*You can find the English version below
ver.di: Nachdem der Präsident des Congress of Democratic Trade Unions, Alexander Yaroshuk, den Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine und Belarus gefordert hatte, wurden über 30 Gewerkschafter*innen inhaftiert. Viele von ihnen befinden sich nach wie vor im Gefängnis, und einigen drohen Haftstrafen von bis zu 5 Jahren. Das Europäische Parlament forderte im Mai dieses Jahres, dass sie unverzüglich freigelassen werden müssen. Kannst du uns Einblicke in die aktuellen Situation geben?
Mariya: Im April 2022 wurden etwa 30 aktive Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter inhaftiert, und einige von ihnen wurden zu Haftstrafen von bis zu 12 Jahren verurteilt. Viele davon sind älter und leiden an verschiedenen gesundheitlichen Problemen, darunter Herzkrankheiten und sogar Krebs. Es ist unwahrscheinlich, dass sie innerhalb der nächsten 10 bis 12 Jahre entlassen werden – du kannst dir vorstellen, wie schlimm das ist. Es wurden mehrere Resolutionen verabschiedet, in denen nicht nur die Freilassung der Gewerkschaftsgefangenen, sondern aller politischen Gefangenen in Belarus gefordert wird. Diese Forderungen wurden jedoch aufgrund der engen Beziehungen von Belarus zu Russland nicht beachtet. Das Regime scheint sich nicht von internationalen Regeln, Resolutionen oder Sanktionen beeinflussen zu lassen.
Warum macht das Regime überhaupt Jagd auf Gewerkschaftsmitglieder?
Mariya: Unabhängige Gewerkschaften stellen eine Bedrohung für das Regime dar, da sie eine Art Vertretung für die Arbeitnehmer darstellen und ihnen organisatorische und juristische Unterstützung sowie die Möglichkeit bieten, ihre Rechte zu verteidigen. Tatsache ist, dass der Staat in Belarus der Hauptarbeitgeber ist, das staatliche System ist auf der bewussten und systematischen Verletzung der Arbeitnehmerrechte aufgebaut. Die Instrumente zur Verwurzelung dieses Systems sind Präsidialdekrete, kontrollierte Ministerien und staatliche Gewerkschaften. Aus diesem Grund sind die Arbeitsverträge in Belarus meist auf ein Jahr befristet. Das macht die Arbeitnehmer völlig abhängig von der Regierung und gibt ihnen keine Möglichkeit, sich gewerkschaftlich schützen zu lassen. Viele Arbeitnehmer, die versucht haben zu protestieren, sind jetzt aus dem Beruf ausgeschlossen und können keine Arbeit finden. Diejenigen, die sich an einem Streik beteiligt haben, sitzen im Gefängnis. Die meisten von ihnen stehen auf der Liste der Extremisten mit härteren Haftbedingungen.
Welche Art von Unterstützung erhofft ihr euch von diesem Kongress und anderen Gewerkschaften?
Mariya: Wir hoffen auf die geschlossene Unterstützung aller unserer Partner, insbesondere der Gewerkschaften, nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern. Wir bitten darum, einen Dreiparteiendialog zu organisieren, an dem die Gewerkschaften, die Regierungen und unsere Organisation beteiligt sind und der sich an den Leitlinien des von der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) angenommenen 33. Absatzes* sowie an den neuen Resolutionen und Werten der Europäischen Union (EU) orientiert. Diese Unterstützung wäre von unschätzbarem Wert, da sich die Bedingungen für die Gefangenen in Belarus weiter verschlechtern.
Können die Gewerkschaften in Belarus unter diesen Bedingungen überhaupt arbeiten oder Einfluss nehmen?
Mariya: Nein, das ist leider unmöglich. Es gibt keine zivilen Organisationen mehr in Belarus; sie wurden alle aufgelöst oder werden von der Regierung kontrolliert. Die Federation of Trade Unions of Belarus, eine Scheingewerkschaft, dient eher den Interessen der Regierung als dem Schutz der Arbeitnehmerrechte. Ich fordere einen dreiseitigen Dialog zwischen den Gewerkschaften in Deutschland, PGP, anderen Gewerkschaften und Verbänden in unseren Partnerländern.
Was bedeutet diese Situation für dich persönlich? Du arbeitest jetzt im Exil?
