Redaktion im Streik: Beschäftigte erhöhen Druck im Tarifstreit

Die Tarifverhandlungen mit dem Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) für die Redakteurinnen und Redakteure in Deutschlands Zeitungsredaktionen sind seit Monaten festgefahren. ver.di fordert eine Tariferhöhung von 12 Prozent bei einer Laufzeit von einem Jahr sowie Regelungen zum Einsatz von Systemen generativer Künstlicher Intelligenz (KI), rückwirkend zum 1. Mai 2024. Dafür streikt aktuell die Redaktion der Süddeutschen Zeitung
21.01.2025
Newsroom der Bild-Zeitung in Berlin

Die Redakteurinnen und Redakteure der Süddeutschen Zeitung haben seit Mitternacht für 48 Stunden die Arbeit niedergelegt. Dies teilten die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di und der Bayerische Journalistenverband (BJV) mit. Der Streik begann am 21. Januar um 0:00 Uhr und endet morgen, am 22. Januar, um 23:59 Uhr. Grund für den Warnstreik sind die festgefahrenen Tarifverhandlungen mit dem Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV). Die Gewerkschaften fordern eine Tariferhöhung von 12 Prozent der Gehälter und Honorare sowie Regelungen zum Einsatz von Systemen generativer Künstlicher Intelligenz (KI) bei einer Laufzeit von einem Jahr, rückwirkend zum 1. Mai 2024. Das erste Angebot der Verleger sieht dagegen unverändert nur eine dreistufige Erhöhung vor: 120 Euro ab Januar 2025, 1,5 Prozent ab August 2026 und 1,0 Prozent 2027 bei einer Laufzeit bis Ende 2027.

Besonders umstritten ist der Plan der Verleger, die bisherigen automatischen Gehaltssteigerungen nach Berufsjahren an verpflichtende Weiterbildungen zu koppeln. Diese müssten die Redakteurinnen und Redakteure eigenverantwortlich und auf eigene Kosten absolvieren. „Mit dieser Haltung gefährden die Verlegerinnen und Verleger die Demokratie, weil man es sich schlicht und einfach nicht mehr leisten kann, als Journalistin oder Journalist zu arbeiten“, so Martin Mühlfenzl, Sprecher der ver.di-Betriebsgruppe der SZ und Lokalredakteur.

Angebot der Verleger ist grotesk

„Angesichts der seit fast drei Jahren grassierenden Inflation hier noch von einem ‚Angebot‘ der Verleger zu sprechen ist grotesk“, sagt Franz Kotteder, dju-Landesvorsitzender in Bayern und Mitglied der ver.di-Verhandlungskommission. „Als Bayer würde ich da eher sagen: Der Verlegerverband bettelt um eine Watschn in Form einer sehr hohen Streikbeteiligung.“

„Vor allem für junge Kolleg*innen ist es mit der aktuellen Entwicklung nicht mehr möglich, sich auf den Beruf einzulassen. Die Verleger gefährden die Zukunft ihrer Häuser, wenn sie ihre Mitarbeiter in Zeiten so hoher Inflation nicht vernünftig und fair bezahlen“, sagt Ertunç Eren, Fachsekretär für Medien im ver.di Bezirk München. Eren verweist auf die hohe Streikbeteiligung, die es bei den vergangenen drei Arbeitskämpfen bei der SZ bereits gegeben hat. „Nun gehen die Kolleg*innen in dieser Tarifrunde erstmals gemeinsam mit dem BJV auf die Straße, um sich für faire Löhne in den Redaktionen einzusetzen. Ich bin mir sicher, dass wir zusammen ein starkes Zeichen setzen werden, um den Verlegern klarzumachen: Euer Angebot muss deutlich besser werden!“

Der Streik findet vor der fünften Verhandlungsrunde statt. Es ist der erste gemeinsame Arbeitskampf von dju und BJV in dieser Tarifrunde. Die Tarifverhandlungen werden am 28. Januar 2025 in Düsseldorf weitergeführt.

Bereits seit Mai befinden sich die dju und der Zeitungsverlegerverband BDZV in der Tarifrunde. Aber auch nach vier Runden gab es kein Ergebnis, nur erste Mini-Angebote der Arbeitgeber. Die reichten nicht aus, um den von ver.di geforderten Nachholbedarf bei Gehältern und Honoraren zu erfüllen.

