Berlin, 27.06.2022 – Der Fall liegt bereits zwei Jahre zurück. Aber nun muss ein Mann aus Herne für zehn Monate ins Gefängnis, weil er auf Mitarbeiter der Herner Feuerwehr und eine Notärztin im Einsatz losgegangen war. Während der Versorgung eines Patienten im Juli 2020 verhielt sich der Gewalttäter plötzlich aggressiv. Nach Angaben von Zeugen beleidigte, schubste und schlug er die Rettungssanitäter und die Notärztin. Vor allem erstere erlitten Schürfwunden und Prellungen im Gesicht und Oberkörperbereich. Erst mit Hilfe der alarmierten Polizei konnte der Mann beruhigt werden.
Dass dieser Fall kein Einzelfall ist – allein die Stadt Herne verzeichnet seit dem Jahr 2020 insgesamt 24 Angriffe auf Kräfte der Herner Feuerwehr und des Rettungsdienstes –, zeigt eine Studie zum Thema Gewalt gegen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes durch das Deutsche Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung (FÖV). „Es ist äußerst erschreckend, wenn rund ein Viertel aller befragten Beschäftigten schon mindestens einmal im Dienst Gewalt erleben mussten. Noch alarmierender ist es, wenn durchschnittlich 70 Prozent der Betroffenen die Übergriffe gar nicht erst melden“, sagt die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Christine Behle mit Blick auf die Studienergebnisse. Und sie weist darauf hin, dass es nicht verwunderlich sei, wenn sich 40 Prozent der Befragten bei ihrer Arbeit nicht (immer) sicher fühlten.
Laut der Studie sind Männer etwas häufiger von verbaler oder körperlicher Gewalt betroffen als Frauen. Bei Feuerwehr und Rettungskräften, im Veterinäramt, im Ordnungsamt und im Justizvollzug haben etwas mehr als ein Drittel der Beschäftigten innerhalb eines Jahres Gewalt, Bedrohung oder Beleidigungen erlebt. In den Hochschulen, der Sozial- und Arbeitsverwaltung und der Justiz sind es unter zehn Prozent. In Fallzahlen drückt sich das unter anderem so aus: Die Staatskanzlei Rheinland-Pfalz teilte dieser Tage mit, dass in ihrem Bundesland in den vergangenen fünf Jahren mehr als 850 Gewalttaten allein auf Rettungskräfte verzeichnet wurden.
Zugenommen hat die Gewalt laut der Studie des FÖV aber zuletzt vor allem in den Bürgerämtern, bei Gerichtsvollziehern, Justiz und gegen Mitarbeiter des Ordnungsamtes. Letztere waren in den beiden Corona-Jahren unter anderem damit beschäftigt, staatliche Anti-Corona-Maßnahmen durchzusetzen, was vermehrt zu gewalttätigen Übergriffen auf die Beschäftigten geführt hat.
ver.di befasst sich seit vielen Jahren mit dem Problem der Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Die jetzt vorgelegten Studien-Ergebnisse bestätigen dabei die Erfahrungen vieler Beschäftigter. Es sei leider bereits seit Langem klar, dass die Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst, beispielsweise gegen Feuerwehrleute und Rettungskräfte, Beschäftigte in der Justiz, in der Sozial- und Arbeitsverwaltung, bei Ordnungs- und Bürgerämtern, aber auch in anderen Bereichen der Verwaltung kein Randphänomen sei, betont Behle.
Behle bezeichnet es zudem als ausgesprochen problematisch, dass 25 Prozent der Behörden – im Kommunalbereich sogar 39 Prozent – Gewalt gegen Beschäftigte nicht dokumentieren würden. Behle fordert deshalb möglichst einfache und niedrigschwellige Meldesysteme. Wenn gesetzlich vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilungen bei Behörden nur wenig verbreitet seien, erkläre dies, warum sich Beschäftigte beim Thema Gewalt von übergeordneten Ebenen nicht genug unterstützt fühlten. „Wir brauchen endlich effektive Präventionsmaßnahmen, die in ein Gesamtkonzept eingebettet und auf spezifische Risiken einzelner Arbeitsplätze abgestimmt sind. Die Studie belegt, dass bereits existierende Präventionsmaßnahmen sowohl von Behördenleitungen als auch von den Beschäftigten positiv bewertet werden“, so Behle.
Die repräsentative bundesweite Befragung von Behördenleitungen und Beschäftigen erfolgte auf Initiative des DGB und im Auftrag des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI). Die Untersuchung nimmt verschiedene Beschäftigungsbereiche (u.a. Feuerwehr und Rettungskräfte; Justiz; Sozial- und Arbeitsverwaltung; Ordnungsamt und Bürgeramt) und Verwaltungsebenen (Bund, Länder, Kommunen) in den Fokus und ermöglicht erstmals eine umfassendere Einschätzung des Problems der Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst.
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