Gerechtere Löhne und bessere Arbeit, für diese Ziele haben sich die arbeitenden Menschen vor mehr als 150 Jahren in Gewerkschaften zusammengeschlossen. Und sie haben von ihren Anfängen an dafür gefochten, dass sie im Alter abgesichert sind. Denn in den Arbeiterfamilien herrschte die blanke Not, wenn im Alter oder wegen Invalidität die Arbeitskraft zur Lohnarbeit nicht mehr reichte. Dann waren sie angewiesen auf Almosen und gnädige Wohltätigkeit. Diese Not musste ein Ende haben. Es waren die Buchdrucker, die Mitte des 19. Jahrhunderts die erste gewerkschaftliche Unterstützungskasse gründeten, eine Invaliden- und Witwenkasse. Das war Selbsthilfe, die Gewerkschaften setzten auf die Solidarität der Gemeinschaft. Und Solidargemeinschaften sind die Gewerkschaften bis heute. Je mehr dabei sind, desto stärker sind sie. Für uns alle.
Im Jahr 1889 verabschiedete der Reichstag unter Reichskanzler Otto von Bismarck das „Invaliditäts- und Alterssicherungsgesetz“. Der Anfang der gesetzlichen Rentenversicherung. Ein Meilenstein in der Geschichte der Sozialgesetzgebung. Und eine Erfolgsgeschichte, wenn auch erst sehr viele Jahre später. Bismarcks Invaliden- und Altersrente von 1889 war lediglich als „Sicherheitszuschuss zum Lebensunterhalt“ gedacht. Zum Leben reichte das nicht. Und Anspruch darauf hatten auch nur diejenigen, die das 70. Lebensjahr erreichten – was damals kaum einem Arbeiter vergönnt war. Die Lebenserwartung der Männer und Frauen betrug zu Bismarcks Zeiten keine 50 Jahre.
Das Bismarcksche Gesetz brachte zwar erstmals einen rechtlichen Anspruch, linderte aber nicht die Not. Und darauf hatte der Reichskanzler auch nicht allein gesetzt: Seine Hoffnung war es vielmehr, mit den Sozialgesetzen die wachsende Stärke der Arbeiterbewegung eindämmen zu können. Die Gewerkschaften wurden dennoch stärker. Mehr und mehr Berufsgruppen schlossen sich zusammen, gründeten ihre Verbände und ihre gewerkschaftlichen Solidarkassen – auch für die Rente im Alter. Doch nicht nur das: Beharrlich haben sich die Gewerkschaften dafür eingesetzt, dass neben ihren Solidarkassen auch die staatlichen Sozialgesetze Zug um Zug verbessert wurden. Mit Erfolg: 1911 wurde die eigenständige Angestelltenversicherung eingeführt und für die Arbeiterfamilien die Hinterbliebenenrente für Witwen und Waisen. Und 1916 – mitten im Ersten Weltkrieg – ein Rentenanspruch ab dem 65. Lebensjahr für alle abhängig Beschäftigten. Die Gewerkschaften ließen nicht nach: Sie kämpften für bessere Löhne für ein besseres Leben – und für mehr Sicherheit und Würde im Alter. So, wie sie es bis heute tun. Für uns.
1933 zerschlugen die Nationalsozialisten die freien Gewerkschaften und raubten ihr Vermögen, zu dem auch die gewerkschaftlichen Solidarkassen zählten. Die hatten die Gewerkschaften auch in schwersten Zeiten wie dem Ersten Weltkrieg und der Inflation in der Weimarer Republik stetig fortführen können. Denn noch war die staatliche soziale Vorsorge bei weitem nicht ausreichend. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 setzten die Gewerkschaften sich jedoch vorrangig für eine Neuordnung der gesetzlichen Rentenversicherung ein und stritten für deutlich höhere Renten. Mit dem klaren Ziel: „Der Arbeiter und Angestellte, der während seines ganzen Arbeitslebens Beiträge zu einer Rentenversicherung gezahlt hat, erwirbt damit ein Recht auf eine ausreichende Rente.“ So der Deutsche Gewerkschaftsbund, DGB, 1955. Und daran halten die Gewerkschaften bis heute fest. Und kämpfen darum.