 

„Die BDZV-Vertreter*innen lassen kein Verständnis für die wirtschaftlichen Erwartungen der Zeitungsjournalist*innen in ihren Verlagen erkennen. Ein Angebot mit weniger Netto-Wirkung als die Tarifzahlungen im Jahr 2024 und im jeweiligen Volumen unter 1 Prozent in den Jahren 2026 und 2027 in einer Laufzeit bis Ende 2027 lässt keinen anderen Schluss zu.“

ver.di-Verhandlungsführer Matthias von Fintel

Matthias von Fintel betont zudem: „Die Ablehnung, sich zwischen den Tarifparteien auf verbindliche Regeln für die den Redaktionsalltag zunehmend bestimmenden KI-Tools in Redaktionssystemen zu verständigen, mutet wie Realitätsverweigerung an. Dies mit einem eher klerikalen Argument des angeblichen Tendenzschutzes zu begründen, umso mehr“, erklärte ver.di-Verhandlungsführer Matthias von Fintel.

Die Gegenforderungen des BDZV werden aufrechterhalten: Demnach sollte es nach Berufsjahresstufen zustehende Einkommensschritte nur noch dann geben, wenn der/die Redakteur*in eine thematisch vorgegebene, aber ansonsten vollkommen eigenverantwortlich zu organisierende Weiterbildung vorweisen könne. Weder dafür nötige Freistellungen, Bezahlung der Weiterbildung oder anderweitige Mithilfe des Verlages sollen vorgesehen sein. Die Folge wäre, auf Einstiegsgehältern stecken zu bleiben. Zudem solle es bei der Übernahme von Leistungsaufgaben keine tarifliche Höhergruppierung, sondern nur noch einzeln dem Verlag abzuringende Zulagen geben. Außerdem sollen Vorbeschäftigungszeiten nur noch aus Zeitungsberufsjahren angerechnet werden. Erfahrungen aus anderen Medien wie Rundfunk, Agenturen oder Zeitschriftenverlage sollen nur ausnahmsweise anerkannt werden, so die Gegenvorstellungen des BDZV.

 

„Mit immer weniger Kolleg*innen müssen wir mehr Kanäle online und die Zeitungsausgabe produzieren. Die gestiegene Produktivität wird von den Verlegern überhaupt nicht anerkannt und vergütet.“

Peter Freitag, Redakteur Rheinische Redaktionsgemeinschaft

Der Verlegerverband habe keine Vision, wie Journalist*innen noch für den anspruchsvollen und für die Gesellschaft so wichtigen Zeitungs-Job noch zu gewinnen sein sollen, so der Redakteur und stellvertretende Vorsitzdende der dju. „Er verhält sich in Tarifverhandlungen losgelöst von unseren Problemen in den Redaktionen.“

Nicht nachvollziehbar sei auch, sich „dem aktuell drängenden Thema Einsatz von KI zu verweigern“, erklärte Matthias von Fintel. „Aus dem Journalismus ist KI nicht mehr wegzudenken“. ver.di fordert klare Regelungen zum KI-Einsatz, die zur stärkeren Autonomie der Zeitungsjournalist*innen beim Einsatz der Instrumente, mehr Mitbestimmung beim KI-Einsatz und Beteiligung an den zu erwartenden Effizienzerlösen führen sollen.

 

„Der BDZV agiert mit tarifpolitischen Scheuklappen. Zulasten von Journalistinnen und Journalisten, für deren Arbeit es keine klaren Grundregeln dazu gibt, wie über die KI-basierte Verwendung eigener Beiträge in den Redaktionssystemen mitbestimmt werden kann.“

ver.di-Verhandlungsführer Matthias von Fintel.

Die Verleger lehnen ebenfalls eine Beteiligung der Beschäftigten an den erwarteten Effizienzgewinnen ab“, so Matthias von Fintel. „Mit seinen personalpolitischen und beruflichen Vorstellungen zum Journalismus bewegt sich der BDZV meilenweit hinter den Erfordernissen der aktuellen Medienlandschaft. So baut der BDZV die Attraktivität des Berufs als Zeitungsredakteurin/Zeitungsredakteur noch weiter ab“, kritisierte von Fintel nach der ergebnislosen dritten Runde. Der vierte Verhandlungstermin ist für den 18. Dezember in Düsseldorf vorgesehen.

Verhandlungsauftakt war im Mai 2024

Der Verhandlungsauftakt fand am 27. Mai 2024 statt. „Nach mehreren für Zeitungsjournalistinnen und -journalisten nachteiligen Tarifabschlüssen muss der eingetretene Reallohnverlust ausgeglichen werden. Mit 12 Prozent könnte der Anschluss an die allgemeine Tarifentwicklung wieder hergestellt werden“, sagte von Fintel zur ersten Runde. Weitere drängende Themen in Redaktionen seien die immens gestiegene Arbeitsbelastung nach stetigem Personalabbau und die Sorgen um die journalistische Zukunft, wenn KI intransparent Einzug hält in die Publikationen. „KI-Systeme bieten einige Vorteile für die journalistische Arbeit, aber nur wenn die Kolleginnen und Kollegen auch mitentscheiden können, wo die Grenzen für maschinell generierte Zeitungsinhalte zu setzen sind.“