Urteil: Zuschläge auf Überstunden stehen auch Teilzeitkräften zu

Teilzeitkräften stehen Überstundenzuschläge zu, sobald sie ihre individuell vereinbarte Arbeitszeit überschreiten. Das hat das Bundesarbeitsgericht am 5. Dezember 2024 entschieden. Das Bundesarbeitsgericht sieht es auch als unzulässige Benachteiligung von Frauen, wenn Überstundenzuschläge für Teilzeitkräfte erst dann gezahlt werden, wenn sie die reguläre Arbeitszeit von Vollzeitkräften überschreiben
06.12.2024
Mit dem BAG-Urteil hat die Diskriminierung von Teilzeitkräften ein Ende, was Überstunden betrifft

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden, dass Teilzeitkräfte grundsätzlich Anspruch auf Überstundenzuschläge ab der ersten Überstunde haben. „Das Urteil ist außerordentlich erfreulich. Damit wird endlich Gleichbehandlung gewährleistet und Diskriminierung von Teilzeitkräften vermieden“, sagte die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Andrea Kocsis zu der Entscheidung des höchsten deutschen Arbeitsgerichts vom 5. Dezember 2024.

Anspruch wie Vollzeitkräfte

In seiner vielbeachteten Entscheidung hatte das BAG geurteilt, dass Teilzeitkräfte denselben Anspruch auf Überstundenzuschläge haben wie Vollzeitkräfte – mit Geltung ab der ersten Überstunde. Bislang war es häufig so, dass der Anspruch auf Überstundenzuschläge erst bestand, wenn die reguläre Arbeitszeit einer Vollzeitkraft überschritten wurde. 

Geklagt hatten teilzeitbeschäftigte Pflegekräfte des KfH Kuratorium Dialyseanbieter. Ihnen wurden trotz eines erheblichen Überstundensaldos mit Verweis auf den Haustarifvertrag entsprechende Zuschläge verwehrt. Im Haustarifvertrag war ein Zuschlag von 30 Prozent erst bei Überschreitung der regulären Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten vorgesehen. Dagegen und gegen die damit einhergehende Diskriminierung als Frau hatten die Betroffenen geklagt.

Rechte von Frauen gestärkt

Auch hinsichtlich einer Entschädigung wegen Diskriminierung konnten sich die Betroffenen durchsetzen: Das BAG hat bei Fehlen sachlicher Gründe die Zuschlagsregelung auch als einen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gewertet. „Die angegriffenen Regelungen werden als mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechtsbetrachtet. Da Teilzeittätigkeiten weit überwiegend von Frauen ausgeübt werden, setzt das Urteil auch im Hinblick auf die Gleichstellung von Frauen Maßstäbe. Damit werden auch die Rechte von Frauen im Arbeitsalltag entscheidend gestärkt“, so Kocsis.

Ansprüche auf Nachzahlung

ver.di rechnet damit, dass weitere Beschäftigte der KfH, aber auch Beschäftigte darüber hinaus, Ansprüche auf Nachzahlung auch noch aus dem Jahr 2021 haben. Diese das Jahr 2021 betreffenden Ansprüche müssten noch kurzfristig bis zum 31. Dezember 2024 bei Gericht eingeklagt werden, damit sie nicht verjähren. ver.di-Mitglieder, die Nachzahlungsansprüche für das Jahr 2021 haben, haben die Möglichkeit, sich diesbezüglich umgehend bei ihrem ver.di-Rechtsschutz vor Ort zu melden. Dort wird geprüft, ob für mögliche Nachzahlungen das Jahr 2021 betreffend bis Ende des Jahres 2024 noch Klage bei Gericht eingereicht werden muss. Um Ansprüche der Folgejahre kann sich ab 2025 gekümmert werden.

