Anfang Juni 1949 ist Carl Stenger, Geschäftsführer der "Arbeitsgemeinschaft der deutschen Postgewerkschaften", stolz und glücklich. Das Ziel seiner Arbeit, die einheitliche Deutsche Postgewerkschaft für das gesamte Postpersonal und für den ganzen Bereich der Deutschen Post, ist in greifbare Nähe gerückt. Am 29. und 30. Juni wird der Vereinigungs-Gewerkschaftstag stattfinden.
Am 28. Juni sollen Außerordentliche Verbandstage der Postgewerkschaften der amerikanischen und der britischen Zone ihre Auflösung beschließen, auf einem gemeinsamen Vereinigungs-Gewerkschaftstag mit den Postgewerkschaften in der französischen Zone und West-Berlin soll dann der organisatorische Zusammenschluss am 29. und 30. Juni vollzogen werden.
Der Weg zur Vereinigung der Zonen- und Länderpostgewerkschaften zu einer einheitlichen Deutschen Postgewerkschaft in den drei Westzonen war nicht leicht. Auflagen der Besatzungsmächte und regional unterschiedliche Vorstellungen über den Neuaufbau der Gewerkschaften waren Hemmnisse.
Nach dem Industriegewerkschaftsprinzip hätte es eine einzige Gewerkschaft für alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst geben müssen. In der Britischen Besatzungszone (BBZ) waren deshalb die Postler in der Fachabteilung II der "Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV)" zusammengeschlossen. Aber die Lehrerinnen und Lehrer und die Beschäftigten von Reichsbahn und Post in der ÖTV strebten jeweils eigene Gewerkschaften an.
Der Mindener Verbandstag der "Fachabteilung Post in der ÖTV" (BBZ) vom 16. bis 19. September 1948 legte dieses Ziel fest. Nach harten Verhandlungen mit ÖTV und DGB beschloss ein außerordentlicher Verbandstag der ÖTV (BBZ) Ende Januar 1949 mit einer knapper Mehrheit von 104 : 101 Stimmen die Ausgliederung der "Fachabteilung Post" zum 1. Februar und die Umwandlung zur "Deutschen Postgewerkschaft". Im Februar 1949 wurde diese neue Gewerkschaft in den "Deutschen Gewerkschaftsbund" (BBZ) aufgenommen. Die Trennung war vollzogen.
Die Lösung von der ÖTV war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer einheitlichen Organisation aller Beschäftigten der Deutschen Post. In überzonalen Konferenzen und schließlich in der "Arbeitsgemeinschaft der deutschen Postgewerkschaften" für die drei Westzonen und Berlin wurden Grundsätze erarbeitet, Satzungsentwürfe beraten und die Vereinigung vorbereitet.
In langen Debatten hatten die fast 170 000 Mitglieder der Postgewerkschaften in den Westzonen und West-Berlin beschlossen, dass die neue Gewerkschaft eine einheitliche sein solle für Beamten, Angestellte und Arbeiter gleichermaßen. Statt einer Vielzahl von Verbänden und Bünden wie vor 1933, als das Postpersonal laufbahn- und richtungsweise voneinander getrennt gewerkschaftlich organisiert war, soll eine Einheitsgewerkschaft aller Postbediensteten entstehen.
Dies war auch das erklärte Ziel der Delegierten, die nach Stuttgart kamen, um die neue Gewerkschaft zu gründen. Die Eröffnungs- und die Grundsatzrede hielt Carl Stenger: "Der Neuaufbau der Deutschen Postgewerkschaften seit 1945".
Doch bevor es zur inhaltliche Diskussion, zu Satzungsdebatten und Wahlen kam, gab es einen Antrag der Berliner Delegierten. Sie sind von den Mitgliedern West-Berlins nach Stuttgart geschickt worden, um mitzureden und mitzustimmen. Nun sollen sie nicht als ordentliche Delegierte gelten und nicht stimmberechtigt sein, denn Berlin ist nicht Teil der Westzonen und wird deshalb nicht in die Satzung der neuen Gewerkschaft aufgenommen werden können.