Mariya: Ja, die Arbeit im Exil ist die einzige Möglichkeit, denn alle zivilen Organisationen in Belarus wurden zerschlagen, und die, die noch übrig sind, sitzen entweder im Gefängnis oder haben das Land verlassen. Belarus hat sogar sein Strafgesetzbuch geändert, um jegliche nicht registrierte Tätigkeit zu verbieten. Sich politisch oder in irgendeiner Form aktiv zu betätigen, ist in Belarus höchst gefährlich.
Welche Schritte sind eurer Meinung nach notwendig, um die Vereinigungsfreiheit und die Arbeitsrechte in Belarus wiederherzustellen?
Mariya: Wir arbeiten derzeit an Ideen und Maßnahmen zur Einrichtung eines Rates für Belarus. Wir laden alle unsere Partner und Organisationen ein, an den Diskussionen über diese Maßnahmen teilzunehmen und sich an einem dreigliedrigen Dialog zu beteiligen, um die Vereinigungsfreiheit in Belarus zu erreichen. Dazu gehört auch, dass die belarussische Regierung für Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft gezogen und die IAO-Übereinkommen eingehalten werden. Wir sind noch dabei, diese Ideen zu entwickeln. Außerdem müssen wir die Situation bei Organisationen, Unternehmen und Sanktionen beobachten. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, auf politischer und staatlicher Ebene in den EU-Mitgliedstaaten und möglicherweise darüber hinaus auf Veränderungen zu drängen. Es ist wichtig, die Arbeitnehmer in Deutschland und anderen Ländern über die tatsächliche Situation in Belarus zu informieren, um Fehlinformationen entgegenzuwirken.
Es scheint, dass es immer noch einige Verwirrung und Fehlinformationen aufgrund von Propaganda gibt.
Mariya: Ja, es gibt immer noch viele Fehlinformationen, und selbst jetzt, mit der Annahme des 33. Paragraphen gegen Belarus, ist es klar, dass das belarussische Regime die Arbeiter oder die Gesellschaft überhaupt nicht vertritt.
Verleiht dir dieser Kongress mehr Zuversicht?
Mariya: Ja, er ist entscheidend und stärkt unsere Entschlossenheit im Kampf. Wir sehen die Unterstützung einer bedeutenden Anzahl von Menschen, insbesondere innerhalb der großen Gewerkschaften wie ver.di und anderer Verbände. Diese Unterstützung zeigt, dass das belarussische Volk nicht von Europa isoliert ist und dass die belarussischen Arbeiter nicht von der internationalen Arbeiterbewegung isoliert sind. Selbst angesichts des Lukaschenko-Regimes können sie immer noch auf die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft zählen, die für sie lebenswichtig ist.
Nichtsdestotrotz rufen wir unsere Partner zu Solidaritätsaktionen in jeglicher Form online und offline auf, um die belarussische Agenda unter den Mitgliedern zu verbreiten und unsere Kampagne zum 33-Paragraphen zu unterstützen. In Zusammenarbeit mit dem Verein "Salidarnast" organisieren wir Treffen, Workshops und Konferenzen zur belarussischen Frage auf der Basis ihrer Gewerkschaften. Auch jede humanitäre Unterstützung wäre uns sehr willkommen.
Wir hoffen, dass all diese Maßnahmen, zusammen mit der Organisation des Dialogs auf Regierungsebene und der Überwachung der Umsetzung der ILO-Empfehlungen, Lukaschenkos Regime in die Knie zwingen.
*Die IAO hat 33 Paragraphen gegen Belarus umgesetzt. Das ist in der Geschichte der IAO bisher nur einmal gegen Myanmar geschehen. Das Lukaschenko-Regime verstößt seit dem ersten Jahr seines Bestehens systematisch gegen grundlegende IAO-Übereinkommen und Arbeitnehmerrechte.
Mariya Taradezkaya, a courageous Belarusian Union exile, fights for freedom and justice amidst repression. She is working for the Solidarnost Association that was founded by trade union leaders and activists from Belarus who were forced to leave the country following the liquidation and repression of democratic trade unions. During the congress, we had the opportunity to talk to her about the current situation and the importance of international trade union cooperation.
ver.di: After Belarusian Congress of Democratic Trade Unions President Alexander Yaroshuk demanded the withdrawal of Russian troops from Ukraine and Belarus, over 30 trade unionists were imprisoned. Many of them remain in prison, with some facing sentences of up to 5 years. The European Parliament demanded in May this year that they have to be immediately released. Can you give us some insights about the current situation?
