Die digitale Umwälzung
Von Maren SkambraksBildung und Qualifizierung sind die Schlüssel, um auch in technik-turbulenten Zeiten mit menschlicher Arbeit zu bestehen. Auf der zweiten Digitalisierungskonferenz, zu der ver.di am 10. und 11. Juni in Berlin eingeladen hat, fordert ver.di-Bundesvorstands- mitglied Lothar Schröder eine Bildungsteilzeit, die das Modell der Altersteilzeit mitten ins Berufsleben verpflanze. „Daran müssen wir massiv arbeiten“, sagt er. Es dreht sich wieder alles um die Arbeit und ihre Zukunft in diesen Tagen. Der Titel der Konferenz „Arbeit 4.0 – Würde, Selbstbestimmung, Solidarität und Gute Arbeit in der digitalen Gesellschaft“ umreißt nur knapp das breite Themenspektrum, mit dem sich die rund 200 Teilnehmer/innen der Konferenz zwei Tage lang auseinandersetzen werden.
Zum Auftakt spricht der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske von „ambivalenten Chancen der intelligenten Techniken“ und der Notwendigkeit eines Beschäftigtendatenschutzgesetzes. Die Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) bescheinigt der rasanten digitalen Entwicklung eine „Janusköpfigkeit“. Nicht alles ist gut an der dieser Entwicklung, aber auch nicht alles schlecht. Für den EU-Kommissar für digitale Wirtschaft und Gesellschaft, Günther Oettinger (CDU), ist ganz klar auch die Politik gefragt, wenn es darum geht, die digitale Revolution zu gestalten.
Ein Konferenzteilnehmer„Ich arbeite im Krankenhaus und weiß wie beschissen der Datenschutz ist.“
Auf der anschließenden Podiumsdiskussion geht es darum, wie neue Technologien Arbeit und Dienstleistung verändern. Immer wieder fällt das Stichwort „Robotisierung“. In kleinen Gruppen wird weiter diskutiert, ob Menschen Anhängsel von Maschinen sind, wie die Anforderungen an gemeinwohlorientierte IT-Infrastrukturen lauten oder aber wo die Chancen und Grenzen von Assistenzsystemen im Gesundheitsbereich liegen. In diesem dritten Workshop wird einmal mehr deutlich, dass Themen wie Datenspeicherung, Ersetzbarkeit des Menschen durch Roboter und Datensicherheit eng zusammen hängen. Zwar werden auch die Vorteile der digitalen Entwicklung im Gesundheitssektor betont, etwa die Zeitersparnis bei der elektronischen Dokumentation an dezentral installierten Computern. Aber es herrscht auch Skepsis. Ein Teilnehmer des Workshops betont: „Ich arbeite im Krankenhaus und weiß wie beschissen der Datenschutz ist.“
Das Nachbeben der IT-Revolution
Am zweiten Tag der Konferenz weckt Alexander Markowetz, Professor für Informatik an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, mit seinem Beitrag zum psychosozialen Nachbeben der IT-Revolution alle auf. Er ist der Meinung, dass gerade die sozialen Folgen des technischen Wandels ein klassischer Ansatzpunkt für Gewerkschaften sind und liefert das Vorwort zur anschließenden Podiumsdiskussion. Und die hat es in sich. Denn es geht um Scoring und die Frage, ob eine Individualisierung der Risiken das Ende der Solidarsysteme bedeutet.
Klaus Müller, Vorsitzender der Verbraucherzentrale Bundesverband„Daten werden die zweite Währung neben dem Euro werden.“
Aber was ist Scoring? Es ist die automatisierte Bewertung von Menschen; die Einschätzung, wie wahrscheinlich sie gewisse Risiken tragen. Das Ganze basiert auf zunächst anlasslos gesammelten Daten, mit Hilfe derer dann bestimmte Muster gefunden werden: Big Data. Scoring hat seinen Ursprung in der Versicherungswirtschaft, wird inzwischen aber in vielen Bereichen eingesetzt. So arbeiten inzwischen auch Krankenversicherungen im Ausland nach diesem Prinzip. Auch für Deutschland sind ähnliche Krankenversicherungs-Modelle angedacht. Schnell fällt in der Diskussion deshalb der Begriff Diskriminierung. Denn wer seine Gesundheitsdaten nicht preisgeben möchte, könnte in Zukunft mit höheren Versicherungsbeiträgen bestraft werden. Klaus Müller, der auf dem Podium an der Diskussion teilnimmt und Vorsitzender der Verbraucherzentrale Bundesverband ist, betont: „Daten werden die zweite Währung neben dem Euro werden.“ Und genau deshalb dürfe Datenschutz nicht der Luxus von Einzelnen sein.
Crowds radikalisieren das Konkurrenzprinzips
Die folgenden Workshops vertiefen die Themen des Tages noch einmal. Es geht um die Zukunft der Mitbestimmung, um Big Data, den Beschäftigtendatenschutz und Persönlichkeitsrechte. Aber auch um Autonomie und Prekarität, um digitale Arbeit jenseits der Festanstellung und um neue Arbeitsformen, die Click Working, Crowd Working oder Soloselbstständigkeit heißen. Es wird deutlich, dass die Crowd als neue Form der Arbeitsorganisation zu einer Radikalisierung des Konkurrenzprinzips führt. Ein Workshop-Teilnehmer stellt die Frage, ob Gewerkschaften diese vereinzelt arbeitenden Beschäftigten, die häufig nicht mehr in klassischen Betriebszusammenhängen tätig sind, organisieren können. Die Antwort, auf die sich die Teilnehmer des Workshops am Ende einigen können: Hier muss der Gesetzgeber Rahmenbedingungen schaffen, um prekäre Arbeitsformen wie die des Click Workers einzugrenzen.
Die abschließende Podiumsdiskussion mit Vertretern internationaler Gewerkschaften macht mit dem Blick über den bundesdeutschen Tellerrand deutlich, dass die geplante Datenschutzgrundverordnung der Europäischen Union dringend notwendig ist. Auch wenn diese Verordnung, wie Constanze Kurz vom Chaos Computer Club sagt, durchaus verbesserungswürdig ist. Hier seien auch die Gewerkschaften gefragt, sich für Nachbesserungen einzusetzen.
Zusammenfassend lassen sich zwei Leitlinien festhalten, die sich durch alle Vorträge, Workshops und Podiumsdiskussionen gezogen haben: Die Digitalisierung hält ambivalente Chancen bereit und diese müssen aktiv gestaltet werden. Wenn also die „digitale Umwälzung“, wie der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske es nennt, nicht auf Kosten von Würde, Selbstbestimmung, Solidarität und Guter Arbeit gehen soll, müssen Gewerkschaften, Politik und Zivilgesellschaft gestaltend zusammenarbeiten. Für eine demokratische digitale Gesellschaft.