"Zuversichtliche Radikalität“

Luisa Neubauer von Friday for Future – zu Gast beim ver.di-Bundeskongresses – über die Zusammenarbeit der Klimabewegung mit ver.di
28.09.2023
Klimabewegung und Gewerkschaften lassen sich nicht mehr gegeneinander ausspielen.

ver.di: „Wir fahren zusammen“, unter diesem Motto arbeiten Fridays for Future und ver.di zusammen für bessere Arbeitsbedingungen im Nahverkehr, aber auch für den Klimaschutz. Wie stark sind die Synergieeffekte zwischen Umweltschutz und Gewerkschaftsarbeit?

Luisa Neubauer: Wir fordern, dass der ÖPNV in Deutschland massiv ausgebaut wird, damit es eine Mobilitätswende geben kann. Und gleichzeitig nehmen wir ungerechte Arbeitsbedingungen dabei nicht in Kauf, das funktioniert für uns nicht als Klimagerechtigkeitsbewegung. Daher stehen wir selbstbewusst, Hand in Hand mit den Beschäftigten im ÖPNV für schnellen und gerechten Wandel ein. Es ist in meinen Augen spektakulär und wirklich mächtig, was da passiert. Man hat so lange probiert, soziale Gerechtigkeit und ökologische Fragen gegeneinander auszuspielen. Man wollte immer  so tun, als wäre Klimaschutz kategorisch eine Belastung. Aber wir sagen „Nein“ – wir machen da nicht mit. Die Missstände in sozialen und ökologischen Fragen sind offensichtlich. Und wir haben Lösungen, die in beiden Fällen wirken. Unsere Antworten sorgen für soziale Gerechtigkeit und ökologische Sicherheit gleichermaßen. Die gemeinsame ÖPNV-Kampagne von Fridays for Future und Verdi ist ein großartiges Beispiel dafür.

Wie stark brauchst Du die Gewerkschaften auch an eurer Seite?

Wir kämpfen dafür, dass Menschen sicher leben können, und uns die Lebensgrundlage nicht um die Ohren fliegt. Heißt Klimaschutz ist kein Selbstzweck, wir machen all das nicht dem Klima zuliebe, sondern für die Sicherheit und Freiheit der Menschen und Gesellschaften. Hier treffen sich soziale und ökologische Kämpfe. Ich könnte nicht für sichere Lebensgrundlagen kämpfen, und dann weggucken, wenn dann auf eben diesen Lebensgrundlagen Menschen von ungerechten, kapitalistischen Strukturen ausgebeutet werden. Es ist eine logische Konsequenz für mich, unseren sozial-ökologischen Aktivismus da zu verorten, wo wir für sichere und befreiende Gesellschafts- und Arbeitsverhältnisse einstehen. Beim Thema Klimagerechtigkeit geht es nicht darum, dass wir noch so ein bisschen soziale Fragen mitbehandeln. Uns geht es darum, dass Menschen ganz allgemein in gerechten und sicheren Verhältnissen leben.

Du hast eine beeindruckende Jugendbewegung inspiriert und aufgebaut. Was können wir als Gewerkschaft mit einem Altersdurchschnitt von ungefähr 50 Jahren von euch lernen?

Ich glaube zunächst, dass sich die Klimabewegung immer wieder von Gewerkschaftsbewegungen inspirieren lässt. Unsere progressive Radikalität ist auch massiv von dem beeinflusst, was Gewerkschaftsbewegungen vor uns schon erreicht haben.

Also lernt ihr von uns?

Ja, durchaus. Und auf der anderen Seite denke ich auch, dass uns allen eine gewisse zuversichtliche Radikalität guttut. Eine demokratische, solidarische Radikalität braucht es jetzt gerade, in der wir die wachsenden Ungerechtigkeiten anprangern, in der wir den Schulterschluss praktizieren, und das eben nicht nur dort, wo man Reden hält, sondern auch dort, wo man vor Ort  kämpft. Genau das machen wir in der ÖPNV-Kampagne zusammen. Hier sind wir als Klimabewegung darauf angewiesen, dass gerade Organisationen wie ver.di sich als kämpferisch verstehen und ökologischen Fragen und sozialen Fragen als gemeinsamen Kampf verteidigen. 

