Mitbestimmen auf Höhe der Zeit

19.01.2022

19.01.2022 – 1972 trat das von der damaligen sozial-liberalen Bundesregierung reformierte Betriebsverfassungsgesetz in Kraft, heute vor genau 50 Jahren. Auch 27 Abgeordnete der Unionsfraktion hatten für den Entwurf gestimmt. Das erneuerte Gesetz löste damit seinen Vorgänger aus dem Jahr 1952 ab, ein Gesetz, das von den Gewerkschaften seinerzeit als unzureichend kritisiert worden war. Im Betriebsverfassungsgesetz sind die Grundlagen für die Arbeit von Betriebsräten, ihre Rechte und Aufgaben geregelt.

 
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Was ändert sich 2022 am Betriebsverfassungsgesetz?

Und auch heute machen sich die Gewerkschaften für eine Weiterentwicklung der Betriebsverfassung stark. Digitalisierung, Homeoffice, Weiterbildung, die anstehende Transformation der Wirtschaft, all das stellt auch die Interessenvertreter*innen und Gewerkschaften vor neue Herausforderungen. Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz, das im vergangenen Herbst noch von der großen Koalition verabschiedet worden ist, ist da ein erster Schritt – der den Gewerkschaften aber nicht reicht.

Die derzeit amtierende Ampelkoalition hat in ihrem Koalitionsvertrag die Schaffung eines digitalen Zugangsrechts für Gewerkschaften ebenso vereinbart wie die Einstufung von der Behinderung der Betriebsratsarbeit als Offizialdelikt. Gute Ansätze, aber vieles fehlt halt noch, um die Mitbestimmung auf den Stand der Zeit zu bringen.

Warum wurde das Betriebsverfassungsgesetz 1972 geändert?

Auch der 1972 abgeschlossenen Reform war gewerkschaftliche Unzufriedenheit vorausgegangen. Angesichts einer Konjunktur- und Strukturkrise mit Massenentlassungen in der Mitte der 1960er Jahre hatte sich der betriebsrätliche Instrumentenkasten als mangelhaft erwiesen. Deshalb schickten die Gewerkschaften in den Folgejahren weitreichende Mitbestimmungsforderungen auf das parlamentarische Parkett.

Ermuntert durch Willy Brandts Versprechen „Mehr Demokratie wagen“ forcierte der Deutsche Gewerkschaftbund (DGB) die Debatte mit der Kampagne: „Für ein besseres Betriebsverfassungsgesetz“. Doch der Regierungsentwurf vom 28. Januar 1971 enttäuschte. Auf der Mängelliste: Zu wenig Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten, ein nur schwaches Zugangsrecht der Gewerkschaften zu den Betrieben und der Wunsch nach einem Arbeitsdirektor analog der Montanmitbestimmung war ganz unter den Tisch gefallen. Unzufrieden waren auch die Unternehmensverbände, die vermeintliche Einschränkungen der Eigentumsrechte beklagten und deshalb eine Heerschar von Juristen mobilisierten.

Bei der ersten Beratung im Bundestag im Februar 1971 betonte Arbeitsminister Walter Arendt (SPD), zuvor Vorsitzender der IG Bergbau, dass viele Änderungen gegenüber dem geltenden Recht mehr Demokratie in die Betriebe bringe und das Arbeitsleben humaner mache, aber nicht alle Vorschläge „für ein modernes Betriebsverfassungsgesetz letztgültige Lösungen darstellen.“ Vor der Schlussabstimmung im November 1971 hob der SPD-Sozialexperte Ernst Schellenberg die neuen Einflussmöglichkeiten der Betriebsräte bei Rationalisierung, Automation und anderen Folgen des Strukturwandels hervor.

Was hat die Reform gebracht?

Die Reform der Betriebsverfassung erhielt von den Gewerkschaften einen eher verhaltenen Beifall. Man bedauerte die halbherzige Reform, denn zu einem Mehr an Gegenmacht in den Betrieben war es nicht gekommen. Andererseits wollte man das neue Gesetz mit Leben erfüllen. Tatsächlich hat es für eine pragmatische Interessenvertretung bei der Gestaltung von Arbeitsabläufen und Arbeitsplätzen mehr Mitbestimmung normiert, Betriebsänderungen nach Gutsherrenart durch die Möglichkeit von Einigungsstellenverfahren vermindert und mit Kündigungsschutz, Freistellungen – auch für Schulungen – für Betriebsräte die Alltagspraxis stärker abgesichert.

 

Betriebsratswahlen im Frühjahr 2022

Übrigens stehen im kommenden Frühjahr wieder Betriebsratswahlen an. In der Zeit vom 1. März bis zum 31. Mai werden bundesweit neue Interessenvertretungen gewählt. Ohne sie ist die Mitbestimmung nichts.

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