Betriebsrätemodernisierungsgesetz

Umfangreiche Infos, eine Einschätzung von ver.di und Seminarangebote zum neuen Gesetzesbeschluss
01.03.2022
Starker Betriebsrat: Wie gut ist das neue Gesetz?

Ein erster, zu kleiner Schritt in die richtige Richtung

Seit dem 18. Juni 2021 gilt das Gesetz zur Förderung der Betriebsratswahlen und der Betriebsratsarbeit in einer digitalen Arbeitswelt (Betriebsrätemodernisierungsgesetz), zum 15. Oktober 2021 sind die Änderungen der Wahlordnung in Kraft getreten.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) liefert in seiner Broschüre einen Überblick zu den Änderungen im Betriebsverfassungsgesetz und in der Wahlordnung und zu ihrer Bedeutung für die tägliche Betriebsratsarbeit. Im Online-Download-Center des DGB findet ihr die DGB-Broschüre zum Betriebsrätemodernisierungsgesetz als PDF.

Der Gesetzestext ist den BT-Drucksachen 19/28899 (eingebrachter Kabinettsentwurf, hier als PDF) und der Beschlussempfehlung 19/29819 (angenommen mit geringfügigen Änderungen, hier als PDF) zu entnehmen. 

 

  • Wesentliche Änderungen zum Betriebsrätemodernisierungsgesetz

    • Senkung des Mindestalters (nur) für das aktive Wahlrecht auf 16 (§ 7 Satz1)

    • Senkung der Schwellenwerte für das zwingend vereinfachte Wahlverfahren (bis 100 Beschäftigte) und für dessen Durchführung kraft Vereinbarung (bis 2oo Beschäftigte), Senkung der Zahl von Stützunterschriften in Kleinbetrieben (§§ 14, 14a)

    • in eher geringem Maße Ausweitung des Kündigungsschutzes für Initiator*innen von erstmaligen Betriebsratswahlen (§ 15 Abs. 3a KSchG)

    • unbefristete Zulässigkeit virtueller Betriebsratssitzungen unter Vorrang der Präsenzsitzung (§§ 30 ff.)

    • Arbeitgeberseite ist alleinverantwortlich i. S. d. DSGVO, Schweigepflicht des/der Datenschutzbeauftragen gegenüber Arbeitgeberseite hinsichtlich Informationen über BR-Interna (§ 79a)

    • Normierung des Mitbestimmungstatbestandes der Ausgestaltung (nicht der Einführung) mobiler Arbeit (§ 87 Abs.1 Nr. 14)

    • Der Beteiligung unterliegende Planung von Arbeitsabläufen wird auf den Einsatz Künstlicher Intelligenz erweitert (90 Abs. 1 Nr. 3).

    • Möglichkeit der Anrufung der Einigungsstelle bei Dissens über Berufsbildungsmaßnahmen

    • Erweiterung des Vollschutzes vor Kündigungen ehemaliger BR-Mitglieder auch, wenn Betriebsrat nicht (mehr) besteht (§ 103 Abs. 2a)

     

  • Die Bewertung aus Sicht von ver.di

    Das Gesetz setzt sich zum Ziel, der kontinuierlich abnehmenden Vertretung von Beschäftigten durch Betriebsräte – insbesondere durch arbeitgeberseitige Behinderung – durch vereinfachte Wahlverfahren und erweiterten Kündigungsschutz von Wahlinitiator*innen entgegenzuwirken.

    Zum anderen soll es die Beteiligung von Betriebsräten durch Anpassung von Regelungen an die durch Digitalisierung veränderte Arbeitswelt sicherstellen, etwa durch:

    • Ermöglichung virtueller Betriebsratssitzungen,
    • Anspruch auf externen Sachverstand im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz und
    • Schaffung neuer Beteiligungstatbestände, insbesondere im Zusammenhang mit mobiler Arbeit.

    Die derzeit geltende – als pandemiebedingte Übergangslösung konzipierte – Regelung von Betriebsratssitzungen in Form von Video- und Telefonkonferenzen soll notwendigerweise konkret ausgestaltet werden, etwa durch:

    • Normierung eines Widerspruchquorums und
    • Voraussetzung  einer konstitutiven Geschäftsordnung, die den Vorrang der Präsenzsitzung sicherstellt. 