Schließlich einigen sich die Delegierten des Verbandstages einmütig darauf, das die Berliner Delegation zwar Sitz und Stimme in der Kongressleitung und den Ausschüssen hat, aber nicht mit abstimmt. Aus Delegierten werden Gastdelegierte. Sie sind zum wichtigsten Tagesordnungspunkt nicht zugelassen: zum Beschluss über die Vereinigung, auf die sie seit Jahren hingearbeitet hatten. Das ist bitter, aber politisch unumgänglich.
Am Morgen des 30. Juni werden vom Leiter des Gewerkschaftstages, Hans Gary, die entscheidenden Tagesordnungspunkte aufgerufen:
Der Vorsitzende der DPG der britischen Zone, Otto Ziegler, gibt den Beschluss seiner Organisation bekannt, Emil Lutz, Landesvorsitzender in Württemberg-Hohenzollern, spricht für die Landesverbände der französischen Zone, Carl Stenger als Vorsitzender der DPG (amerikanische Zone) für seine Gewerkschaft. Alle Verbandstage haben die Vereinigung einstimmig beschlossen.
Hans Gary bittet die Delegierten, sich zum Zeichen ihrer Zustimmung zu diesen Erklärungen von ihren Plätzen zu erheben. Es ist ein feierlicher Moment, als alle 139 ordentlichen Delegierten aufstehen und damit die Vereinigung ihrer Verbände zur "Deutschen Postgewerkschaft" beschließen. Wolf Kelberg spricht den Prolog "Diese Zeit braucht deine Hände" des Arbeiterdichters Walter Dehmel. Viele Delegierten haben Tränen in den Augen.
Auf die ergreifende Stimmung folgt die nüchterne Atmosphäre der Satzungsberatungen. Jetzt sind auch die Berliner Delegierten wieder zugelassen. Noch am Vorabend hatte die Satzungskommission bis in die späten Abendstunden beraten, um die Änderungsanträge der Verbandstage in ihren Satzungsentwurf mit einbeziehen zu können. So können jetzt die Beschlüsse nach nur kurzen Diskussionen gefasst werden. Wichtig war wohl allen Delegierten die Aufnahme von zwei Beisitzern der Bezirksleitung "Berlin" in den Hauptvorstand. Die Satzung wird ohne Gegenstimmen angenommen.
Nach der Abstimmung über die Satzung standen die Wahlen auf der Tagesordnung. Es wurde spannend, alles war offen. Die "Arbeitsgemeinschaft der Postgewerkschaften" hatte keine Einigung in der Besetzung des 1. Vorsitzenden erzielen können.
Vorgeschlagen waren die Kollegen Ziegler und Thol aus der britischen Zone und Carl Stenger aus der amerikanischen Zone. Mit 75 Stimmen wurde Carl Stenger zum 1. Vorsitzenden gewählt, stellvertretende Vorsitzende wurden Anton Thol (62 Stimmen) und Otto Ziegler (43 Stimmen).
Diese Kollegen hatten nun, unterstützt von den Beisitzerinnen und Beisitzern, dem Gewerkschaftsrat und den Bezirksleitungen, zwei Jahre lang die Verantwortung für den Neuaufbau der Organisation und die Probleme der unhaltbaren wirtschaftlichen Situation des Postpersonals zu lösen.
Der Vereinigungs-Gewerkschaftstag gab mit seinen Entschließungen Richtung und Ziel für die dringendsten Aufgaben:
Im Leitartikel "Die Stuttgarter Vereinigung" der "Deutschen Post" Nr. 7 vom Juli 1949 heißt es über den Vereinigungs-Gewerkschaftstag:
"Die deutschen Postler haben sich mit dem Stuttgarter Ergebnis wieder eine Großorganisation geschaffen. Organisch ist diese Gewerkschaft gewachsen. Innerhalb unserer Landesgrenzen und im Ausland hat sie die Anerkennung und Beachtung gefunden, die ihr zukommt. Sie allein ist heute das geeignete Instrument zur Wahrnehmung der beruflichen und allgemeinwirtschaftlichen und sozialen Belange des Postpersonals. Diese Organisation wird weiter ihnen Weg machen und am Ende des Weges wird sie die große Einheitsorganisation des Postpersonals aller Dienstgrade und in allen deutschen Ländern sein."
