Ein dienstliches Telefonat nach Feierabend? Mal kurz am Wochenende ein paar E-Mails beantworten? Überstunden, die nicht ausgeglichen werden? Aus einigen Minuten können am Ende der Woche schnell ein paar nicht erfasste Überstunden, und eben Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz werden. Das soll es nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) eigentlich nicht mehr geben. Auch das Arbeitsministerium hat nun auf Urteile des EuGH reagiert und einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt.
Das Bundesarbeitsministerium plant eine Reform des Arbeitszeitgesetzes und hat einen Entwurf zur Arbeitszeiterfassung vorgelegt. Der neue Gesetzentwurf sieht unter anderem vor, dass Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit elektronisch und noch am selben Tag aufgezeichnet werden soll. Für Tarifpartner sind jedoch Ausnahmen vorgesehen. Kleinbetriebe mit bis zu zehn Mitarbeitern sind beispielsweise von der Regelung über elektronische Aufzeichnung ausgenommen. Der Gesetzentwurf werde nun innerhalb der Bundesregierung abgestimmt.
ver.di begrüßt, dass das Bundesarbeitsministerium nun seinen lange erwarteten Entwurf zur Arbeitszeiterfassung vorgelegt hat, der Vorschlag entspreche allerdings nicht unseren Vorstellungen, so eine ver.di Sprecherin: „Der Arbeitgeber ist verpflichtet, ein System einzuführen und zu nutzen, mit dem die geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Das steht völlig außer Frage. Der vorgelegte Vorschlag entspricht allerdings nicht unseren Vorstellungen. Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung sollte im Arbeitsschutzgesetz geregelt werden.“
Für Millionen Beschäftigte ist das vorausgegangene Urteil des EuGH und der nun vorgelegte Entwurf dennoch ein ermutigendes Signal: Gut, wenn endlich die realen Arbeitszeiten erfasst werden. Denn ohne ein Zeiterfassungssystem, das die tägliche Arbeitszeit der Beschäftigten misst, können weder die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden noch Ruhezeiten und die Zahl der Überstunden verlässlich ermittelt werden. Für die Einhaltung des Arbeitszeitschutzes ist das aber unverzichtbar. Wenn die Arbeitszeit nicht erhoben wird, ist es für Beschäftigte sehr schwierig, ihre Rechte durchzusetzen.
Forderungen der Arbeitgeberverbände gefärden Gesundheit
Der Ruf von Arbeitgeberverbänden nach einer Aufweichung der gesetzlichen Arbeitszeitregeln wird immer lauter. Doch sich abends nochmal an den Schreibtisch zu setzen, nur um Erwerbstätigkeit und Familienleben besser unter einen Hut zu bringen, ist für die überwältigende Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer keine Option. Das zeigt eine neue Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Knapp 97 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer möchten spätestens um 18 Uhr mit der Erwerbsarbeit abschließen.
In vielen Berufen kommen Beschäftigte früher und gehen später, um bei der viel zu dünnen Personaldecke ihre Arbeit überhaupt bewältigen können. Auch aus einigen Minuten können am Ende der Woche schnell zwei bisher nicht erfasste Überstunden, und eben Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz werden. Überstunden werden in vielen Betrieben weder bezahlt noch in Freizeit vergütet. Die realen Arbeitszeiten sind heute bereits höher als die tariflich vereinbarten. Die massiven Forderungen der Arbeitgeberseite und der Wirtschaftslobby nach weiterer Arbeitszeitverlängerung, Verkürzung von Ruhezeiten und ungehemmter Flexibilisierung gefährdet unserer aller Gesundheit erheblich.
Um Beschäftigte zu schützen und Arbeitgebern bundesweit grundsätzlich einheitliche Regelungen vorzugeben, wurde 1994 das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) erlassen. Es gilt für Arbeitsverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland und regelt Höchstarbeitszeiten, Ruhezeiten, Ruhepausen und vieles mehr. Einige Branchen und Jobs sind von diesen Regelungen ausgenommen, so zum Beispiel Chefärzte, Schiffsbesatzungen oder der öffentliche kirchliche Dienst; ausgenommen sind auch leitende Angestellte und Geschäftsführer.
Nach dem deutschen Arbeitszeitgesetz mussten bisher nur Überstunden und Sonntagsarbeit dokumentiert werden, nicht die gesamte Arbeitszeit. Nach dem jüngsten Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 13. September 2022 besteht in Deutschland nun jedoch eine Pflicht zur systematischen Erfassung der gesamten Arbeitszeit. Die Präsidentin des höchsten deutschen Arbeitsgerichts, Inken Gallner, begründete die Pflicht von Arbeitgebern mit der Auslegung des deutschen Arbeitsschutzgesetzes nach dem sogenannten Stechuhr-Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Mai 2019.