Voraussetzung für entsprechende Nachzahlungsansprüche aus 2021 ist – sollten die einschlägigen Tarifverträge tarifliche Ausschlussfristen enthalten –, dass diese Ansprüche für 2021 auch bereits damals fristgerecht außergerichtlich gegenüber dem Arbeitgeber geltend gemacht wurden. Auf welche ver.di-Tarifverträge die Entscheidungen vom 5. Dezember insgesamt übertragbar sind, wird derzeit weiter durch ver.di über die jeweiligen Fachbereiche geprüft. Weitere Informationen folgen, auch was Ansprüche der Folgejahre ab 2022 angeht.

Aktenzeichen 8 AZR 370/20, 8 AZR 372/20

Lufthansa Cityline

In einem inhaltlich ähnlichen Fall bei der Lufthansa Cityline hat das Bundesarbeitsgericht am 4. Dezember nicht in der Sache entschieden. Hier ging es um die Frage der Mehrflugstundenvergütung von Teilzeitbeschäftigten. Das Verfahren wurde zur Klärung von offenen Sachverhaltsfragen an das Landesarbeitsgericht zur Entscheidung zurückverwiesen.

Aktenzeichen 10 AZR 185/29

 

Die wichtigsten FAQ

Wie kann ich als teilzeitbeschäftigtes ver.di-Mitglied von der BAG-Entscheidung vom 5.12.2024 profitieren?

Was hat das BAG konkret entschieden?

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden, dass es grundsätzlich eine unzulässige Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten ist, wenn Überstundenzuschläge für Teilzeitbeschäftigte nur bei Überschreiten der regulären Arbeitszeit von Vollzeitkräften gezahlt werden. Wir kennen nur die ersten Aussagen zum BAG-Urteil, da die Urteilsbegründung noch nicht vorliegt – aber nach bisherigem Stand lässt sich Folgendes sagen: Es bedeutet, Teilzeitbeschäftigte können nunmehr Überstundenzuschläge grundsätzlich bereits ab der ersten Überstunde beanspruchen. Außerdem hat das BAG entschieden, dass die Zahlung von Überstundenzuschlägen an Teilzeitbeschäftigte erst ab Erreichen der Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten eine unzulässige Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt und Frauen deshalb zusätzlich zu den Überstundenzuschlägen auch ein Anspruch auf Entschädigung nach AGG zusteht.

Ob sich auch für dich aus der Entscheidung Ansprüche ergeben, hängt von Deiner individuellen Situation ab. Viele Beschäftigte, bei denen uns die entsprechenden Daten vorliegen, kontaktieren wir direkt.

Wichtig zu wissen ist, dass das BAG nicht gesagt hat, dass pauschal jede*r Teilzeitbeschäftigte Anspruch auf Überstundenvergütung hat. Wenn Dein Arbeitgeber aber bei Überschreiten der Arbeitszeit von Vollzeitkräften Zuschläge zahlt, muss er diese Zuschläge auch entsprechend zahlen, wenn Teilzeitkräfte ihre (niedrigere) Arbeitszeit überschreiten, ab der ersten Überstunde!

Kann ich rückwirkend Überstundenzuschläge einfordern?

Grundsätzlich gilt die Entscheidung des BAG auch für in der Vergangenheit geleistete Überstunden. Aber die meisten Tarifverträge enthalten tarifvertragliche Ausschlussfristen, die die rückwirkende Geltendmachung begrenzen. Häufig sind Regelungen vorgesehen, die besagen, dass Ansprüche nach 3 oder 6 Monaten nach ihrem Entstehen verfallen, wenn sie nicht innerhalb dieser Fristen schriftlich dem Arbeitgeber gegenüber geltend gemacht wurden. Das heißt, Du solltest Deinem Arbeitgeber schnellstens ein entsprechendes Schreiben zukommen lassen solltest, eine sogenannte außergerichtliche Geltendmachung. Unten findest Du ein grobes Muster dafür.