     

  • ver.di-Statement zum Betriebsrätemodernisierungsgesetz

    Aus Betriebsrätestärkungsgesetz wird Betriebsrätemodernisierungsgesetz

    Nachdem des BMAS zunächst einen Referentenentwurf für ein Gesetz zur Förderung der Betriebsratswahlen und zur Stärkung der Betriebsräte herausgebracht hatte (das sogenannte "Betriebsrätestärkungsgesetz"), wurde daraus kurz vor Ostern ein Gesetzesentwurf zur Förderung der Betriebsratswahlen und der Betriebsratsarbeit in einer digitalen Arbeitswelt (das sogenannte "Betriebsrätemodernisierungsgesetz").

    (mehr Details zum anfänglichen Hin und Her im "Rückblick" weiter unten)

    Mit einem beschleunigten Zeitplan soll dieser Kabinettsentwurf zum Betriebsrätemodernisierungsgesetz nun das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren durchlaufen. Fachleute rechnen damit, dass dieses Verfahren vor der Sommerpause beendet sein wird und das Gesetz bzw. dessen Änderungen in Kraft treten.

    Was bringt das neue Gesetz?

    Nicht nur der Name hat sich geändert, auch inhaltlich wurden an vielen Stellen Veränderungen gegenüber dem Entwurf aus dem Arbeitsministerium vorgenommen.

    Positive Aspekte:

    • Erfreulich sind die Regelung zur Ausweitung des vereinfachten Wahlverfahrens und die Maßnahmen zur Einschränkung der Anfechtbarkeit von Betriebsratswahlen.

    • Enthalten ist auch die datenrechtliche Klarstellung, dass der Betriebsrat „Teil der verantwortlichen Stelle“ des Arbeitgebers bleiben soll.

    • Zukünftig soll es möglich sein, Betriebsvereinbarungen oder Interessensausgleiche und Sozialpläne sowie Einigungsstellensprüche mittels qualifizierter elektronischer Signatur zu unterzeichnen. 

    Kritische Aspekte:

    • Leider wurde bei den Regelungen zu künftigen Beschlussfassungen in Betriebsratssitzungen mittels Video- und Telefonkonferenzen versäumt, die Telefonkonferenz als nachrangig zu bewerten.  

    • Lückenhaft und deshalb noch deutlich verbesserungswürdig sind die vorgeschlagenen Regelungen zur Erweiterung des individuellen besonderen Kündigungsschutzes für Wahlagierende.

    • Beschäftigte, die einen Betriebsrat gründen wollen, müssen umfassend vor Kündigungen des Arbeitgebers geschützt werden! Der Gesetzesentwurf sieht hier nur einen schwachen und unzureichenden Schutz vor. Aber die Praxis zeigt, dass nur mit umfassendem Schutz ein Ausbremsen des Betriebsrats effektiv gestoppt werden kann.

    Ebenfalls kritikwürdig:

    • Sachverständige dürfen lediglich bei Angelegenheiten des Themenfeldes Künstliche Intelligenz (KI) erleichtert hinzugezogen werden.

    • Mitbestimmungsrecht für den Betriebsrat (BR) besteht nicht bei der Einführung, sondern (nur) bei der Ausgestaltung mobiler Arbeit und auch (nur), wenn diese mittels Informations- und Telekommunikationstechnik erbracht wird.

    • Es fehlen "Klarstellungen" zu den BR-Rechten beim Einsatz von KI, insbesondere ein verbindliches „prozedurales Mitbestimmungsrecht“ im gesamten (vernetzten) Prozess sowie weitere erforderliche Mitbestimmungsrechte.

    • Zur Einigung mit dem Arbeitgeber auf Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung gibt es nun Regelungen, die dem BR ein Beratungsrecht mit Anrufung der Einigungsstelle einräumen. Allerdings besteht kein Letztentscheidungsrecht bzw. Einigungszwang der Einigungsstelle, somit ergibt sich aus diesen Regelungen letztlich keine gelungene echte Verbesserung.

    Unser Fazit

    Dieser Gesetzesentwurf ist nur ein erster kleiner Schritt, um die Stärkung und Modernisierung der Betriebsratsarbeit voran zu bringen. Es bleibt noch viel zu tun!

