ver.di trauert um Detlef Hensche, den ehemaligen Vorsitzenden der Industriegewerkschaft Medien – Druck und Papier, Publizistik und Kunst. Er starb nach langer schwerer Erkrankung am 13. Dezember 2023 im Alter von 85 Jahren in Berlin.
Mit dem Mitbegründer von ver.di habe „die Gewerkschaftsbewegung einen außergewöhnlichen Menschen und großen Gewerkschafter verloren“, würdigt der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke den langjährigen Vorsitzenden der Drucker- und Mediengewerkschaft. Er hebt hervor, dass Hensche sein Arbeitsleben lang mit Weitblick, Scharfsinn und großer Entschiedenheit die Interessen der Arbeitnehmer*innen vertreten habe. Politisch habe er stets an der Seite der abhängig Beschäftigten, der Rentner*innen und der Erwerbslosen gestanden und sich nie wechselnden politischen Moden unterworfen.
Detlef Hensche war am 13. September 1938 in Wuppertal als Sohn eines selbständigen Kaufmanns geboren worden. Nach dem Abitur 1957 studierte er in Bonn Kunstgeschichte und Philosophie sowie Jura. Schließlich konzentrierte er sich auf das Studium der Rechtswissenschaften, das er 1972 mit seiner Promotion abschloss.
Seine erste politische Prägung hatte der junge Detlef Hensche durch seine Mutter erfahren, die sich in den 1950er Jahren gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland engagiert hatte. Während seines juristischen Referendariats beim Deutschen Bundestag zeigte er sich von der Haltung verschiedener humanistischer Parlamentarier in der Debatte um die Notstandsgesetze beindruckt. Auch damals formulierte Positionen der Evangelische Kirche mit ihren Ermutigungen zu Frieden und Versöhnung übernahm er in seinen politischen Wertekanon.
Entsprechend gerüstet, trat Detlef Hensche im Sommer 1969 eine Stelle als wissenschaftlicher Referent im Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Institut des DGB (WSI) in Düsseldorf an. Als Jurist betreute er die Bereiche Arbeits-, Staats- und Wirtschaftsrecht. Im März 1971 wechselte Hensche zum Bundesvorstand des DGB, wurde Leiter der Abteilung Gesellschaftspolitik.
Unterdessen war der Vorsitzende der IG Druck und Papier, Leonhard Mahlein, auf den jungen Gewerkschafter aufmerksam geworden. Auf seinen Vorschlag hin wurde Hensche 1975 zum neuen Redakteur und Mitglied des Geschäftsführenden Hauptvorstands gewählt. Damit übernahm er die Verantwortung für die zentrale Mitgliederpublikation DRUCK+PAPIER und die Zeitschrift für Journalisten und Schriftsteller, „die feder“. Von dieser Zeit an bis zur ver.di-Gründung 2001 analysierte Detlef Hensche in Kommentaren die gesellschaftlichen Verhältnisse und das Zeitgeschehen für die Gewerkschaftszeitungen. Ob es um Friedenspolitik ging, um die Gefahren des Rechtspopulismus, politische Entscheidungen oder tarifpolitische Weichenstellungen – Hensche erläuterte, bezog Stellung, äußerte seine Meinung klar und unmissverständlich.
Während zweier großer Streiks der IG Druck und Papier 1976 und 1978 wurde Hensche durch die Berichterstattung großer Tages- und Wochenzeitungen als „der radikale Doktor“ („Die Zeit“) bekannt. Der erfolgreiche Kampf um den Einstieg in die 35-Stunden-Woche in den 80er Jahren wurde sein größter tarifpolitischer Erfolg. Im Jahre 1983 war Detlef Hensche zum stellvertretenden Vorsitzenden der IG Druck und Papier gewählt worden, unter anderem zuständig für die Tarifpolitik. 1989, die IG Druck und Papier hatte sich mittlerweile mit der Gewerkschaft Kunst zur IG Medien – Druck und Papier, Publizistik und Kunst zusammengeschlossen, wurde er erneut stellvertretender Vorsitzender, 1992 übernahm er das Amt des Vorsitzenden.
Die Jahre, die folgten, waren geprägt von den weitreichenden Folgen der deutsch-deutschen Vereinigung und den technischen Veränderungen in der Druckindustrie, der Papier und Pappe verarbeitenden Industrie und im Journalismus. Die Suche nach Neuorientierung gewerkschaftlicher Arbeit und Struktur führte schließlich 2001 zur Gründung der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Detlef Hensche war dabei eine treibende Kraft. Er gestaltete in führender Position den ver.di-Prozess zusammen mit den Vorsitzenden der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG), Roland Issen, der Deutschen Postgewerkschaft (DPG), Kurt van Haaren, der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), Margret Mönig-Raane und der Gewerkschaft ÖTV, Herbert Mai beziehungsweise schließlich Frank Bsirske. Altersbedingt stellte er sich nicht mehr der Wahl in den ver.di-Vorstand, sondern engagierte sich bis 2009 als Rechtsanwalt an der Seite von Betriebs- und Personalräten.
Detlef Hensche war ein brillanter Analytiker, bei Verhandlungen stets perfekt vorbereitet, präzise in der Argumentation. Er konnte unterschiedliche Meinungen und Interessen integrieren, trat mitunter aber auch provozierend und polarisierend auf, doch er blieb stets sensibel und kritisch in der Selbstreflexion. Es war vor allem die Tarifpolitik, die es ihm angetan hatte. „Detlef liebte die Tarifpolitik. Vielleicht, weil der Klassengegensatz im Arbeitskampf, aber auch in Tarifverhandlungen unmittelbar und sinnlich-mental greifbar ist“, schrieb eine Vertraute, die eng mit ihm in der IG Medien zusammengearbeitet hatte. Er war, wie die ver.di-Branchenzeitung DRUCK+PAPIER im Oktober 2008 titelte, ein „Glücksfall für die Arbeiterbewegung“.
Beim ver.di-Gründungskongress im März 2001 hatte Hensche gefordert, ver.di müsse eine Gewerkschaft werden, die „die Hand reicht, wann immer Hilfe erforderlich ist, die Flagge zeigt, wenn soziales Unrecht geschieht, die ihre Stimme erhebt, wenn es gilt, menschenwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen durchzusetzen und für eine solidarische Gesellschaft zu streiten.“
Seine Worte sind uns Vermächtnis. In Gedanken sind wir bei seiner Familie.