Mariya: Yes, approximately 30 trade union activists were imprisoned in April 2022, and some of them received sentences of up to 12 years, not just two, three, or even five years. Some of these individuals are elderly and suffer from various health conditions, including heart disease and cancer. It is unlikely that they will be released within the next 10 to 12 years – you can imagine the dire situation. Several resolutions have been passed, calling for the release of not only trade union prisoners but all political prisoners in Belarus. However, these demands have not been heeded due to Belarus's strong ties with Russia. The regime does not seem to be influenced by international rules, resolutions, or sanctions.
Why is he chasing union members in the first place?
Mariya: Independent trade unions pose a threat to the regime as a form of union for workers, as well as organizational and legal support and the ability to defend their rights. The fact is that the state in Belarus is the main employer, the state system is built on the deliberate and systematic violation of workers' rights. The instruments for rooting this system are presidential decrees, controlled ministries and state trade unions. That’s why working contracts in Belarus mostly one year contracts. That makes workers totally dependent on the government with no chance to be protected by trade union.
A lot of workers who tried to protest now are excluded from the profession and can’t find a job. Those who participated a strike are in prison under criminal articles. Most of them are in the list of extremists with tougher conditions of detention in prison
What kind of support are you hoping for from this Congress and other trade unions, including national trade unions?
Mariya: We hope for the united support of all our partners, particularly trade unions, not only in Germany but also in other countries. We ask to organize a three-party dialogue involving trade unions, governments and our organization, following the guidelines set in the 33rd paragraph* accepted by the International Labour Organization (ILO) and new resolutions and values from the European Union (EU). This support would be invaluable as conditions for prisoners in Belarus continue to deteriorate.
Is it even possible for trade unions to have any influence or operate under these conditions in Belarus?
Mariya: No, unfortunately it's impossible. There are no civil organizations left in Belarus; they have all been dissolved or are government-controlled. The Federation of Trade Unions of Belarus, a fake trade union, serves the government's interests rather than protecting labor rights. I call for a tripartite dialogue between trade unions in Germany, PGP, other trade unions, and federations in our partner countries.
What does this situation mean for you personally? Are you working in exile now?
Mariya: Yes, working in exile is the only option because all civil organizations in Belarus have been dismantled, and those who remain are either in prison or have left the country. Belarus even changed its criminal code to prohibit any unregistered activity. Engaging in political or any form of activism in Belarus is highly dangerous.
So, what steps do you believe are necessary to restore freedom of association and labor rights in Belarus?
Mariya: We are currently working on ideas and measures to establish a council on Belarus. We invite all our partners and organizations to participate in discussions on these measures and engage in a tripartite dialogue to achieve freedom of association in Belarus. This includes holding the Belarusian government accountable for human rights violations and adhering to ILO conventions. We are still in the process of developing these ideas. We also need to monitor the situation with organizations, companies, and sanctions. There are various ways to push for change at the political and government levels within EU member countries and potentially beyond. It's crucial to inform workers in Germany and other countries about the real situation in Belarus to counteract misinformation.
It seems there is still some confusion and misinformation due to propaganda.
Mariya: Yes, there is still a lot of misinformation.Even now, with the acceptance of the 33rd paragraph against Belarus, it's clear that the Belarusian regime does not represent the Belarusian workers or society at all.
Does this Congress provide you with more confidence?
Mariya: Yes, it's crucial and strengthens our resolve in the struggle. We see the support from a significant number of people, especially within major trade unions like ver.di and other confederations. This support shows that Belarusian people are not isolated from Europe and that Belarusian workers are not isolated from the international labor movement. Even in the face of Lukashenko's regime, they can still rely on the support of the international community, which is vital for them.
Nevertheless we call our partners for solidarity actions in any form online and offline, for spreading of Belarusian agenda among members as well as supporting our campaign about 33 paragraph. In cooperation with association “Salidarnast” organise meetings, workshops, conferences on the Belarusan issue on the basis of their trade unions. Any humanitarian support would also be greatly appreciated.
We hope that all these measures, along with the organization of dialogue at the government level and monitoring of the implementation of ILO recommendations, can bring Lukashenko's regime closer to its collapse
*The ILO implemented 33 paragraph against Belarus. That happened before only once in the history of the ILO against Myanmar. The Lukashenko regime systematically violates fundamental ILO conventions and workers' rights from the first year of formation.