Heinz Kluncker hat zur Eröffnung der Ausstellung "Wandel und Tradition" anläßlich der 50-Jahr-Feier der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr am 29. Januar 1999 über den Aufbau der Gewerkschaften nach 1945 gesprochen.
Dieser Text ist ein Auszug aus seiner Rede, veröffentlicht in der Publikation des Archivs der ÖTV "Der Neuaufbau der Gewerkschaften nach dem Zweiten Weltkrieg.
Nach der Einschätzung vieler Gewerkschafter lag die Schwäche der Gewerkschaften in der Weimarer Republik in ihrer Uneinigkeit wie in der Aufsplitterung
Erfreulicherweise hatten sich schon während der Nazi-Zeit einige Gewerkschafter, die bereits während der Weimarer Republik aktiv waren, Gedanken darüber gemacht, wie sich ein Neuaufbau der Gewerkschaften nach dem Zerschlagen des nationalsozialistischen Terrorsystems vollziehen sollte. Deshalb traten sie, auch aufgrund ihrer Erfahrungen noch vor dem Zusammenbruch der Weimarer Republik, für die Gründung von Einheitsgewerkschaften unter Dachorganisationen (Gewerkschaftsbünde) ein.
Dazu ein konkreter Hinweis: Adolf Hitler war bereits knapp drei Monate an der Macht, als namhafte freie, christliche und liberale Gewerkschafter sich endlich am 28. April 1933 darauf verständigten, den "Bund der vereinigten Gewerkschaften" technisch vorzubereiten.
Absicht der Repräsentanten des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes, des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften und des Verbandes der Deutschen Gewerkvereine (Hirsch-Duncker) war es, "die bestehenden Spitzen- und Berufsverbände mit dem Ziel der Umformung und Vereinheitlichung zusammenzuschließen." Die gewerkschaftliche Einheit, seit Jahrzehnten immer wieder gefordert, sollte endlich verwirklicht werden.
Der Wunsch nach Einheit, der sich unter denkbar ungünstigen Umständen - vier Tage vor dem Sturm der Nazis auf die Gewerkschaftshäuser im Abkommen vom 28. April 1933 niederschlug, ist älter als die Organisationsgeschichte der Gewerkschaften in der Weimarer Republik. Ihn zu erfüllen, aus der Einsicht in das Unumgängliche praktische Konsequenzen zu ziehen, erwies sich nicht mehr durchführbar.
Nach 1933 haben sich Gewerkschafter darüber Gedanken gemacht, wie sich ein Neuaufbau der Gewerkschaften nach dem Zerschlagen des nationalsozialistischen Terrorsystems vollziehen sollte.
Die Mehrheit der Frauen und Männer der ersten Stunde - ob mit oder ohne Erfahrung von vor 1933 - waren sich bei der Neugründung der Gewerkschaften einig darüber, daß diese neu gegründeten Gewerkschaften unabhängige Einheitsgewerkschaften sein sollten. Diese Weichenstellung sollte sich bei der Festlegung programmatischer Grundsätze ebenso auswirken wie in der gewerkschaftlichen Tagesarbeit.
An dem Ziel, eine einheitliche Gewerkschaftsbewegung zu schaffen, orientierten sich auch emigrierte deutsche Gewerkschafter, und zwar schon vor dem Zusammenbruch des Dritten Reiches. Während die letzten Vergeltungswaffen der Nazis über London explodierten und Joseph Goebbels mit verzweifelten Endsieg-Parolen den Volkssturm zum letzten Gefecht um Berlin zu mobilisieren suchte, verabschiedete die Landesgruppe deutscher Gewerkschafter in Großbritannien "Programmvorschläge für einen einheitlichen deutschen Gewerkschaftsbund" unter dem Titel "Die neue deutsche Gewerkschaftsbewegung".
So heißt es in dem Londoner Text: "Einheit der Gewerkschaftsbewegung ist mehr als nur die Zusammenfassung der früher getrennt marschierenden Teile der deutschen Arbeiterbewegung. Sie muß auf der Grundlage echter Toleranz alle jene zusammenführen, die als Arbeitnehmer zusammengehören und die über ihre religiösen und weltanschaulichen Verschiedenheiten den gemeinsamen Willen zur demokratischen Erneuerung stellen."
Diese Einheitsgewerkschaften sollten Einheit in mehrfachem Sinn sein, nämlich
Aus dieser Festlegung ergab sich zwingend, daß sich die Gewerkschaften selbst nicht als Ersatzpartei betrachten oder als Erfüllungsorgan von politischen Parteien mißbrauchen lassen wollen.
Positive Summen zu Einheitsgewerkschaften kamen nach dem Zweiten Weltkrieg auch aus den Kirchen, aus der katholischen Arbeiterbewegung und damit aus den ehemals christlichen Gewerkschalten und massiv und eindeutig, wenn auch erst später, aus den Reihen der evangelischen Kirche.
Interessant sind in diesem Kontext Ausführungen, die von einem katholischen Geistlichen stammen, der als hessischer Delegierter am Vereinigungsverbandstag der Gewerkschaft ÖTV 1949 in Stuttgart teilnahm. Ich zitiere auszugsweise:
"Ich habe mich der gewerkschaftlichen Sache als katholischer Geistlicher, der vor 1937» auch aktiv in die christlichen Gewerkschaft für die christliche Organisation der Arbeiter, Angestellten und Beamten sich eingesetzt hat, auch in der Einheitsgewerkschaft seit 1. Oktober 1945 in gleichem Sinne betätigt. (...) Nun zu der Frage, die mir als Geistlicher oder wenn Sie wollen, als Vertreter einer Konfession sehr am Herzen liegt: Sie wissen, es ist der große Wurf der deutschen Einheitsgewerkschaft gewesen, daß sie sich auf den Standpunkt der parteipolitischen und religiös-weltanschaulichen Neutralität gestellt hat, das heißt, wir wollen unsere Gewerkschaft nicht zum Tummelplatz religiös-weltanschaulicher Auseinandersetzungen machen, die uns in den früheren Gewerkschaften immer in einen Gegensatz gebracht und die letztlich uns in der Gesamtbewegung in Deutschland sehr gehindert haben. (...) Ein Ziel muß uns allen gehören: Arbeiter, Angestellte und Beamte, ohne Rücksicht auf Partei, Konfession und Weltanschauung, müssen sich zusammenfinden in der Einheitsgewerkschaft. (...) es muß uns daran gelegen sein, daß wir in Zukunft unser Bestreben darauf hinrichten, daß wir durch Mitarbeit in der Einheitsgewerkschaft jenes Gleichgewicht in der Mitgliederzusammensetzung und jenen Ausgleich der Meinungen herbeiführen, ohne die eine Demokratie nicht gedeihen kann."
Das Protokoll des Vereinigungsverbandstages verzeichnete großen Beifall.