Mit der Rentenreform von 1957 unter Bundeskanzler Konrad Adenauer, CDU, sahen die Gewerkschaften ihre wichtigsten Forderungen erfüllt. Es war ein grundlegender Wechsel in der Rentenpolitik. Statt lediglich ein „Zuschuss zum Lebensunterhalt im Alter“ zu sein, sollte die Rente künftig den Lebensstandard sichern, der im Erwerbsleben erreicht worden war. Erstmals war von „Rente als Lohnersatz“ die Rede. Zugrunde lag der Reform ein „Solidarvertrag der Generationen“: Finanziert wurden die Renten fortan aus den Beiträgen der Erwerbstätigen. Ein anderes Kernstück der Rentenreform war die Dynamisierung, die Renten sollten regelmäßig an die Lohnentwicklung angepasst werden. Ausdrücklich angestrebt wurde seinerzeit ein Rentenniveau in Höhe von 60 Prozent der durchschnittlichen Bruttoeinkommen.
Die Rentenreform war 1957 gegen den entschiedenen Protest der Arbeitgeberverbände erfolgt. Und sie war eines der großen Themen im damaligen Wahlkampf vor der Bundestagswahl. Die CDU/CSU unter Konrad Adenauer, der gegen alle Proteste an der Reform festgehalten hatte, erzielte seinerzeit die absolute Mehrheit, das einzige Mal in der Geschichte der Bundesrepublik. Heute sind es wieder die Gewerkschaften im DGB, die die Stärkung der gesetzlichen Rente fordern. Denn sie, das haben die vergangenen Jahrzehnte erwiesen, ist das stabilste und sicherste System der Altersvorsorge. Allerdings ist das Reformwerk von 1957 durch eine neuerliche Rentenreform im Jahr 2001 elementar geschwächt worden. Deswegen fordern die Gewerkschaften die Stärkung der gesetzlichen Rente.
Die Wirkungen der Rentenreform von 2001 sind bereits heute bei vielen Rentnerinnen und Rentnern voll spürbar, da das Rentenniveau bereits jetzt auf knapp 48 Prozent abgesunken ist. Und diese Entwicklung geht weiter. Langjährige Beitragszahler mit einem Verdienst von beispielsweise 2.500 Euro brutto werden allenfalls eine Rente am Rande der Grundsicherung erreichen können. Heute bekämen sie bei 40 Jahren Rentenbeitragszahlungen netto 894 Euro vor Steuern (West, ab 1.7.2017). Und es wären nur 801 Euro, wenn heute schon die bis 2030 gesetzlich zulässige Untergrenze des Rentenniveaus erreicht wäre. Das ist eine politisch gewollte und gesteuerte Rentenkürzung. Eine systematische Senkung der Rentenbezüge, die Millionen Menschen in die Altersarmut entlassen wird. Wenn nicht gegengesteuert wird. Wir brauchen einen Kurswechsel. Und wir brauchen eine Wende auf dem Arbeitsmarkt, die Eindämmung des Niedriglohns und der unsicheren Beschäftigung in Befristung, Teilzeit oder Leiharbeit. Wir brauchen gute Löhne und sichere Arbeit. Auch, weil das die Grundlage für eine gute Rente ist. Dafür streiten die Gewerkschaften. Dafür streiten wir. Für mehr Respekt und mehr Gerechtigkeit im Arbeitsleben, für eine gesetzliche Rente, die ein Alter in Würde erlaubt. Wie vor 150 Jahren ist es wichtig, sich zusammenzuschließen, zusammenzustehen. Für gute Arbeit, gute Löhne, gute Renten.