Bundeshaushalt: Schuldenbremse jetzt aussetzen

Auch der geplante Haushalt für 2025 ist mit dem Aus der Ampelregierung erneut ins Wanken geraten. Aus ver.di-Sicht braucht es jetzt ein finanzielles Sofortprogramm vor allem in den Bereichen Gesundheit, Pflege und Bildung. Die aktuellen Entwicklungen rechtfertigen zudem eine Haushaltsnotlage und das Aussetzen der Schuldenbremse
© Michael Kappeler/dpa
Haushaltsdebatte im Bundestag
07.11.2024

Mit dem Aus der Ampelregierung ist es ungewiss geworden, ob der geplante Bundeshaushalt für 2025 noch verabschiedet werden kann. Ob es noch möglich sein wird, vor Neuwahlen, Mehrheiten im Bundestag für die Verabschiedung eines Bundeshaushaltes und weiterer Vorhaben zu bilden, bliebe jetzt abzuwarten, so der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke.

Gegen den FDP-Vorsitzenden Christian Lindner erhebt er schwere Vorwürfe: „Was wir von der FDP in den vergangenen Wochen an unsozialen Vorschlägen zur Finanzierung des Bundeshaushalts 2025 erlebt haben, die Blockade wichtiger Gesetze, etwa dem Rentenpaket und dem Gesetzentwurf zur Stärkung der Tarifbindung war unwürdig und unverantwortlich. Christian Lindner und seine Partei betreiben Klientelpolitik für Reiche. Damit hat die FDP bewusst das Ende der Ampelkoalition vorbereitet.“ Dass Bundeskanzler Olaf Scholz, SPD, darauf mit der Entlassung des Finanzministers reagiert habe, sei richtig. 

CDU und CSU sollten sich ihrer politischen Verantwortung gegenüber den Menschen bewusst sein, so der ver.di-Vorsitzende.

 

„Aus Sicht von ver.di, darf es jetzt keine Last-Minute-Entscheidungen geben, die die Finanzlage von Bund, Ländern und Kommunen weiter verschlechtern oder nur einzelne Gruppen bedienen. Stattdessen braucht es ein finanzielles Sofortprogramm für die Bereiche Pflege, Gesundheit und Bildung, davon sind alle Menschen in unserem Land betroffen.“

Spätestens die aktuelle Entwicklung in der Ukraine erfordere und rechtfertige eine Haushaltsnotlage. Deutschland dürfe nicht kaputtgespart werden, sondern müsse in die Zukunft investieren, in den sozialen Zusammenhalt. Im Interview mit der ver.di publik fordert der ver.di-Vorsitzende unter anderem die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer, um die Haushaltseinnahmen zu stärken.

Der bisherige Haushaltsentwurf

Nach langen Verhandlungen hatte die Bundesregierung im Juli einen Haushaltsentwurf für das kommende Jahr vorgelegt. Der Entwurf ging seinen parlamentarischen Weg und sollte im November im Bundestag beschlossen werden. Mit dem Platzen der Regierung steht das nun in Frage.

ver.di hat von Anfang an zwiespältig auf die verabschiedeten Eckpunkte zum Bundeshaushalt 2025 geblickt. „Geplante Steuerentlastungen schwächen die Einnahmebasis der Kommunen weiter massiv. Das ist eine schlechte Nachricht für die Bürger*innen“, so Werneke. Vor dem Hintergrund der aktuellen Steuerschätzung, die von rund 12,7 Milliarden Euro Steuereinnahmen weniger für 2025 ausgeht als angenommen, bis 2028 sogar von 58,1 Milliarden Euro weniger, appelliert der ver.di-Vorsitzende: „Die Steuerschätzung ist eine ernste Mahnung, die Einnahmebasis des Staates nicht noch weiter zu verringern. ‚Investieren statt Kaputtsparen‘, muss das Motto jetzt lauten.“

 

„Die Haushaltseckpunkte haben eine Schlagseite zuungunsten vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Nachbesserungen sind daher unbedingt erforderlich.“

