften im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Doch hier gibt es erhebliche Probleme mit den anderen Gewerkschaften, die nach dem Industriegewerkschaftsprinzip und nicht nach Beschäftigtengruppen gegliedert sind. Nach langwierigen Beratungen und Verhandlungen erscheint es vielen Angestellten als der richtige Weg, die DAG als gewerkschaftliche Einheitsorganisation der Angestellten in Westdeutschland zu gründen.
Am 12. April versammeln sich die Delegierten von fünf Angestelltenverbänden aus Westdeutschland, um über eine Vereinigung zu beraten und beschließen:
Vor den Beratungen zu Satzung und Verschmelzungsvertrag referieren Fritz Rettig, erst seit wenigen Wochen Vorsitzender der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft Hamburg als Nachfolger von Wilhelm Dörr, und Max Ehrhardt, der Vorsitzende des Angestellten-Verband Württemberg-Baden, über die Notwendigkeit einer autonomen Angestelltengewerkschaft.
Sie betonen, dass mit dem Zusammenschluss der Angestellten in der DAG keineswegs ein Kampf gegen die Industriegewerkschaften eingeleitet werden solle. Es komme vielmehr zunächst darauf an, die zwei Millionen unorganisierten Angestellten für den Gewerkschaftsgedanken zu gewinnen. In diesem Sinne spricht er auch später auf dem Gründungskongress des DGB im Oktober 1949 und wirbt für die Aufnahme der DAG in den DGB. Vergebens.
Doch zurück zum 12. April. Die Vorbereitungen zu Satzung und Verschmelzung sind trotz der Kürze der Zeit umfassend. So ist das Votum der Delegierten eindeutig: Satzung (pdf-Datei) und Verschmelzungsvertrag werden einstimmig angenommen.
Nur einen verhältnismäßig kleinen Raum nehmen die Wahlen der neuen Organe ein. Als Vorsitzender der neuen Gewerkschaft war Wilhelm Dörr vorgesehen. Sein überraschender Tod im Januar erfordert nun einen neuen Kandidaten. Fritz Rettig und Max Ehrhardt werden vorgeschlagen. Doch der Vorsitzende des süddeutschen Landesverbands verzichtet zugunsten der notwendigen Arbeit auf Landesebene. Einstimmig wird er in den Hauptvorstand gewählt; seine Mitarbeit auf Bundesebene ist dadurch gesichert.
Mit 110 von 116 abgegebenen Stimmen wird Fritz Rettig zum ersten Vorsitzenden der DAG gewählt. Auch die weiteren Mitglieder des Hauptvorstandes sowie die Landesverbandsvorsitzenden und die Berufsgruppenleiter werden mit großer Mehrheit gewählt bzw. bestätigt.
Entsprechend ihrer beruflichen Tätigkeit gehören die Mitglieder zu folgenden Berufsgruppen (§ 35 der Satzung):
Die neuen Beitragssätze gelten ab 1. Juli 1949. Sie sind in 13 Klassen aufgegliedert und entsprechen den Anforderungen einer so differenzierten Mitgliedschaft. In Bayern, Württemberg-Baden und in der französischen Zone werden die Beiträge erst im Laufe der folgenden Monate erhoben: noch sind die organisatorischen Verflechtungen mit den jeweiligen Gewerkschaftsbünden der Länder zu groß.
Die Zeitschrift der DAG, "Der Angestellte", erscheint monatlich; sie wird jedem Mitglied mit der Post zugestellt. Bis März 1950 gibt es unterschiedliche Ausgaben für die Landesverbände, in der Regel acht Seiten. Die erste Ausgabe für Süddeutschland wird im September 1949 herausgegeben. Darüber hinaus erscheinen Berufs- und Fachgruppenbeilagen sowie Sonderbeilagen nach Bedarf. Ab April 1950 erscheinen monatlich bundesweit acht Berufsgruppenzeitschriften, mit einem gemeinsamen Mantel und vier berufsgruppenspezifischen Innenseiten. Alle diese Publikationen und ihr Versand sind mit dem Mitgliedsbeitrag abgegolten. Nichtmitglieder können die Mitgliederzeitschrift für einen jährlichen Bezugspreis von drei Mark abonnieren.