Die internationale Zusammenarbeit mit den Postgewerkschaften anderer Länder war von Anfang an ein wichtiger Schwerpunkt. Gleich im Anschluss an den Verbandstag reisten elf Vertreterinnen und Vertreter der Deutschen Postgewerkschaft nach Zürich, um an der Tagung der Internationale des Personals der Post-, Telegraphen- und Telephonbetriebe (IPTT) vom 6. bis 9. Juli teilzunehmen. Hier wird die DPG in die Internationale aufgenommen und ihr Vorsitzender Carl Stenger in den Vollzugsausschuss, den Vorstand, der IPTT gewählt.
Die erste Sitzung des neuen Hauptvorstandes fand einen Monat später am 3. und 4. August in Minden statt. Zügig werden die anstehenden Aufgaben des Aufbaus der Organisation und das Schaffen von räumlichen und technischen Voraussetzungen aufgenommen, damit die Beschlüsse des Gewerkschaftstages umgesetzt werden können. Hauptabteilungen und Abteilungen werden gebildet, Sekretariate aufgebaut, Arbeitsgebiete aufgeteilt.
Der Hauptvorstand beschließt eine Vermögens- und Treuhandverwaltung, die die Vermögen früherer, von den Nationalsozialisten aufgelöster Beamten- und Arbeiterverbände im Bereich der Deutschen Reichspost zurückfordern und das Anlagevermögen der DPG treuhänderisch verwalten soll.
Die inhaltlichen Hauptaufgaben sind durch die Entschließungen des Verbandstages vorgegeben. Schulungen, Werbung und Öffentlichkeitsarbeit sollen die Arbeit des Vorstands auf eine breite Basis in der Mitgliedschaft stellen und sie so unterstützen.
Die Zeitschrift "Deutsche Post" half bereits seit Januar 1949 dabei, Inhalte zu verbreiten und Diskussionen zu fördern. Sie wurde auf Beschluss der "Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Postgewerkschaften" von der Geschäftsstelle Münster der "Fachabteilung II Deutsche Post in der Gewerkschaft ÖTV" (BBZ) herausgegeben (ab Februar "Deutsche Postgewerkschaft").
Titel und Layout knüpften an die Mitgliederzeitschrift des "Reichsverbandes Deutscher Post- und Telegraphenbeamten e.V." an, die vor 1933 meistgelesene Gewerkschaftszeitung des Postpersonals. Die ersten Ausgaben erschienen monatlich mit zunächst acht Seiten einschließlich der Fortbildungsbeilage "Beruf und Bildung", die sich vor allem an die Postjugend wandte. Die erste Ausgabe der Beilage für das französische Besatzungsgebiet folgte im Juni 1949.
Ab Nummer 7 vom Juli 1949 erschien die "Deutsche Post. Organ der Deutschen Postgewerkschaft" in Frankfurt am Main, am Sitz des Hauptvorstandes, zweimal im Monat und mit zwölf Seiten. Trotz Papiermangels und steigender Kosten wurden Seitenzahlen und Auflagenhöhe ständig erweitert, von 60 000 im Januar 1949 über 137 000 im Mai zur Vorbereitung der Vereinigung bis zu 162 000 im Januar 1950. Jeden Monat wurde die Auflage entsprechend den steigenden Mitgliederzahlen erhöht. Denn jedes Mitglied erhielt seine "Deutsche Post" kostenlos nach Hause geliefert: mit der Post.
140 000 Mitglieder hatte die DPG im Juli 1949. Die 20 000 Berliner Postler waren nicht mit dabei, auch wenn die Kontakte sehr eng waren und alle auf eine rasche Eingliederung hofften. Bis Ende des Jahres zählte die DPG mehr als 150 000 Mitglieder, im Juli 1951 200 000.