Frank Werneke, ver.di-Vorsitzender

Unverändert dramatisch seien jedoch infolge der Steuermindereinnahmen durch veränderte Abschreibungen und durch den Abbau der Progression die Aussichten für die Kommunen. „Der Investitionsstau in den Kommunen summiert sich auf 160 Milliarden Euro. Damit ist es weder möglich, den überfälligen Ausbau des ÖPNV anzugehen, noch jemals die Klimaziele im Verkehr zu erreichen“, so Werneke weiter. Allein aufgrund der zeitlichen Verschiebung von rund 350 Millionen Euro vom Bund zugesagter Regionalisierungsmittel gerate der ÖPNV weiter unter Druck und drohten höhere Preise für das Deutschland-Ticket. Das sei keine fortschrittliche Verkehrspolitik.

Besorgniserregend seien zudem die sich abzeichnenden finanziellen Schieflagen vieler Krankenhäuser, der Zustand der Pflegekassen und der Zuschussbedarf in der gesetzlichen Krankenversicherung. ver.di warnt seit Monaten davor, angesichts der dramatischen finanziellen Lage der Pflegeversicherung weiter untätig zuzuschauen. „Die Pflegeversicherung muss grundlegend reformiert und zukunftstauglich gemacht werden. Steigende Beiträge, vor allem aber immer höhere Eigenbeiträge in Pflegeeinrichtungen, überfordern die Menschen. Sie müssen sich darauf verlassen können, im Alter ein Leben in Würde führen zu können. Deshalb braucht es eine Vollversicherung, die alle pflegebedingten Kosten absichert“, fordert Sylvia Bühler, die im ver.di-Bundesvorstand für das Gesundheitswesen zuständig ist.

Ganz abgesehen davon würden im Bundeshaushalt auch die ungeheuren Investitionsbedarfe in die soziale – Erziehung, Bildung und Pflege – und die physische Infrastruktur – neben ÖPNV, u.a. Bahn, Autobahn, Wasserstraßen – nicht ansatzweise abgebildet.

 

„Die Daseinsvorsorge spielt in den Haushaltseckpunkten keine Rolle. Dieser Haushalt bleibt weit hinter den Erfordernissen zurück. Das Dogma der Schuldenbremse erweist sich als Zukunftsbremse.“

Frank Werneke, ver.di-Vorsitzender

Den Sozialstaat erhalten

Bereits vor der Haushaltseinigung der Regierung hatte ver.di mit einem breiten Bündnis aus Wohlfahrtsverbänden und Campact gefordert, die Demokratie zu schützen und den Sozialstaat zu erhalten. Bei einer Aktion am 21. Juni 2024 vor dem Bundeskanzleramt verliehen die Bündnispartner ihren Forderungen Nachdruck. In einem gemeinsamen Papier heißt es:

 

„Wer den Sozialstaat schwächt, verschärft die gesellschaftliche Spaltung und gefährdet den Zusammenhalt.“

Für eine sozialverträgliche Mobilitätswende

Das alles bedeutet, dass in die Zukunft investiert werden muss. Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung und das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft haben erst kürzlich eine neue gemeinsame Schätzung zusätzlicher Bedarfe für die Infrastruktur und Transformation abgegeben, die bisher in der Haushaltsplanung überhaupt nicht abgedeckt sind: Es geht um 60 Milliarden Euro jährlich für die kommenden zehn Jahre für den Ausbau des ÖPNV, des Schienennetzes, der Bundesfernstraßen, der kommunalen Infrastruktur, von Sozialwohnungen, von Ganztagsschulen, Sanierungen von Hochschulen, Kosten für die Klimaanpassung und der sogenannten Dekarbonisierung.

