Radikalenerlass: Warten auf eine Entschuldigung

    28.01.2022

    28.01.2022 – Briefe zustellen, das war der Beruf von Werner Siebler. Bereits als 14-Jähriger begann er für die damalige Deutsche Bundespost zu arbeiten. Briefzustellung war damals noch eine hoheitliche Aufgabe, die Zusteller*innen wurden verbeamtet. Doch zum Beamten auf Lebenszeit wurde Siebler nicht ernannt. Der Grund: Sieblers Mitgliedschaft in der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP). Diese war nach dem am 28. Januar 1972 in Kraft getretenen Radikalenerlass mit dem Beamtenstatus nicht vereinbar. Siebler erhielt 1984 ein Berufsverbot.

     
    Werner Siebler konnte ab 1991 nur noch als Angestellter Briefe austragen
    © Stefan Pangritz
    Die Opfer des Radikalenerlasses warten, wie Werner Siebler, bis heute auf Aufarbeitung, Entschädigung und Entschuldigung

    Angestellter statt Beamter

    Er war zeitweise arbeitslos oder arbeitete als Kraftfahrer. Er kämpfte sich zwar 1991 vor Gericht in die Briefzustellung zurück, aber als Angestellter. Seit 2019 ist er im Ruhestand – und spürt jeden Monat die Folgen des Berufsverbots. Nach eigenen Angaben hat er mittlerweile 600 Euro weniger im Monat als ihm als Beamter auf Lebenszeit zugestanden hätte.

    Wie wirkt sich der Radikalenerlass heute noch aus?

    Im Januar jährt sich der Radikalenerlass zum 50. Mal. Eine geplante Veranstaltung in der ver.di-Bundesverwaltung wurde wegen der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie auf den 17. Mai verschoben. Siebler und seine Mitstreiter*innen haben sich im „Bundesarbeitsausschuss der Initiativen gegen Berufsverbote und für die Verteidigung der demokratischen Grundrechte“ zusammengeschlossen. Der Ausschuss nutzt den Jahrestag, um erneut auf die Situation der Betroffenen aufmerksam zu machen. Denn der Erlass wirkt bis heute nach.

    Bei einer Pressekonferenz aus Anlass des 50. Jahrestags berichtete Siebler, der Erlass schädige bis heute die demokratische Kultur. Immer wieder würden Beamtenanwärter*innen von politischem Engagement absehen, weil sie Angst hätten, dann keine Stelle mehr im Öffentlichen Dienst zu bekommen.

    Kritik am Koalitionsvertrag

    Daher sammeln die Mitstreiter*innen Unterschriften unter dem Aufruf „50 Jahre Berufsverbote – Demokratische Grundrechte verteidigen“. Die wollen sie der Bundesregierung übergeben. Denn die Formulierung im Koalitionsvertrag, Verfassungsfeinde sollen schneller aus dem öffentlichen Dienst entfernt werden können, alarmiert den Ausschuss. In altbewährter Form werde dabei Extremismus links wie rechts gleichgesetzt, heißt es in dem Aufruf.

    Den Termin für die verschobene Aktionswoche haben sie bewusst auf Mitte Mai gelegt – also in das Vorfeld des 23. Mai, den Tag, an dem 1949 das Grundgesetz in Kraft getreten ist. „Wir waren nie Verfassungsfeinde“, betonte er. „Die sitzen an ganz anderen Stellen hier im Land."  Der Bundesausschuss macht sich dafür stark, die Auswirkungen des Radikalenerlasses aufzuarbeiten, Betroffene zu rehabilitieren und zu entschädigen. Dazu wollen sie im Mai im Rahmen ihrer Aktionswoche in Berlin nicht nur am 17. Mai in der ver.di-Bundesverwaltunge tagen, sondern auch Gespräche mit Politiker*innen führen. Sie hoffen auch auf ein Gespräch mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser, SPD. 

    Ab wann galt der Radikalenerlass?

    1972 trat der sogenannte Radikalenerlass in Kraft. Die Ministerpräsidenten der Länder, darunter Helmut Kohl, CDU, aus Rheinland-Pfalz, stimmten gemeinsam mit der Bundesregierung unter Bundeskanzler Willy Brandt, SPD, darin überein, sogenannte Verfassungsfeinde nicht im öffentlichen Dienst zu beschäftigten. Brandt, der in seiner Jugend als radikal links galt, entschuldigte sich später dafür. Die SPD-Politikerin Herta Däubler-Gmelin hatte den Erlass schon damals abgelehnt. Bei der Pressekonferenz nannte sie ihn jetzt erneut eine „Schande", sprach von „Rache an den 1968ern“. Auch der DGB und seine Mitglieds-Gewerkschaften hatten in den 1970er Jahren Unvereinbarkeitsbeschlüsse gefasst.

    Ersatz durch Fragebogen

    Im Laufe der Jahre sorgte der Radikalenerlass dafür, dass rund 1.500 Männer und Frauen nicht in den Staatsdienst aufgenommen wurden, darunter viele Lehrer*innen, aber auch Briefzusteller*innen wie Werner Siebler. Als erstes Bundesland hob das Saarland den Erlass 1985 formell auf. Weitere Bundesländer folgten, Bayern stellte als letztes 1991 die Regelanfrage ein. Sie wurde dort allerdings durch einen Fragebogen ersetzt. Dass der noch heute zu Schwierigkeiten bei einer Einstellung im Öffentlichen Dienst in Bayern führen kann, wird in einem ARD-Beitrag des Journalisten Hermann G. Abmayr deutlich. 

    Der 44-minütige Beitrag „Jagd auf Verfassungsfeinde – der Radikalenerlass und seine Opfer“ ist noch bis  zum 17. Januar 2023 in der ARD-Mediathek abrufbar.

    Mehr Informationen zum Bundesarbeitsausschuss und der Unterschriftensammlungen 

    Portrait von Werner Siebler in der ver.di publik

     
    Noch heute fordern die in den 1970er und 1980er Jahren von Berufsverboten Betroffenen Entschädigungen und eine Entschuldigung
    © Stefan Kahnert/dpa
    Vor zehn Jahren demonstrierten Betroffene zum 40. Jahrestag des Radikalenerlasses in Dortmund