24.11.2021 – Für den ver.di-Vorsitzenden Frank Werneke ergibt der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP auf den ersten Blick ein sehr gemischtes Bild. Für Werneke ist es enttäuschend, dass es künftig nicht mehr Steuergerechtigkeit geben wird, weder bei der Vermögenssteuer noch bei der Erbschaftssteuer. „Es zeichnet sich auch kein wirklich sicherer Pfad für mehr Investitionen ab – die Schuldenbremse wird wieder in Kraft gesetzt, das ist negativ“, sagte er in einer ersten Kurzbilanz.
„Eine ganz Reihe positiver Punkte" sieht Werneke aber im Bereich Arbeit und Soziales. Dabei nennt er die Bereiche Weiterbildung und Ausbildung, etwa mit einer Ausbildungsgarantie für Jugendliche. Ebenfalls hebt Werneke das von den Koalitionsparteien verabredete Schließen von Lücken in der Unternehmensmitbestimmung sowie ein elektronisches Zugangsrecht für Gewerkschaften in Betriebe hervor.
Bei der Rente hätten sich die Grünen mit einer staatlich organisierten und verpflichtenden Aktienrente durchgesetzt. „Einzelheiten müssen noch analysiert werden – aber aus Sicht von ver.di schwächt dies die betriebliche Altersvorsorge", so der ver.di-Vorsitzende. Leider hätte sich auch an den Plänen der Ampelkoalition zur Anhebung der Hinzuverdienstgrenze von Minijobs nichts geändert. Diese Form der prekären Beschäftigung würde damit attraktiver gemacht.
Einen Erfolg gebe es hingegen bei der Arbeitszeit: Die geplante Öffnungsklausel für längere Arbeitszeiten und kürzere Ruhezeiten über Betriebsvereinbarungen sei vom Tisch, dies sei zukünftig nur noch auf tarifvertraglicher Basis möglich. „Ich kann für uns sagen, wir haben nicht vor, Tarifverträge abzuschließen, die die Ruhezeiten verkürzen, und das Arbeitszeitgesetz zu schwächen", kündigte Werneke an.
Das geplante Bundestariftreuegesetz sieht der ver.di-Vorsitzende erst einmal positiv – die Ausgestaltung müsse man sich aber genau anschauen. „Erfreulich ist zudem, dass bei der Zergliederung von Unternehmen Betriebsübergänge nicht mehr dazu genutzt werden können, lästige Tarifverträge abzuschütteln“, so Werneke. Zu den von ver.di geforderten Erleichterungen bei der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen finde sich allerdings „außer viel Lyrik nichts Konkretes“.
Diese Kurzbilanz des heute vorgestellten Koalitionsvertrages ist bei weitem noch nicht vollständig. Folgen werden noch genauere Bewertungen etwa zu den Plänen in den Feldern Energie und Verkehr.
Zu Beginn der Pressekonferenz, in der die Ampel den Koalitionsvertrag vorgestellt hat, hatte Olaf Scholz, SPD, einen Bonus für Beschäftigte in der Pflege angekündigt. Dafür wolle die Ampelkoalition eine Milliarde Euro bereitstellen. Das wertete Werneke als „wichtiges Signal für die Beschäftigten, die durch die Corona-Pandemie besonders belastet und aufgrund der aktuellen dramatischen Situation vielfach mit ihren Kräften am Ende sind". Der angekündigte Bonus müsse nun zeitnah an alle Berufsgruppen in den Krankenhäusern, der Altenpflege, den Reha-Einrichtungen und der Behindertenhilfe ausgezahlt werden.
In den kommenden Tagen müssen die Ampel-Parteien noch dem Koalitionsvertrag, den die Parteispitzen ausgehandelt haben, zustimmen. Die Grünen wollen ihre Mitglieder digital befragen, SPD und FDP haben dafür Parteitage am 4. beziehungsweise 5. Dezember angesetzt. Stimmen die jeweiligen Gremien zu, könnte Olaf Scholz, SPD, in der Woche vom 6. Dezember zum Bundeskanzler gewählt und die Regierung gebildet werden.
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