Manche Tarifverträge enthalten eine sogenannte zweistufige Ausschlussfrist. Die zweite Stufe sieht dann vor, dass Ansprüche, die zwar schriftlich dem Arbeitgeber gegenüber außergerichtlich geltend gemacht wurden, dennoch verfallen, wenn nicht binnen einer weiteren Frist von drei Monaten ab Geltendmachung beim Arbeitgeber Klage vor dem Arbeitsgericht erhoben wird. Wenn Dein Tarifvertrag eine solche Regelung enthält und der Arbeitgeber nicht auf die Fristsetzung in Deiner Geltendmachung (wir empfehlen 3-4 Wochen) reagiert, hast Du die Möglichkeit, Dich zeitnah an den ver.di Rechtsschutz bei Dir vor Ort zu wenden.

Wenn die älteren Ansprüche nicht einer tariflichen Ausschlussfrist zum Opfer gefallen sind, ist zudem noch zu beachten, dass sie der allgemeinen Verjährung unterfallen. Unabhängig von tariflichen Ausschlussfristen verjähren Ansprüche auf Überstundenzuschläge innerhalb von drei Jahren und sind dann nicht mehr durchsetzbar. Solltest Du entsprechende Ansprüche auf Überstundenzuschläge aus dem Jahr 2021 haben und diese bereits damals fristwahrend außergerichtlich gegenüber dem Arbeitgeber geltend gemacht haben bzw. wenn Deiner für dich anwendbare Tarifvertrag keine Ausschlussfristen enthält, dann fordere Deinen Arbeitgeber mit Verweis auf die BAG-Entscheidung vom 5.12.2024 sofort(!) auf, zu zahlen oder eine Erklärung abzugeben, dass er schriftlich auf die Einrede der Verjährung der Ansprüche aus 2021 verzichtet. Wenn er dazu nicht bereit ist, hast Du die Möglichkeit, Dich schnellstmöglich bei Deinem ver.di-Rechtsschutz vor Ort zu wenden. Ansprüche aus 2022 ff. verjähren erst in den Folgejahren, so dass Du Dich im Fall der Nichtzahlung durch den Arbeitgeber für diese Ansprüche dann gern ab 2025 an den ver.di-Rechtsschutz wenden kannst.

Zusätzliche Entschädigung für die Diskriminierung

Wie eingangs beschrieben hast Du ggf. auch Ansprüche auf Zahlung einer Entschädigung wegen des Geschlechts. Dafür ist jedoch erforderlich, dass innerhalb der betroffenen Gruppe der Teilzeitbeschäftigten bei Deinem Arbeitgeber erheblich mehr Frauen als Männer arbeiten. Aufgrund der diesbezüglichen Diskriminierung von Frauen hat das BAG den Klägerinnen deshalb neben den Überstundenzuschlägen ab der 1. Überstunde zusätzlich eine Entschädigung in Höhe von 250 Euro zugesprochen (§ 15 Abs. 2 AGG).

Grundsätzlich muss die Entschädigung innerhalb von zwei Monaten ab Kenntnis der Diskriminierung gegenüber dem Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden. Diese Frist fängt mit jeder Benachteiligung erneut an zu laufen. Der erstmalige Fristlauf beginnt unserer Auffassung nach aufgrund der bisher unklaren Rechtslage mit Verkündigung des BAG-Urteils vom 5.12.2024. Nach § 61b ArbGG muss innerhalb von drei Monaten, nachdem der Anspruch schriftlich geltend gemacht worden ist, dann auch Klage erhoben werden, sollte der Arbeitgeber nicht zahlen. Das heißt, wenn Dein Arbeitgeber nicht auf Deine Fristsetzung zur Zahlung (wir empfehlen auch hier 3-4 Wochen) reagiert, hast Du die Möglichkeit, Dich ab 2025 auch dazu an den ver.di-Rechtsschutz bei dir vor Ort zu wenden.

Um Dir das Einfordern dieser Entschädigung zu erleichtern, haben wir einen entsprechenden Passus in unsere Mustergeltendmachung eingefügt.