     

  • Aktuelle Rechtsprechung

    Vereinbarkeit des Betriebsratsamts mit dem Amt von betrieblichen Datenschutzbeauftragten weiter ungeklärt: EuGH hat zu entscheiden

    Das BAG legt dem EuGH die Frage vor, ob ein Betriebsratsmitglied die Funktion eines betrieblichen Datenschutzbeauftragten innehaben kann (BAG, 28.04.21, Az.: 9 AZR 383/19). Zu entscheiden war, ob die Abberufung eines Beschäftigten vom Amt des betrieblichen Datenschutzbeauftragten rechtmäßig bzw. geboten war, weil er gleichzeitig Mitglied des Betriebsrats war.

    Nachdem die Vorinstanzen beide Ämter für vereinbar gehalten und der Klage des Beschäftigten stattgegeben hatten, legte das BAG die Frage als sogenanntes Vorabentscheidungsersuchen vor.

    Ob Interessenskonflikte denkbar und die beiden Ämter somit unvereinbar seien, müsse nach Maßgabe der Datenschutzgrundverordnung entschieden werden. Somit sei die Auslegung europarechtlicher Vorschriften vorzunehmen, was in die Kompetenz des EuGH fällt.

    Bis zur Entscheidung sollte eine „Doppelmitgliedschaft“ vermieden werden.

    BR hat Anspruch auf Videokonferenztechnik

    Der Betriebsrat kann die erforderliche technische Ausstattung zur Durchführung von Videokonferenzen verlangen. Das LAG Berlin-Brandenburg (14.04.21, Az.: 15 TaBVGa 401/21) gab einem entsprechenden Antrag auf einstweilige Verfügung eines Betriebsrats statt, da die technische Ausstattung zur Durchführung von Videokonferenzen erforderliche Informationstechnik i. S. v. § 40 Abs. 2 BetrVG ist.

    Nach dieser Entscheidung müssen arbeitgeberseitig sowohl grundsätzlich Präsenz- (LAG Berlin-Brandenburg, 13.10.20, Az.: 26 TaBVGa1281/20) als auch Videokonferenzen möglich gemacht werden. Dies dürfte auch nach Inkrafttreten des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes gelten.

    Zwar formuliert der Kabinettsentwurf in § 30 Abs.1 BetrVG den Vorrang der Präsenzsitzung, allerdings kann der Betriebsrat durch seine Geschäftsordnung die Voraussetzungen für virtuelle Sitzungen schaffen.

    Trotz grundsätzlicher Bedenken gegen virtuelle Sitzungen ist die Entscheidung als Bestätigung des Selbstverwaltungsrechts der Betriebsräte zu begrüßen.

     

  • Seminare

    Seminarangebote für Betriebsräte von ver.di b+b

    Seminare zum Thema "BetrVG aktuell – Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz: Inhalte und Auswirkungen auf die Arbeit der Betriebsräte" gibt es bei ver.di b+b sowohl online als auch in Präsenz:

     

  • Rückblick

    Für mehr Demokratie im Betrieb: Am Mittwoch, den 31. März 2021, wurde im Bundeskabinett das Betriebsrätemodernisierungsgesetz beschlossen!

    „Ich begrüße es sehr, dass sich Bundesarbeitsminister Hubertus Heil mit Unterstützung des Arbeitnehmerflügels in der Union durchsetzen konnten,“ sagte der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann in Berlin.

    „Die Betriebliche Interessenvertretung steht für mehr Demokratie im Betrieb. Das hat ihre bedeutende Rolle bei der Bekämpfung der Pandemie bestätigt, und das gilt auch für die Zukunft. Gerade der digitale Wandel in der Arbeitswelt macht es dringend erforderlich, dass die Mitbestimmungsrechte von Betriebsräten gestärkt werden. Dafür ist das Betriebsrätemodernisierungsgesetz ein erster wichtiger Schritt, auf den sich die Koalitionsparteien nach wochenlangem Gezerre verständigen konnten.“

    (mehr Details siehe unten: Was zuvor geschah)

     

    Dieser Schutz ist längst überfällig, denn noch immer machen sich zu viele Arbeitgeber einen regelrechten Sport daraus, Betriebsratswahlen zu verhindern oder Betriebsratsarbeit zu behindern.

    Reiner Hoffmann, Vorsitzender der DGB

    Hoffmann weiter: „Der Gesetzentwurf sieht einen besseren Schutz derjenigen Kolleginnen und Kollegen vor, die sich für die Wahl eines Betriebsrates einsetzen, auch Betriebsratsgründungen werden erleichtert.