 
60 Milliarden Euro jährlich für Investitionen nötig

Auch das Bündnis Sozialverträgliche Mobilitätswende, dem neben ver.di weitere Gewerkschaften sowie Sozial-, Wohlfahrts- und Umweltverbände und die Evangelische Kirche Deutschland angehören, fordert eine klare Priorisierung von Erhalt vor Neubau in der Verkehrsinfrastruktur. „Um Klimaziele einzuhalten und Lebensgrundlagen zu sichern, dürfen keine Haushaltsmittel im Bereich der Daseinsvorsorge oder beim Klimaschutz gekürzt werden. Die sozial-ökologische Transformation der Verkehrsinfrastruktur muss politisch priorisiert werden“, so der zentrale Punkt im Bündnispapier.

Derzeit schränken marode Brücken, Schienen und Straßen die Mobilität vieler Menschen und damit auch die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ein. Auch für den Wirtschaftsverkehr ist der Status Quo der Infrastruktur ein Hemmschuh. Die damit verbundenen Verzögerungen, Umwege und Unzuverlässigkeit sind ein bedeutender Zeit- und Kostenfaktor. Mit dem aktuellen Bundesverkehrswegeplan 2030 werden zudem Steuergeld für unwirtschaftliche Projekte des Straßenneu- und -ausbaus auf Basis veralteter Annahmen verschleudert. Das ist auch das Ergebnis einer neuen Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft im Auftrag der Klima-Allianz Deutschland, dem ACE Auto Club Europa, von ver.di und dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Angesichts der angespannten Haushaltslage fordern die Verbände, Straßenneubauprojekte zu streichen und die dadurch freiwerdenden Milliarden in die Sanierung und den naturverträglichen Ausbau der Schiene zu investieren. 

Beim Neubau von Autobahnen und Bundesstraßen könnte das Bundesverkehrsministerium laut der Studie unmittelbar rund 20 Milliarden Euro einsparen. Dieses Geld würde dann für die Sanierung von Brücken und Investitionen in die Schiene zur Verfügung stehen. Die bisher geplanten Straßenneubauprojekte sind der Studie zufolge unwirtschaftlich und beruhen auf veralteten Kostenannahmen.

Der ÖPNV

Die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Christine Behle stellt klar: „Die aktuelle Ausgestaltung des Bundesverkehrswegeplans beruht auf über zehn Jahre alten Annahmen und muss dringend überarbeitet werden.“ Der Fokus müsse weg von klimaschädlichen und teuren Autobahnneubauprojekten auf den notwendigen, naturverträglichen Ausbau der Schiene und auf den versprochenen Ausbau- und Modernisierungspakt beim ÖPNV gerichtet werden. In Personal, fahrendes Material und die Infrastruktur zu investieren, wäre nicht nur weitsichtig und klimaschonend, sondern auch zukunftsgerecht für kommende Generationen.

Das Bündnis Sozialverträgliche Mobilitätswende fordert von Bund und Ländern, die Preisstabilität des Deutschlandtickets zu gewährleisten, ein bundesweit einheitliches Sozialticket einzuführen und die Finanzierung für die Jahre 2025 und 2026 abzusichern. Darüber hinaus sei es notwendig, langfristig in den öffentlichen Nahverkehr zu investieren, um ein qualitativ hochwertiges Angebot sicherzustellen. „Die Bereitstellung zusätzlicher Mittel für einen zukunftsorientierten und barrierefreien ÖPNV sowie die Sicherstellung der Finanzierung des Deutschlandtickets über das Jahr 2025 hinaus sind von zentraler Bedeutung“, betont das Bündnis. ver.di fordert deshalb auch, den Preis des Deutschlandtickets von 49 Euro stabil zu halten. Für viele Menschen sei nämlich selbst dieser Preis schon heute zu hoch.

 

„Die Kommunen haben für Deutschlands Zukunftsfähigkeit eine Schlüsselfunktion. Ganztagsbetreuung, bezahlbarer Wohnraum, ein leistungsfähiges öffentliches Nahverkehrsangebot, die Integration von Menschen, die zu uns kommen – alle diese Aufgaben werden von den Kommunen erbracht. Sie sind Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum, Wohlstand und sozialen Zusammenhalt. Die Kommunen finanziell zu schwächen und die Unternehmen zu entlasten, das ist der falsche Weg.“

Frank Werneke, ver.di-Vorsitzender

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