Anders als andere Gewerkschaften hat die DAG keinerlei Schwierigkeiten mit der Veröffentlichungsgenehmigung: Bereits seit 1. November 1948 war "Der Angestellte" unter der Zeitschriftenlizenz Nr. 56 des Senats der Hansestadt Hamburg erschienen, damals noch als Zeitschrift der DAG Hamburg.
Sitz der neuen Gewerkschaft ist Hamburg (§ 1 der Satzung). Hier war auch der Sitz der DAG der britischen Zone gewesen. Das "Haus der Angestellten" ist der große Seitenflügel des Hochhauses am Karl-Muck-Platz (heute Johannes-Brahms-Platz) in Hamburg. Die schweren Bombenschäden, die das Haus 1941 erlitten hatte, wurden in den Jahren 1948 und 1949 beseitigt. Hier ist Platz auch für die Selbsthilfeeinrichtungen der Angestellten, wie die Deutsche Angestelltenkrankenkasse und die Krankenkasse der Werkmeister und Techniker. Das Hochhaus am Karl-Muck-Platz, erbaut 1922 als Geschäftshaus des Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verbandes (DHV), ist nun Mittelpunkt der Angestelltenbewegung von Westdeutschland.
Die neue Angestelltengewerkschaft wächst rasch. 1951 ist die DAG mit fast 350.000 Mitgliedern in zehn Landesverbänden und 607 Ortsgruppen die größte autonome Angestelltenorganisation der Welt. Als Mitglied des Internationalen Bundes der Privatangestellten, in dessen Vorstand die DAG vertreten ist, gehört sie seit Juli 1949 dem Internationalen Bund Freier Gewerkschaften an.
Seit Juli 1949 steigen die Mitgliederzahlen von 209.640 auf 343.516 im September 1951. Der Anteil der weiblichen Mitglieder erhöht sich in den ersten zwei Jahren von 25,3 Prozent auf 30,9 Prozent. Der Anteil der jugendlichen Mitglieder bis 21 Jahren verdoppelt sich im gleichen Zeitraum auf 102.014 weibliche und 30.745 männliche Jungangestellte und Lehrlinge.
Viele neue Mitglieder können über eine konsequente Tarif- und Sozialpolitik für die Angestellten geworben werden, andere kommen über ihre Verbände, die sich der neuen Gewerkschaft anschließen.
Die Berliner Angestelltenverbände Gewerkschaft der kaufmännischen, Büro- und Verwaltungs-Angestellten (GkB) und Gewerkschaft der Techniker und Werkmeister (GTW) sind seit 1948 nicht mehr im FDGB, sondern in der West-Berliner Unabhängigen Gewerkschafts-Organisation (UGO). Zu ihnen besteht seit langem ein enger Kontakt; sie waren auch beim Vereinigungskongress 1949 vertreten, allerdings nicht als Delegierte. Erst 1950 sind die Verhältnisse soweit, dass die in der UGO zusammengefassten Gewerkschaften sich an ihre westdeutschen "Bruderorganisationen" anschließen können. Die beiden Angestelltenverbände beschließen auf ihren Verbandstagen am 29. und 30. April 1950 die Zusammenlegung zu einer Organisation und den Anschluss an die DAG als Landesverband Berlin, der dann zum 1. Juli 1950 erfolgt.
Fünf Jahre später, am 31. Oktober 1955, einige Tage nach der Entscheidung der Bevölkerung des Saarlandes gegen das Saarstatut, gründen Kollegen die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft - Saar. Die saarländische Regierung erkennt sie als tariffähige Spitzenorganisation an. Zum 1. Januar 1957 kann dann die DAG - Saar als Landesverband Saar in die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft eingegliedert werden.