Mitbestimmung

Alte Liebe darf nicht rosten

Ein Fortschritt zur Stärkung der Unternehmensmitbestimmung ist zum Greifen nah.
13.05.2024

Text von Rainald Thannisch, Leiter des Bereichs Mitbestimmung in der ver.di Bundesverwaltung

Alte Liebe rostet nicht. Was alt ist, hat sich bewährt. So oder so ähnlich spricht die Politik häufig von der Unternehmensmitbestimmung und dem zugrundeliegenden Mitbestimmungsgesetz von 1976.

Wagen wir dazu einen kurzen Rückblick: Zu ihrem 30. Jubiläum im Jahr 2006 würdigte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Mitbestimmung von Arbeitnehmervertreter*innen im Aufsichtsrat als „große Errungenschaft“. Zehn Jahre später bezeichnete sie der damalige Bundespräsident Joachim Gauck als „Kernelement unserer Kooperations- und Konsenskultur“. Und erst im vergangenen Jahr bekräftigen Bundeskanzler Olaf Scholz und Vizekanzler Robert Habeck ihre Verbundenheit, indem sie öffentlich erklärten, dass die Mitbestimmung im Aufsichtsrat einen „Kern von Sozialpartnerschaft“ darstelle bzw.  „Unternehmen stärker mache“.

Es gibt gute Gründe dafür, dass die genannten Persönlichkeiten die Unternehmensmitbestimmung überparteilich loben. Wissenschaftliche Studien zeigen unzweifelhaft, dass Unternehmen mit einem mitbestimmten Aufsichtsrat ökonomisch erfolgreicher sind, nachhaltiger wirtschaften und Krisen besser bewältigen. Dazu kommt, dass die eng mit der Unternehmensmitbestimmung verknüpfte betriebliche Mitbestimmung das Vertrauen in die Demokratie stärkt: Heute wichtiger denn je.

Kurzum: Man sieht deutlich, dass der „alte Besen“ Mitbestimmung noch längst nicht zum alten Eisen gehört. Die Frage ist jedoch, ob er noch alle Ecken im Gebäude unserer stets wandelnden Arbeits- und Wirtschaftswelt erreichen kann. Die Antwort lautet nein: Durch Globalisierung und Europäisierung sind unerreichbare Risse und Nischen entstanden mit der Folge, dass die Reichweite der Unternehmensmitbestimmung schwindet. So zeigen aktuelle Daten der Hans-Böckler-Stiftung, dass sich derzeit insgesamt mindestens 424 Unternehmen mit zusammen mindestens 2,4 Mio. Beschäftigten der paritätischen Mitbestimmung im Aufsichtsrat entziehen oder ihre Anwendung gesetzeswidrig ignorieren.

Dabei sprechen wir von einer sogenannten „präventiven Vermeidung“ der Unternehmensmitbestimmung: Junge, wachsende Kapitalgesellschaften nutzen rechtliche Tricks, um sich dauerhaft dem deutschen Mitbestimmungsgesetz zu entziehen, dessen Anwendung mit mehr als 2.000 inländischen Beschäftigten beginnt.

Woran liegt diese Fehlentwicklung?

Kurz gesagt an veralteten Mitbestimmungsgesetzen, die mit neuen rechtlichen Entwicklungen nicht Schritt zu halten vermögen, an trickreichen Rechtsanwält*innen und Berater*innen, die im europäischen und deutschen Recht Schlupflöcher zur Mitbestimmungsvermeidung gefunden haben, an verantwortungslos handelnden Unternehmer*innen, die diese Optionen nur allzu gerne nutzen, und letztlich auch an tatenlosen Politiker*innen früherer Legislaturperioden, die nicht dazu bereit waren, diese Schlupflöcher zu stopfen.

Wir benötigen daher dringend ein Update der Mitbestimmungsgesetze. Immerhin stammt das standardsetzende Mitbestimmungsgesetz aus dem Jahr 1976. Das sahen auch die Politiker*innen der SPD, der Grünen und der FDP so, als sie im Dezember 2021 ihren Koalitionsvertrag vorstellten. Wörtlich heißt es dort u. a.: „Missbräuchliche Umgehung geltenden Mitbestimmungsrechts wollen wir verhindern.“ Diesem Satz folgt eine Reihe sehr klarer Ankündigungen.

Nun gilt es, den schönen Zeilen im Koalitionsvertrag Taten folgen zu lassen und die Mitbestimmungsgesetze zu stärken. Denn die Erosion der Unternehmensmitbestimmung schreitet Tag für Tag voran. „Mehr Fortschritt wagen“, so lautet die Überschrift des Koalitionsvertrages. Ein Fortschritt zur Stärkung der Unternehmensmitbestimmung ist zum Greifen nah. Diese Chance sollte nicht vertan werden. Denn neue Besen kehren gut!

Hintergrundinformationen zur Veröffentlichung

Der vorliegende Beitrag wurde erstmalig in der Zeitschrift „Arbeit und Recht“, Rubrik „Meinung“, Ausgabe 5/2024, veröffentlicht.

Die Zeitschrift Arbeit und Recht, kurz AuR genannt, ist eine der profiliertesten Informationsquellen für alle, die sich intensiv und differenziert mit Arbeitsrecht befassen. Seit 1953 wird sie vom Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes herausgegeben. AuR bietet rechtssicher und kompetent Informationen zur deutschen und europäischen Rechtspolitik und Rechtsetzung – immer mit Fokus auf Wissenschaft, gerichtliche und gewerkschaftliche Praxis. Sie ist die einzige dezidiert arbeitnehmerorientierte und gewerkschaftlich ausgerichtete Arbeitsrechtszeitschrift in einem sehr strukturkonservativen juristischen Umfeld.

 

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