ver.di warnt vor Verschärfung des Asylrechts

Die Europäische Union will Flüchtlinge abschrecken, sich abschotten und das Recht auf Asyl einschränken. ver.di schließt sich der Kritik von Hilfsorganisationen, der Kirchen und vieler Parlamentarier an der Zustimmung der Bundesregierung zu den geplanten Verschärfungen des Asylrechts an. Europa braucht vielmehr eine menschenwürdige und nachhaltige Migrationspolitik
© ver.di
Flüchtlinge
09.06.2023

Völkerrechtlich betrachtet ist die Sache eindeutig: Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 verankert in Artikel 14 das Recht auf Asyl. Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 legt fest, wer ein Flüchtling ist und welche Rechte und Pflichten er oder sie gegenüber dem Aufnahmeland hat. Und ganz wichtig: Die Konvention verbietet, einen Flüchtling in ein Land zurückzuweisen, in dem sie oder er Verfolgung fürchten muss. Lediglich bestimmte Gruppen – etwa Kriegsverbrecher – sind von diesem Flüchtlingsstatus ausgeschlossen.

Nun will die Europäische Union weitreichende Entscheidungen in der Asylpolitik treffen und rüttelt damit an diesen seit Jahrzehnten bewehrten Prinzipien. In Luxemburg haben sich die EU-Innenminister*innen am späten Abend des 8. Juni auf den Kompromissvorschlag des schwedischen EU-Ratsvorsitz zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) geeinigt. Geplant ist danach eine Politik der Abschreckung, Abschottung und eine Einschränkung des Rechts auf Asyl.

Erstmal in Asylhaft

Ankommende Menschen aus als sicher geltenden Ländern sollen künftig nach dem Grenzübertritt unter haftähnlichen Bedingungen in streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen untergebracht werden. Im Normalfall soll anschließend innerhalb von zwölf Wochen geprüft werden, ob der Antragsteller bzw. die Antragstellerin Chancen auf Asyl haben. Wenn nicht, sollen sie umgehend zurückgeführt werden.

Zudem sollen die stark belasteten Mitgliedstaaten an den EU-Außengrenzen, in denen die meisten Flüchtlinge ankommen, entlastet werden. Die Aufnahme von Flüchtlingen in den EU-Staaten soll künftig nicht mehr freiwillig, sondern verpflichtend sein. Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, sollen demnach zu Ausgleichszahlungen gezwungen werden.

 

„Wenn die Agenda von Viktor Orban und Giorgia Meloni zur Richtschnur staatlichen Handels in Deutschland und weiteren Ländern der EU wird, drohen weitreichende negative Konsequenzen für die gesellschaftliche Ordnung in Europa.“

Frank Werneke, ver.di-Bundesvorsitzender

Anlässlich des Treffens der EU-Innenminister*innen hatte ver.di an Bundesinnenministerin Nancy Faeser als Verhandlungsführerin der Bundesregierung appelliert, einer Verschärfung des Asylrechts auf europäischer Ebene nicht zuzustimmen. Den Plänen der rechtspopulistischen, nationalistischen und postfaschistischen Regierungen in der EU müsse eine Absage erteilt werden. „Wenn die Agenda von Viktor Orban und Giorgia Meloni zur Richtschnur staatlichen Handels in Deutschland und weiteren Ländern der EU wird, drohen weitreichende negative Konsequenzen für die gesellschaftliche Ordnung in Europa“, warnt der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke.

Mit den geplanten Verschärfungen des Asylrechts wie verpflichtenden Grenzverfahren an den EU-Außengrenzen unter haftähnlichen Bedingungen drohten Zustände wie in den Lagern auf den griechischen Inseln zur Regel in Europa zu werden. Diese Verfahren hätten nichts mit einem fairen, rechtsstaatlichen Vorgang zu tun, so Werneke. Romin Khan, bei ver.di zuständig für das Thema Migrationspolitik sagt: „Die auf dem Tisch liegenden Vorschläge gehen weit über reine Asylverfahrensfragen hinaus, sondern berühren die Frage, ob die EU noch rechtsstaatliche Prinzipien walten lässt oder systematisch missachtet. Bleibt es dabei, wäre das eine fürchterliche Niederlage nicht nur für asylsuchende Menschen und ihr Recht auf Schutz vor Krieg, Folter oder Verfolgung, sondern für uns alle, die wir ein anderes Europa wollen: ein Europa der Menschenrechte, der Freiheit und der Demokratie.“

