verdi.de: An deutschen Grenzen wird wieder kontrolliert, unter anderem als Reaktion auf den Terroranschlag von Solingen. Ist das eine sinnvolle Reaktion?
Frank Werneke: Ich halte es für falsch und habe Zweifel, dass man Terrorismus mit einer Beschränkung des Asylrechts bekämpfen kann. Es wird stattdessen höchste Zeit, die Debatte um Asyl und Migration zu versachlichen. Mich stört insbesondere der zunehmende und der teilweise aggressive Ton in der Debatte, den insbesondere Friedrich Merz und andere in der Union anschlagen. Das ist angesichts der Realität der deutschen Gesellschaft nach mehr als 60 Jahren Einwanderung völlig unangemessen. Mir fehlt völlig der Respekt vor den Menschen mit Migrationsgeschichte, die in Deutschland leben und arbeiten.
verdi.de: Was ist maßgeblich bei der Asylpolitik?
Frank Werneke: Zwei Dinge müssen handlungsleitend bleiben: Zum einen das individuelle Grundrecht auf Asyl, zum anderen Artikel 1 unserer Verfassung. Deshalb sind generelle Zurückweisungen aller Menschen auf der Flucht unzulässig und auch Obergrenzen, die, wenn sie überschritten werden, zu generellen Zurückweisungen führen. Und zweitens, Artikel 1 unserer Verfassung: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das gilt für alle Menschen, ausnahmslos. Es darf daher kein Aussetzen der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz geben.
verdi.de: Was kritisiert ver.di konkret an der aktuellen Debatte?
Frank Werneke: Erstens: Ein Teil der zurzeit diskutierten Ideen zur Beschneidung des Rechts auf Asyl sind grundgesetzwidrig und inhuman. Zweitens: Die Verschärfung der Asylpraxis verhindert keine Terroranschläge, es braucht stattdessen mehr Investitionen in die innere Sicherheit, mehr Personal, schärfere Waffengesetze und Maßnahmen gegen die Radikalisierung auf den digitalen Plattformen. Drittens: Es fehlen vollständig Vorschläge zur Verbesserung der Integration von geflüchteten Menschen. Absolut richtig und wichtig ist der Schutz der gesamten Gesellschaft – Millionen von Menschen mit Migrationshintergrund eingeschlossen – vor Kriminalität. Gewalt, Hass, Ausbeutung, Ausgrenzung und Diskriminierung zerstören unsere Gesellschaft. Mit dem derzeitigen Unterbietungswettbewerb in Sachen Menschenwürde, Asylrecht, Zuwanderung und Freizügigkeit in Europa verspielen wir aber unsere Zukunft.
verdi.de: Was muss für eine bessere Integration getan werden?
Frank Werneke: Viele Kommunen sind bei der Integration von Flüchtlingen absolut am Limit. Die Lage in Kitas und Schulen ist ebenso an der Grenze wie die Wohnraumsituation. Und die Kommunen werden nicht ausreichend unterstützt, sondern durch den jüngsten Haushaltskompromiss der Bundesregierung sogar noch zusätzlich geschwächt. Es braucht deutlich mehr Unterstützung für die Kommunen.
Die rassistische Partei Alternative für Deutschland (AfD) konnte bei den Wahlen in Thüringen mit 32,8% stärkste Kraft werden und in Sachsen weiter zulegen. Bei den Wahlen in Brandenburg am 22. September 2024 sind ähnliche Ergebnisse zu erwarten.
Die vergangenen Wahlen haben gezeigt, dass ein großer Teil der Wahlberechtigten um die eigene Zukunft besorgt ist. Die Wirtschaftsentwicklung, Reallohnverluste und steigende Lebenshaltungskosten tragen zu diesen Zukunftsängsten bei. Viele Menschen verlieren die Hoffnung, dass die Ampel-Regierung oder die Landesregierungen die eigene Situation verbessern werden.
Nach dem schrecklichen Anschlag von Solingen werden Geflüchtete unter einen Generalverdacht gestellt, Angst und Spaltung geschürt. Wir verurteilen den Anschlag aufs Schärfste und trauern mit den Familien der getöteten Menschen. Wir brauchen gezielte Maßnahmen gegen islamistischen Terror. Was wir aber nicht brauchen, ist die Übernahme der Forderungen von Rechtsextremen durch die demokratischen Parteien, wie die Streichung von Sozialleistungen, Abschiebungen in Folterstaaten und die pauschale Zurückweisung Schutzsuchender auch an den deutschen Grenzen. Zu Recht sagte Frank Werneke gegenüber der Stuttgarter Zeitung (14.09.2024), dass „ein Teil der zurzeit diskutieren Ideen zur Beschneidung des Rechts auf Asyl grundgesetzwidrig und inhuman“ sind.
Die letzten Jahre haben es gezeigt: Wenn die Parolen der Rechten zur Normalität werden, dann wird mit der AfD weiter die Partei zulegen, die diese Botschaften am lautesten verbreitet.
Und wer meint, dass in der Debatte doch unterschieden werde, zwischen Geflüchteten, lange hier lebenden Migrantinnen und Migranten und brauchbaren Fachkräften, dem sagen wir: Diskriminierung und Rassismus machen keinen Unterschied, sondern treffen am Ende alle, die als „anders“ definiert werden.
Dies bestätigen die Erfahrungen unserer Kolleginnen und Kollegen und der starke Anstieg gemeldeter Fälle bei Beratungsstellen für Opfer rassistischer Übergriffe.
Rassismus und Nationalismus tragen zur Schwächung der Arbeitnehmenden und ihrer Kämpfe teil. Soziale Probleme wie in der Bildungspolitik, bei der Wohnraum- oder Gesundheitsversorgung brauchen soziale Lösungen, statt rassistische Feindbilder zu bedienen. Das ist reines Gift für den demokratischen Zusammenhalt. Als Gewerkschafter*innen lehnen wir Spaltung und Verhetzung entschieden ab – egal, ob mit oder ohne Migrationsbiografie!
Während Milliarden in die Aufrüstung gesteckt werden, bleiben die Ausgaben für Bildung, Soziales und Gesundheit auf der Strecke oder werden gekürzt. Wir brauchen höhere Löhne, einen höheren Mindestlohn und die Steigerung der Tarifbindung. Nur gemeinsam und organisiert können wir etwas bewegen. Rassismus und Nationalismus kann nicht die Antwort auf unsere Zukunftsängste sein.
ver.di Bundesmigrationsausschuss, September 2024
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