Du hast in einem Interview gesagt, dass Hoffnung manchmal überbewertet wird, weil Menschen verwechseln, in welcher Reihenfolge Hoffnung und Handeln zueinanderstehen. Ist das auch deine Erwartung an uns als Gesellschaft und Gewerkschaft und auch an den diesjährigen Kongress, radikal zu sein?

Ja, ich würde sagen, eine Art zuversichtliche Radikalität und eine Art radikaler Zuversicht. Ich glaube, das ist gerade etwas, das zusammen wirken muss. Das sehen wir auch in dieser Zeit, in der viel ins Wanken gerät: Wir merken, es brodelt bei unserer Lebensgrundlage, und es brodelt an der rechten Front. Es stehen große Verteilungsfragen im Raum, und wir sind gut beraten, die Fronten zwischen Gewerkschaftsbewegung und Klimabewegung zu schließen, damit glasklar wird, dass wir nicht mitmachen, wenn alsbald auch noch zwischen uns Verteilungsfragen und Zwietracht gesät wird.   

Klimabewegung und Gewerkschaften lassen sich nicht mehr gegeneinander ausspielen und wir lassen auch nicht mehr so viel Platz zwischen uns. Ein häufiges Argument von Unternehmen ist aber dennoch, dass der Übergang zu nachhaltigen Arbeitsweisen, nachhaltiger Produktion, wirtschaftliche Verluste verursachen könnte, die dann zulasten der Arbeitnehmer gingen. Wie siehst du die wirtschaftlichen Chancen im Bereich Nachhaltigkeit und Wirtschaft?

Es gibt glücklicherweise längst Konzerne und Unternehmen in diesem Land, die unter dem Credo von echter sozialer Gerechtigkeit Klimaziele verfolgen, radikal einlenken, und beweisen, wie es aussieht, wenn man unternehmerischer Verantwortung gerecht wird. Auf der anderen Seite sehen wir aber auch, dass große Konzerne in diesem Land die letzten Jahrzehnte an Klimadiskurs nicht wahrhaben wollten, oder teilweise unterwandert haben. Die Transformation hätte seit 30 Jahren eingeleitet werden müssen, seitdem ist schließlich klar, dass fossile Geschäftsmodelle absehbar keine Zukunft mehr haben. Wir können auch über eine gewisse Verlogenheit bei vielen Unternehmen sprechen: Erst wurde mit Lobbykraft ewig gegen Klimaschutz angearbeitet und jetzt wird so getan als sei das Thema eine große Überraschung und es werden staatliche Subventionen eingefordert. Die ersten, die dann von dieser Art der Unternehmensführung getroffen werden, sind die Beschäftigte, deren beruflichen Perspektiven oftmals nicht mitgedacht werden - und auf deren anderen Seite, leidet alles Soziale, wenn Milliarden genutzt werden, um fossile Konzerne durch eine Transformation zu subventionieren, die sie oftmals selbst verschlafen haben und in dem Zuge soziale Ausgaben gekürzt werden, wie wir es jetzt gerade erleben. Das wäre unser Moment gemeinsam zu hinterfragen, ob das tolerierbar und gerecht ist.

Warum bist du eigentlich noch kein Gewerkschaftsmitglied?

Das ist eine gute Frage. Eigentlich wäre es sinnvoll einzutreten, gerade wenn ich an meinen familiären Hintergrund denke. Meine Mutter ist Krankenschwester. Und ich erlebe bei ihr ganz direkt, wie das ist, wenn ein Arbeitstag so anstrengend und fordernd ist, dass eine organisierte Gemeinschaft in Form einer Gewerkschaft existenziell wird. 

Dann mache ich dir gerne das Angebot dir im Anschluss alle nötigen Unterlagen bzw. Links zu schicken – du kannst alles digital beantragen und musst nicht mal Papier verschwenden.

Interview: Rita Schuhmacher