 
Vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales bildeten sich 2015 lange Schlange wartender Flüchtlinge

Faktische Abschaffung des Rechts auf Asyl

Die geplante Ausweitung sicherer Drittstaaten bedeute, dass selbst geflüchtete Menschen aus Syrien oder Afghanistan in Europa zunehmend abgelehnt werden könnten – ohne ihre Fluchtgründe individuell zu prüfen, betont Frank Werneke. Gänzlich fehle die Bereitschaft im Rahmen des GEAS, die staatliche Seenotrettung im Mittelmeer zu reaktivieren und systematische Rechtsbrüche und Misshandlungen von Schutzsuchenden an den Grenzen der Mitgliedsstaaten zu unterbinden. „Wenn das Grundrecht auf Asyl nicht mehr in Anspruch genommen werden kann, kommt dies einer faktischen Abschaffung gleich“, so Werneke. Die Bundesregierung müsse stattdessen dem Koalitionsvertrag treu bleiben, der vorsehe, das Leid an den Außengrenzen zu beenden und Asylanträge von Menschen, die in der EU ankommen oder bereits hier sind, inhaltlich zu prüfen.

ver.di schließt sich damit der Kritik von etlichen Hilfsorganisationen, der Kirchen und vieler Parlamentarier aus den Reihen der Ampel-Koalition an der Zustimmung der Bundesregierung zu den geplanten Verschärfungen des Asylrechts auf europäischer Ebene an. Es ist offensichtlich, dass es eine gemeinsame und nachhaltige Migrationspolitik für Europa braucht, sagt Romin Khan. Das Ziel dieser Bundesregierung müsse es daher sein, eine solche zu entwerfen und voranzutreiben. Die Lösung könne nicht darin liegen, Instrumente zu verstärken, die heute schon systematische Menschenrechtsverletzungen erzeugen.

Maximilian Pichl, Rechts- und Politikwissenschaftler, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Fragen des Asylrechts. In einem aktuellen Interview mit der Hessenschau betont er, es sei ein Versagen der Politik und der Verwaltung, dass man nicht auf ein nachhaltiges Aufnahmesystem gepocht habe. „Man hätte Unterkünfte bereitstellen können, Mietverträge entfristen, auch Fachpersonal entfristen können.“ Und es wäre möglich, dass Menschen schneller einen Zugang zu Arbeit, Wohnungen und Sprachkursen bekämen. „Aber all das wird verhindert durch Asylrechtsverschärfungen und dadurch, dass man darauf beharrt, Menschen in großen Unterkünften festzusetzen, wo es hausgemacht ist, dass es dort zu Konflikten kommt.“

Wie geht’s weiter mit der EU-Asylpolitik?

Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems soll noch vor der nächsten Europawahl abgeschlossen werden. Die Wahl wird im Juni 2024 stattfinden. Das EU-Parlament hat seine Positionen zu den Vorschlägen im April 2023 beschlossen. Nach der jetzigen Einigung der EU-Innenminister*innen muss nun zunächst noch der EU-Rat seine Position beschließen, erst dann können die sogenannten Trilog-Verhandlungen zwischen Europaparlament, Europarat und der Europäischen Kommission beginnen. Bei unterschiedlichen Positionen der drei EU-Gremien könnte die Reform noch auf den letzten Metern scheitern. Wahrscheinlich ist das allerdings nicht. Stattdessen aber will Deutschland in den anstehenden Verhandlungen noch die Forderung nach humanitären Ausnahmen von den umstrittenen Grenzverfahren für Familien mit Kindern durchsetzen. Mit dieser Forderung ist Bundesinnenminsterin Nancy Faeser unter ihren Kolleg*innen in Luxemburg vorläufig gescheitert.

 

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