Die meisten Mitglieder waren Beamte. Dabei waren es gerade die Debatten über die Organisierung dieser Beschäftigtengruppe in einer Einheitsgewerkschaft aller Beschäftigten, die immer wieder engagiert geführt werden mussten. Erfolgreich: Über 50 Prozent aller Beamten der Deutschen Bundespost waren Ende 1949 Mitglied der DPG. Dieser Organisationsgrad wurde nur noch von den bei der Post beschäftigten Arbeiterinnen und Arbeitern mit 66 Prozent übertroffen.
Der Anteil der Mitglieder in der DPG an den Beschäftigten der Deutschen Bundespost stieg kontinuierlich an, dank einer sehr intensiven Werbearbeit, hervorragenden Öffentlichkeitspolitik und nicht zuletzt der Konzentration auf diesen einen Betrieb, die Deutsche Bundespost, und die räumliche Nähe zu Arbeitgeber und Beschäftigten.
Sitz der Gewerkschaft war laut § 1 der Satzung am Orte der obersten Dienstbehörde der Deutschen Post, 1949 Frankfurt am Main. Das Büro der Postgewerkschaft der britischen Zone war schon einige Wochen vor dem Vereinigungsgewerkschaftstag in das Haus des Posttechnischen Zentralamts (PTZ) in Frankfurt umgezogen; der Vorstand der Postgewerkschaft der amerikanischen Zone hatte Räume im alten Frankfurter Gewerkschaftshaus gemietet. Wenige Monate nach der Gründung der DPG konnten die 29 Beschäftigten am 15. Januar 1950 24 eigene Räume und einen Sitzungssaal im neuen Gewerkschaftshaus am Untermainkai 70-76 beziehen.
Nach dem Beschluss des Bundestages, der Bonn zur Regierungsstadt erklärte, musste die DPG prüfen, ob ein Umzug nach Bonn allein schon aus Satzungsgründen notwendig sei. Doch das Bundespostministerium hatte seinen Sitz noch in Frankfurt, die DPG blieb deshalb in der Stadt. Eine entsprechende Satzungsänderung erfolgte erst 1953: "Die DPG hat ihren vorläufigen Sitz in Frankfurt am Main". Trotzdem beschloss der Hauptvorstand die Verlegung der Abteilung Beamte zum 1. Februar 1951 nach Bonn, näher zum Dienstherrn.
Zwanzig Bezirke hat die Deutsche Postgewerkschaft 1949. In jedem Bezirk einer Ober-Post-Direktion war schon vor dem Gewerkschaftstag von den verschiedenen regionalen Postgewerkschaften eine Gewerkschaftsleitung und ein Bezirk gebildet worden. Die neue Satzung legt diese Praxis in § 21 fest.
Berlin konnte am 17. Juni 1950 als Bezirk aufgenommen werden. Ein weiterer Bezirk kam 1957 hinzu: Saarbrücken. Am 23. Oktober 1955 hatte die Bevölkerung des Saarlands in einer Volksabstimmung das Europäische Saarstatut abgelehnt; dies bedeutete zugleich ein Votum für die Eingliederung in die Bundesrepublik Deutschland. Nun waren auch erste konkrete Schritte zu einer engeren Zusammenarbeit mit der Postgewerkschaft Saar mit dem Ziel einer Eingliederung möglich. Am 14. Dezember 1956 erklärte der saarländische Landtag den förmlichen Beitritt zum Geltungsbereich des bundesdeutschen Grundgesetzes. Durch das Gesetz über die Eingliederung des Saarlandes vom 23. Dezember 1956 wird das Saarland am 1. Januar 1957 in die Bundesrepublik Deutschland eingegliedert. Am 26. Januar 1957 beschließen die Delegierten des 4. ordentlichen Gewerkschaftstages der Postgewerkschaft Saar einstimmig die Auflösung ihrer Organisation und die Eingliederung in die DPG.
Carl Stenger, noch immer Vorsitzender der DPG, hat sein Ziel und das seiner Kolleginnen und Kollegen von 1949 erreicht.