ver.di: Khaing, Du bist Präsidentin der Gewerkschaft der Industriebeschäftigten in Myanmar, lebst aber in Deutschland im Exil, warum?
Khaing Zar: Weil wir einen Militärputsch hatten. Ich war für drei Monate nach Deutschland für ein Master-Programm gekommen, als das Militär putschte. Gegen mich sowie für die gesamte Führung unserer Gewerkschaft liegen Haftbefehle vor. Würde ich jetzt nach Myanmar zurückkehren, würde ich sofort verhaftet werden. Deshalb musste ich politisches Asyl in Deutschland suchen.
Welche Beschäftigten vertritt deine Gewerkschaft?
Unsere Mitglieder sind vor allem in der Textilbranche und im Haushaltssektor beschäftigt.
Wie könnt ihr euch als Gewerkschaft in der momentanen Situation für sie einsetzen?
Wir Gewerkschaften in Myanmar hatten lange kein Recht auf Vereinigungsfreiheit. Erst nach der Wahl 2010, damals stand Myanmar unter Wirtschaftssanktionen, erhielten wir das Recht. Das damalige Militär arrangierte sich mit uns nach außen, um Unterstützung internationaler Regierungen zu bekommen. Und dann, nach den Wahlen, wurde Myanmar zu einem demokratischen Land und wir Gewerkschaften erhielten Rechte wie die Vereinigungsfreiheit. Doch jetzt haben wir wieder eine Militärregierung, die unsere Rechte kassiert. Wir drängen die Internationale Arbeitsorganisation, die ILO, dafür zu sorgen, dass es in Myanmar ein Gesetz zur Arbeitsorganisation gibt, damit wir unser Recht auf Vereinigungsfreiheit wieder wahrnehmen können.
2012 hatten wir eine Menge Probleme im Land, weil wir keine Rechte hatten, uns für die Beschäftigten oder die Menschenrechte einzusetzen. Die Löhne waren sehr niedrig und die Arbeitsbedingungen sehr schlecht.
Wir Gewerkschaften haben die Arbeiter organisiert und in vielen Fabriken Tarifverhandlungen geführt. Aber natürlich gibt es nach wie vor eine Menge Probleme. Während Corona haben sich die internationalen Modemarken einfach zurückgezogen, das haben wir auch kommuniziert. Aber uns ging es darum, wie bringen wir die Arbeiter zurück in die Fabriken? Heute sind die Beschäftigten sozial abgesichert, gesetzlich stehen ihnen Geldleistungen für den Krankheitsfall und Frauen in der Schwangerschaft, Vaterschafts- und Mutterschaftsurlaub zu. Und wir haben auch ein Urlaubs- und Feiertagsgesetz. Wir haben dafür gesorgt, dass die Arbeiter einen bezahlten freien Tag in der Woche haben.
Gelten diese Leistungen und Rechte nur für Gewerkschaftsmitglieder oder für alle Beschäftigten im Land?
Der Mindestlohn, den auch wir durchgesetzt haben, gilt landesweit für alle Beschäftigten. Dafür haben wir eine nationale Mindestlohnkommission, in der ich im Prinzip Mitglied bin. Was die Sozialversicherungsleistungen betrifft, sollen sie für alle Arbeitnehmer gelten, aber Arbeitnehmer, die Mitglied bei uns sind, können sie meist voll in Anspruch nehmen, denn wenn sie die Leistung nicht erhalten, können sie sich bei uns melden, und wir klären das dann für sie. Wer nicht organisiert ist, hat diese Möglichkeit nicht. Wir bauen deshalb jetzt auch Gewerkschaften in den Fabriken im Süden des Landes auf.
Du bist die Vorsitzende eurer Gewerkschaft, wie kannst Du von Deutschland aus Deiner Aufgabe gerecht werden?
Ich arbeite noch mit unseren Mitgliedern, aber wir können nicht alle unsere Mitglieder erreichen. Viele von unseren Mitgliedern geben uns ihre Mobilnummern. Aber das Militär will uns zerschlagen. Viele unserer Führungsspitze verstecken sich, einige sind im Gefängnis. Alles, was wir schon einmal erreicht haben, drohen wir gerade wieder zu verlieren. Ich habe festgestellt, dass wir zwar noch Einigungen erzielen können, diese aber vor Ort nicht vollständig umsetzen können.
Wie gehen die Beschäftigten mit dieser Situation um?
Als der Staatsstreich stattfand, schlossen sich die Arbeiter der großen Demonstration am 14. März 2021 an. Das Militär schlug die Demonstration nieder, mehr als 100 Menschen starben an diesem Tag. Und am nächsten Tag setzen sie das Kriegsrecht ein, Gemeindeleiter und Gewerkschaftsführer wurden verhaftet. Auch viele Arbeiter mussten fliehen. Darunter viele Frauen aus der Textilbranche. Ich habe versucht, den Frauen wieder einen Job zu verschaffen, aber es war kaum möglich. Die Militärs haben 140 Fabrik geschlossen.
Habt ihr Forderungen an die internationale Gemeinschaft?
Wir sagen der internationalen Gemeinschaft, einschließlich den Modemarken, hört auf, Geschäfte mit der Junta zu machen, zieht euch zurück.
Hast du die Hoffnung, dass sich die Situation ändern wird?
Ja, weil wir jetzt eine Menge Druck auf internationale Unternehmen ausüben. Wir befinden uns in einer wirklich beschämenden Situation, das Militär begeht Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wir glauben aber, dass das Militär am Verlieren ist. Wenn wir es wirklich wollen, werden wir es beseitigen.
Khaing Zars Gewerkschaft ist Mitglied der IndustriALL Global Union, dem internationalen Dachverband der Industriebeschäftigten. Khaing ist zudem eines der Vorstandsmitglieder der Confederation of Trade Unions Myanmar.