    Darüber hinaus stärkt das Gesetz die Rechte von bestehenden Betriebsräten, indem vor allem bei mobiler Arbeit als auch bei Weiterbildung und beim Einsatz von KI die Möglichkeiten der Betriebsräte erweitert werden.“ 

    „Eine grundlegende Modernisierung der Betriebsverfassung, die angesichts des rasanten Strukturwandels notwendig ist, sieht der Gesetzentwurf nicht vor. Bei Zukunftsthemen wie Umwelt- und Klimaschutz, Digitalisierung oder auch altersgerechtes Arbeiten sind Betriebsräte weiterhin weitgehend außen vor. Um die Arbeitswelt auch nach der Pandemie gerecht mit zu gestalten, brauchen wir verbindliche Beteiligungsrechte der Betriebsräte auch zu diesen Themen.

    Arbeitgeber, die lautstark ein Moratorium fordern, wollen nichts anderes als Stillstand. Den können wir angesichts des rasanten Wandels in der Arbeitswelt nicht gebrauchen. Daher wird das Thema Mitbestimmung ganz oben auf der Agenda für die Bundestagswahlen im Herbst stehen.“

     

    Was zuvor geschah

     

    Statement von Kerstin Jerchel (ver.di) zum Stop des geplanten Gesetzes

    In einem Referentenentwurf hatte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Januar 2021 Ansätze zur Stärkung der Betriebsratsarbeit und Mitbestimmung im Betrieb formuliert. Dieser Vorstoß wurde nun allerdings von den Unionsministerien kategorisch abgelehnt.

    Geplant war die Beratung im Kabinett über den Referentenentwurf zum Betriebsrätestärkungsgesetz für Mittwoch, den 10. Februar. Der Punkt wurde allerdings von der Agenda gestrichen, nachdem die Unionsministerien vehementen Unmut äußerten gegen den verbesserten Kündigungsschutz für Initiatoren von Betriebsräten, wie im Referentenentwurf von Hubertus Heil vorgesehen.

     

    Es ist ein Skandal, dass Beschäftigte, die von ihrem Recht Gebrauch machen, Angst haben müssen, ihren Arbeitsplatz zu verlieren! Deshalb bedarf es des besonderen Schutzes von Initiatorinnen und Initiatoren von Betriebsratswahlen.

    Kerstin Jerchel, Leiterin des ver.di-Bereichs Mitbestimmung

    DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann kritisierte diese Entwicklung scharf: „Das ist ein Affront und ignoriert die wichtige Rolle, die Betriebsräte bei der Gestaltung guter Arbeitsbedingungen täglich wahrnehmen. Gerade der Einsatz von Betriebs- und Personalräten in der Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig sie sind, wenn es etwa um den betrieblichen Gesundheitsschutz geht oder die Gestaltung mobiler Arbeit. Dafür hat erst am Montag der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den rund 400.000 Betriebs- und Personalräten gedankt.“

    Mehr dazu vom DGB:

    Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften, somit natürlich auch ver.di, setzen sich gemeinsam mit Betriebsräten dafür ein, das wichtige Mitbestimmungsthema und gerade den verbesserten Kündigungsschutz im Betriebsrätestärkungsgesetz umzusetzen.

    Grundsätzlich sehen wir im Referentenentwurf wichtige und begrüßenswerte Aspekte für die Stärkung von Betriebsräten, die längst überfällig ist.

    Das gilt ganz besonders für die Errichtung eines Betriebsrats sowie für die Verbesserung seiner Arbeitsmöglichkeiten und Rechte angesichts der Herausforderungen durch die Digitalisierung in der Arbeitswelt.

    Betriebsräte nehmen wichtige Funktionen in den Betrieben wahr und ermöglichen den Beschäftigten eine demokratische Teilnahme an den sie betreffenden Entscheidungen von Arbeitgeberseite.

    Allerdings erfordern solche neuen Ansätze auch mehr Mitbestimmungsrechte bei den Themen Digitalisierung und Weiterbildung! Einige Vorstellungen im Referentenentwurf stoßen daher bei uns auf Kritik.

    Die DGB-Gewerkschaften hatten dazu bereits im Januar eine gemeinsame Stellungnahme verfasst, die wir euch hier zum Download zur Verfügung stellen. 

     

Essentiell wichtig

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