Nach E kommt F. Jedenfalls im Alphabet. Am fünften Tag bzw. Abend des ver.di-Bundeskongress wurde aber nach einer sehr engagierten und bewegenden und auch anstrengenden Debatte zum Thema Friedenspolitik im Sachgebiet E noch das Sachgebiet D dazwischengeschoben. Dann folgte am späten Donnerstagabend die Antragsberatung zum Sachgebiet F „Bildungspolitik und berufliche Bildung“. Inklusive drei Änderungsanträgen standen hier 52 Anträge zur Abstimmung.
Der Antrag F 021 „Hans-Böckler-Stiftung“ war in der Einzelabstimmung als erstes in der Debatte. Er besagt, dass sich ver.di als Gesamtorganisation in Zusammenarbeit mit dem DGB über die entsprechenden Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Hans-Böckler-Stiftung (HBS) dafür einsetzt, „dass eine Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft für ein Stipendium bei der HBS für die Auswahl maßgeblich ist“. Im Mitbestimmungs-, Forschungs- und Studienförderungswerk des DGB müsse sich bei der Auswahl der Stipendiat*innen niederschlagen, dass „zumindest ein gewerkschaftliches Grundverständnis bei den Stipendiat*innen vorhanden ist“, heißt es im Antrag der Bezirksjugend aus Baden-Württemberg. In der Begründung ist zu lesen, dass aktuell viele Stipendiat*innen in der HBS keine Gewerkschaftsmitglieder sind. Eine solche Mitgliedschaft wäre nicht notwendig, heiße es oft bei der HBS. Bei den Stipendiat*innen werde so eine gewerkschaftsablehnende Haltung erzeugt. „Für eine Stiftung, die sich gewerkschaftsnah nennt, kann es nicht der Anspruch sein, dass Gewerkschafter*innen bei gleicher persönlicher Eignung abgelehnt werden.“ Die Antragskommission hatte die Annahme als Arbeitsmaterial zur Weiterleitung an den Bundesvorstand empfohlen.
In der dazugehörigen regen Debatte berichteten viele Delegierte, die selbst HBS-Stipendiat*innen waren oder sind, von ihren Erfahrungen mit der HBS und plädierten für eine Änderung in „Annahme“. Zum Beispiel Elisabeth Merz, die berichtete, dass sie immer wieder in der Stipendiaten-Gruppe erlebe, „dass Menschen überhaupt kein gewerkschaftliches Selbstverständnis haben“. Das empfinde sie aber als schwierig. Der Delegierte Matti Gantenberg, seit vier Semestern Stipendiat, berichtete, dass es bei der HBS „absolut keine gewerkschaftliche Orientierung mehr in der Stipendienausrichtung“ gäbe. Im Gegenteil: „Es wird den Leuten gesagt, gewerkschaftliche Arbeit kann man ruhig sein lassen. Man sei da zum Studieren und für nichts Anderes. Das kann doch nicht sein.“ HBS-Stipendiatin Katharina Sieben hob in ihrer Rede wie viele weitere Delegierte auch hervor, „dass die HBS einen wirklich guten Job macht“. Sie erzählte aber, dass sie zur Abstimmung oft Bewerbungen zu Gesicht bekäme und „es viele Menschen gäbe, die mir nicht erklären können, was Solidarität ist. Sie wissen nicht, wer Hans Böckler ist, was eine Gewerkschaft ist, was der DGB ist“. Selbst wenn man nicht Mitglied sei, sollte man sich darüber informieren, bevor man sich bei einer Stiftung für ein Stipendium bewerbe.
Andrea Kocsis, stellevertretende Vorsitzende und im Vorstand der Hans-Böckler-Stiftung, betonte in ihrem Redebeitrag, dass die Stipendien nur zum Teil aus der HBS finanziert werden. „Wir wissen aber, dass es diese Problemlagen gibt. Wir diskutieren das schon lange. Wir haben eine neue Geschäftsführerin, und wir haben uns darauf verständigt, dass wir das ganze System jetzt noch einmal evaluieren.“ Weiter berichtete sie, dass in steigender Zahl in den letzten Jahren mehr ver.di-Mitglieder gefördert wurden. „Es kann noch besser werden, denn ihr sagt zu Recht: Da muss der gewerkschaftliche Grundgedanke hinein.“ Es gäbe immer noch Leute, die gar nicht wüssten, dass sie durch Gewerkschaften und Abführungen usw. finanziert werden. Andrea versprach: „Wir packen das an. Es ist schon zugesagt, es ist auch schon auf dem Weg.“
Claudia Nowak von der Antragskommission betonte, es ginge nicht darum, dass der Antrag abgelehnt werden solle, sondern er werde als Arbeitsmaterial zur Weiterleitung an den Bundesvorstand gegeben. „Das ist eine Annahme. Es soll also weiter Thema bleiben.“ Die Delegierten folgten der Empfehlung: Annahme als Arbeitsmaterial an den Bundesvorstand.
