125 Jahre Gewerkschaftlicher Rechtsschutz

04.11.2019

Am 1. November 1894 eröffnete in Nürnberg das erste Arbeitersekretariat, eine Anlaufstelle für rechtssuchende Arbeiter*innen. Es markiert damit den Beginn der institutionalisierten Rechtshilfe als Bestandteil der gewerkschaftlichen Arbeit. Heute ist der Rechtsschutz ein selbstverständlicher Teil der Mitgliederleistungen einer Gewerkschaft, auch bei ver.di. Mitglieder haben einen in der ver.di-Satzung verankerten Anspruch darauf, in rechtlichen Fragen beraten und im Konfliktfall auch gegenüber ihren Arbeitgebern oder den Sozialversicherungsträgern vor Gericht vertreten zu werden. Zum Teil erbringen sie diese Leistung durch eigene Beschäftigte, zum Teil durch die DGB Rechtsschutz GmbH.

 
ver.di Rechtsschutz


Der Beginn des Rechtsschutzes als breit aufgestellte Institution ist die Gründung der Arbeitersekretariate. Zwar gab es schon Anfang des 19. Jahrhunderts, insbesondere im Bergbau, sogenannte Rechtsschutzvereine, die den Bergleuten bei ihren Beschwerden gegen die Oberbergämter halfen. Mit den Arbeitersekretariaten dehnte sich diese Möglichkeit jedoch auf die gesamte Arbeiterschaft aus. Der Rechtsschutz war umfassender und professioneller.

Hinzu kam, dass durch die Bismarck'sche Sozialgesetzgebung Ende des 19. Jahrhunderts zwar neue Ansprüche für die Arbeiter*innen geschaffen wurden, diese waren jedoch zum Teil nur schwer zu verstehen und noch schwieriger durchzusetzen. Das Bedürfnis an qualifizierter Rechtsberatung war also erheblich gewachsen. Nicht verwunderlich ist daher, dass das 1894 gegründete Arbeitersekretariat in Nürnberg nicht nur schnell wuchs, sondern auch viele Nachahmer fand. Bis zu Beginn des Ersten Weltkriegs wuchs die Zahl die Arbeitersekretariate auf insgesamt 127.

War das Arbeitersekretariat ursprünglich also ein aus dem Bedürfnis nach Rechtsauskunft und Rechtshilfe heraus entstandenes Institut kollektiver Selbsthilfe der organisierten Arbeiterschaft, so ging dies allmählich ganz in die Hoheit der Gewerkschaften über. Die Leistungen des Arbeitersekretariats waren von Anfang an allen Betroffenen kostenfrei zugänglich. Auskunft erhielten nicht nur organisierte Arbeiter*innen. Doch stieg der Organisationsgrad der Rechtsuchenden von etwa 30 bis 38 Prozent im Jahre 1904 auf 78,4 Prozent im Jahre 1913.

Ursprünglich gegründet, um Hilfestellung in sozialversicherungsrechtlichen Fragen zu geben, beschäftigte sich das Arbeitersekretariat mit einer Vielzahl von Rechtsfragen. Ab 1906 traten die Arbeitersekretäre auch bei Gericht auf. Die Arbeitersekretäre verstanden sich aber als Streiter für das Recht der Arbeiter in einem umfassenden Sinne. Viele Arbeitersekretäre engagierten sich politisch, traten als Redner bei Gewerkschaftsversammlungen auf und waren lokal gut vernetzt.

Der erste Arbeitersekretär, Martin Segitz, wurde im März 1919 Präsident und Innenminister der bayerischen Räterepublik, andere Arbeitersekretäre waren Abgeordnete, Minister, oder gar Reichskanzler. Der prominenteste Arbeitersekretär ist zweifellos der spätere Reichspräsident Friedrich Ebert.

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