Die Gewerkschaftsbewegung entwickelte sich mit der Industrialisierung. Arbeiter in den Fabriken schufteten bis Mitte des 19. Jahrhunderts 13 Stunden pro Tag und mehr – ohne auch nur einen Tag Urlaub. Die Beschäftigten waren weitestgehend rechtlos und der Willkür der Arbeitgeber ausgesetzt. Es gab keine Lohnfortzahlung bei Krankheit, von Arbeitslosengeld oder Rente ganz zu schweigen. Und der Lohn reichte nicht, um eine Familie zu ernähren. Die schiere Not war täglicher Gast in den armseligen Unterkünften der Arbeiterfamilien.
Es waren Facharbeiter, die als erste erkannten, dass nur durch Zusammenhalt und Solidarität ihre Lage verändert werden kann. So stellten die Buchdrucker bereits zur Revolution 1848 einen Katalog von Forderungen zur Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen zusammen. Die Revolution scheiterte, aber die Idee war in der Welt. Schließlich gelang es den Buchdruckern 1873, diese Forderungen im „Reichstarifvertrag der Buchdrucker“ umzusetzen - dem ersten reichsweiten Vertrag überhaupt. Knapp 20 Jahre später schlossen sich zunehmend auch ungelernte Arbeitskräfte zu Gewerkschaften zusammen, die sich bis zum Ersten Weltkrieg 1914 zu Massenorganisationen entwickelten.
Informationstafel eingeweiht
Die Anschriften der ver.di-Bundesverwaltung sind nach zwei Frauen benannt: Paula-Thiede-Ufer und Bona-Peiser-Weg. Paula Thiede war die erste Vorsitzende einer Gewerkschaft, Bona Peiser die erste Bibliothekarin in Deutschland. Beide waren Wegbereiterinnen für die Gleichberechtigung der Frau, aber auch Kämpferinnen für die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten.
ver.di ist stolz darauf, dass beide Fauen zu Ahninnen der Gewerkschaft gehören und würdigt ihr Leben und Wirken mit einer Informationstafel vor der Bundesverwaltung in Berlin, die gemeinsam mit dem lokalen Bürgerverein Luisenstadt e.V. am 6. Mai 2022 vom ver.di-Vorsitzenden Frank Werneke eingeweiht wurde: www.paulathiede.verdi.de und www.bonapeiser.verdi.de
Am Anfang stand die erfolgreiche Verteidigung der Demokratie: Mit ihrem gemeinsamen Aufruf zum Generalstreik gegen den Kapp-Putsch im März 1920 zeigten die Vorsitzenden des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB), Carl Legien, und des Allgemeinen freien Angestelltenbundes (AfA-Bund), Siegfried Aufhäuser, eine gewerkschaftspolitische „Entente cordiale“.
Die Gemeinsamkeit blieb keine Eintagsfliege. Am 12. April 1921 schlossen ADGB und AfA-Bund einen Organisationsvertrag zum „Zusammenwirken in allen gewerkschaftlichen, sozial- und wirtschaftspolitischen Angelegenheiten.“ Diesem Duo schloss sich 1923 der Allgemeine Deutsche Beamtenbund (ADB) an, sodass ein Organisationsvertrag über alle drei Spitzenorganisationen hinweg vereinbart wurde.
Das Dreier-Bündnis, das zwar Arbeiter, Angestellte und Beamte einte, aber keine Vorstufe zu einem zentralisierten Dachverband sein wollte, hielt bis 1933. Die Entstehung dieses „Drei-Säulen-Modells“ beleuchtet die Organisationspolitik der Gewerkschaften zu Beginn der Weimarer Republik. Für die Akteure war es eine Gratwanderung zwischen Abgrenzung und Kooperation, genährt von einer Portion Kompromissbereitschaft in einer politisch turbulenten Zeit.
Der 3. Oktober ist ein historisches Datum – auch für die Angestelltenbewegung. An diesem Tag wird im Jahre 1921 der AfA-Bund gegründet. Elf Angestelltenverbände schließen sich zusammen. Ein Markstein auf dem Weg zu einer starken Gewerkschaftsbewegung der Angestellten.
Von Anfang an waren Gewerkschaften immer beides: Selbsthilfeverband und Kampforganisation. Um die Gewerkschaftsmitglieder gegen die Wechselfälle des Lebens zu schützen, wurde aus den Mitgliedsbeiträgen Krankengeld, später auch Arbeitslosenunterstützung und Sterbegeld ausgezahlt. Bei Arbeitskämpfen wurde Streikgeld gezahlt. Gewerkschaftsarbeit war ein zäher, schließlich aber erfolgreicher Kampf. Die Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten verbesserten sich nachhaltig. Dabei wechselten sich jedoch Fortschritt und Rückschläge ab, und Errungenschaften mussten nicht selten immer wieder verteidigt oder neu erkämpft werden. Viele Gewerkschafter/innen nahmen dabei hohe persönliche Risiken auf sich, bezahlten ihr Engagement mit Arbeitslosigkeit, wurden ins Gefängnis gesteckt oder sogar umgebracht. Am stärksten litten die Gewerkschafter/innen unter der Terrorherrschaft der Nationalsozialisten. Ihre Organisationen wurden am 2. Mai 1933 zerschlagen, und viele derer, die die Idee der freien demokratischen Gewerkschaftsbewegung am Leben erhalten wollten, wurden verfolgt, in Lager gesperrt und ermordet.
Nach „Drittem Reich“ und Zweitem Weltkrieg haben wir uns sofort wieder gegründet - in guter Tradition und optimierter Organisation. Heute gibt es in Deutschland die Einheitsgewerkschaft, was bedeutet, dass uns alle Beschäftigten ungeachtet ihrer Weltanschauung, Religion, Herkunft oder bevorzugten Partei willkommen sind. Ein gutes Prinzip, denn im Namen aller lässt sich am wirkungsvollsten verhandeln und notfalls kämpfen. Diese Einigkeit macht uns stark und als politisch unabhängige Organisation auch frei, die Interessen der Beschäftigten gegenüber jeder Regierung zu vertreten.