Danach ging es in der Antragsberatung zügig weiter. Im Untersachgebiet 1 Allgemein wurden in Blockabstimmung weitere Anträge abgestimmt, es wurde der Empfehlung der Antragskommission gefolgt. Hier wurden beispielsweise Anträge wie zur „Erhöhung der finanziellen Ausstattung der Schulen, Hochschulen und Universitäten“, „Gute Ausbildung im Gesundheitswesen 2.0“, „Ausbildungsoffensive in der frühkindlichen Bildung“ und „Stärker werden im schulischen Ganztag“ angenommen.
Im Untersachgebiet Bildungspolitik wurde anschließend der Antrag F 023 „Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) reformieren“ in geänderter Fassung in Einzelabstimmung angenommen. ver.di unterstützt damit die Forderungen aus der Kampagne des freien Zusammenschluss Student*innenschaften in Kooperation mit dem Bündnis „50 Jahre BAföG -Jugend. Diese umfassen (k)ein Grund zu feiern!“. Im angenommenen Antrag heißt es unter anderem: Wir fordern: Rückkehr zum Vollzuschuss, Wiedereinführung des allgemeinen Schüler*innen-BAföGs ab Klasse 10 ohne Sonderbedingungen, Anpassung der Fördersätze an die Realität, Flexible und realistische Wohnkostenübernahme, Klare Perspektive zur familienunabhängigen Förderung, Erhöhung der (Eltern-)Freibeträge, Unabhängigkeit vom Aufenthaltsstatus, Altersunabhängigkeit, Verlängerung der Förderungshöchstdauer und Abschaffung der Leistungsnachweise. In der folgenden En-Bloc-Abstimmung wurden weitere Anträge zum BAB und Bafög abgestimmt. Es wurde der Empfehlung der Antragskommission gefolgt. Ebenso beim Antrag F 029 (Freier Zugang zu Bildung) und den zwei Anträgen zum Bildungsurlaub (F 031 bis F 033).
Über den Antrag F 030 „Frühkindliche Bildung – Moratorium sofort!“ wurde in Einzelabstimmung entschieden. Lars Wiele von der Antragskommission erklärte zu Beginn, warum sie hier eine Annahme empfehlen: „Wir sehen grundsätzlich etwas Gutes in dem Antrag, sehen aber auch, dass insgesamt ein Spannungsfeld zwischen der Anzahl von Kita-Plätzen und der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zu sehen ist.“ Es folgten einige Diskussionen und Redebeiträge. Marina Jachenholz aus der Hamburger Kita Elbkinder sagte, sie freue sich sehr, dass während des Kongresses in Bezug auf Kitas Aktionen stattgefunden haben. Sie freue sich auch, dass dieser Antrag zur Weiterleitung als Arbeitsmaterial empfohlen werde. Die Formulierung des Antrages sei tatsächlich etwas unglücklich, „weil wir natürlich nicht die frühkindliche Bildung aussetzen wollen, sondern wir wollen den Kita-Ausbau aussetzen, und zwar so lange, bis das Personal in Kindertagesstätten vorhanden ist.“ In der anschließenden Abstimmung folgten die Delegierten überwiegend der Empfehlung der Antragskommission.
Ohne Redebeiträge verlief der letzte Teil des langen Abends. Er befasste sich mit dem Untersachgebiet Berufliche Bildung, mit dem Einzelberatungsantrag F 049 „Ergänzung des Berufsbildungsgesetzes“. In geänderter Fassung wurde der Antrag angenommen. Das heißt, ver.di setzt sich dafür ein, „dass Ausbilder*innen nicht mehr als 16 Auszubildenden / duale Studierende in einer Gruppe unmittelbar selbst ausbilden.“
Ganz zum Schluss wurden in En-bloc-Abstimmung die Anträge F 034 bis F 048 abgestimmt und der Empfehlung der Antragskommission gefolgt. Damit wurde das Sachgebiet F um 5 Minuten vor Mitternacht abgeschlossen und die Delegierten und alle anderen Kongressbeteiligten nach einem sehr langen und aufreibenden Tag und Abend in die wohlverdiente Nachtruhe geschickt.
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