Mit Beschluss vom 13.9.2022 (1 ABR 22/21) hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, sämtliche Arbeitszeiten Ihrer Beschäftigten zu erfassen. Dem vorausgegangen war die EuGH-Entscheidung zur Arbeitszeiterfassung vom 14.5.2019 (C -55/18 [„CCOO"]) derzufolge die Mitgliedsstaaten verpflichten sind, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Dies hat das Bundesarbeitsgericht nun bestätigt, wobei dessen Präsidentin am 8.2.2023 nochmals darauf hingewiesen hat, die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung in Deutschland schon jetzt besteht - unabhängig von der geplanten Änderung des Bundesarbeitszeitgesetzes. Über die konkrete Ausgestaltung vor Ort entscheiden weiterhin die Tarifvertrags- und Betriebsparteien.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit einem Urteil von Mai 2019 Arbeitgeber verpflichtet, die volle Arbeitszeit ihrer Beschäftigten ab der nullten Stunde systematisch zu erfassen. Das Urteil soll für mehr Arbeitsschutz sorgen und ausufernde Arbeitszeiten eindämmen. Der EuGH legt letztverbindlich EU-Recht aus und hat entschieden, dass sich die Pflicht zur Zeiterfassung aus der Europäischen Grundrechtecharta und dem Grundrecht der Arbeitnehmer*innen (Recht auf gesunde und sichere Arbeitsbedingungen inklusive des ausdrücklichen Rechts auf Begrenzung der Höchstarbeitszeit sowie auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten) als wichtigem sozialpolitischen Grundsatz ergibt.
Dem Urteil vorausgegangen war eine Klage der spanischen Gewerkschaft CCOO gegen die Deutsche Bank SAE wegen des Fehlens eines betriebsinternen Systems zur Erfassung der von den Beschäftigten dieses Unternehmens geleisteten täglichen Arbeitszeit. Ohne derartige Erfassungssysteme könnte die Einhaltung der Zeiten nicht überprüft werden. In Deutschland besteht nach dem Arbeitszeitgesetz nur die Pflicht, die über acht Stunden hinausgehende Arbeitszeit zu erfassen. Gewerkschaften betonen bereits seit Längerem, dass diese Aufzeichnung nur möglich sei, wenn auch die Arbeitszeit unterhalb von acht Stunden registriert würde.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat Arbeitgeber bereits mit einem Urteil von Mai 2019 verpflichtet, die volle Arbeitszeit ihrer Beschäftigten systematisch zu erfassen. Bisher hat die Bundesregierung das deutsche Arbeitszeitgesetz noch nicht entsprechend geändert, das soll sich mit dem nun vorgelegten Entwurf ändern. Die Ampelkoalition hat in ihrem Koalitionsvertrag jedoch festgelegt, sich dem Thema der Arbeitszeiterfassung anzunehmen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wollte die anstehende Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro zum 1. Oktober und die parallele Erhöhung der Minijob-Obergrenze von 450 auf 520 Euro dazu nutzen, auch die Pflicht zur Dokumentation der Arbeitszeit für diese Jobs deutlich schärfer zu regeln. Dazu hatte er am 1. Februar 2022 einen Gesetzentwurf vorgelegt, der für elf Branchen eine Pflicht zur digitalen Erfassung aller Arbeitszeiten anordnete.
Kurz bevor der Gesetzentwurf für ein Gesetz mit dem Namen „Zweites Gesetz zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung“ im Bundeskabinett beschlossen werden sollte, hatte Heil sämtliche Passagen zur Arbeitszeiterfassung aus dem Entwurf genommen. Die strengere Arbeitszeiterfassung ist damit erst einmal erneut vom Tisch. Die FDP hatte sich mit der Argumentation, die genaue Erfassung wäre „in der Praxis nicht umzusetzen“, gegen die Neuregelung gestellt. Es bleibt daher nach wie vor erforderlich, auch in Deutschland die Verpflichtung der Arbeitgeber zu einer verlässlichen, objektiven und zugänglichen Zeiterfassung gesetzlich zu regeln.
Mit der Einführung der digitalen Zeiterfassung rückt die Frage nach der Sicherheit der Daten von Mitarbeiter*innen in Betrieben noch stärker in den Fokus. Bei jeder Arbeitszeiterfassung erhebt der Arbeitgeber personenbezogene Daten seiner Beschäftigten und muss entsprechend die Datenschutzregeln der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) beachten. Der Arbeitgeber darf und muss grundsätzlich die Arbeitszeit aufzeichnen und entsprechende Daten verarbeiten. Denn die Aufzeichnung der Arbeitszeit ist für die Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich und der Arbeitgeber verpflichtet, ein System vorzuhalten, mit dem die von jedem Arbeitnehmer geleistete tatsächliche Arbeitszeit gemessen werden kann.
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Entscheidend für die Vereinbarkeit von Datenschutz und Arbeitszeiterfassung ist die Einhaltung der Grundsätze aus Artikel 5 DSGVO. Diese besagen unter anderem, dass die Daten nur für eindeutige und legitime Zwecke erhoben und nicht für andere Zwecke verarbeitet werden dürfen. Außerdem dürfen nur so viele Daten erhoben und verarbeitet werden, wie für den Zweck nötig. Alle personenbezogenen Daten müssen nach Zweckentfall und Ablauf der gesetzlich vorgeschriebenen Aufbewahrungsfristen gelöscht werden. Sollte es Unsicherheiten in Bezug auf Arbeitszeiterfassung und Datenschutz geben, ist es immer sinnvoll, sich an den Datenschutzbeauftragten des Betriebs oder aber auch an den Betriebs- oder Personalrat zu wenden. Dieser sollte Auskunft darüber geben können, wer und wo Zugriff zu den eingegebenen Daten hat und ob eine rechtliche Grundlage dafür existiert.