Tübingen, 13. Januar 2021 – Innerhalb der Bundesregierung wird seit Monaten darum gerungen: Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) sind für ein Lieferkettengesetz, Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) blockiert eine Regelung, die allen Unternehmen ab 500 Beschäftigten menschen- und umweltrechtliche Pflichten auferlegen soll. Umstritten ist vor allem der bessere Zugang zu deutschen Gerichten für Opfer von Arbeitskatastrophen in Ländern wie Bangladesch, Pakistan oder Brasilien.
„Es gibt nicht nur moralische, sondern auch gute ökonomische Gründe für ein Lieferkettengesetz. Wenn es um Arbeit und Natur geht, kann man den Markt nicht frei walten lassen.“
Nach Kirchen und Gewerkschaften melden sich nun 70 Ökonominnen und Ökonomen zu Wort und fordern von der Bundesregierung die Einführung eines Lieferkettengesetzes noch in dieser Legislaturperiode. „Es gibt nicht nur moralische, sondern auch gute ökonomische Gründe für ein Lieferkettengesetz“, sagt Prof. Hansjörg Herr von der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin, der einer der Initiator*innen des Aufrufs ist: „Wenn es um Arbeit und Natur geht, kann man den Markt nicht frei walten lassen.“
Um kurzfristige Profite zu erwirtschaften, würden sich manche Unternehmen Wettbewerbsvorteile verschaffen, indem sie Kosten und Risiken auf die Umwelt und Beschäftigte im globalen Süden abwälzen, so Herr. Die Entwicklung vieler Länder werde so gehemmt – einer der Gründe, warum so viele Menschen ihr Glück in reicheren Ländern versuchen. „Die Verantwortung von Unternehmen endet nicht an Landesgrenzen“, sagt Johanna Kusch von der Initiative Lieferkettengesetz, zu der sich mittlerweile 123 Organisationen zusammengeschlossen haben.
Deutschland als größter textiler Absatzmarkt Europas könne weltweit Standards setzen, betont Frank Hoffer. Der langjährige Mitarbeiter der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) war bis vor kurzem Geschäftsführer von ACT, der Initiative von Textilunternehmen und Gewerkschaften für existenzsichernde Löhne in der Textilindustrie. „Ein Lieferkettengesetz macht es Ländern des globalen Südens leichter, höhere Arbeits- und Umweltstandards einzuführen.“
Der Covid-19-Lockdown habe die meisten Länder des globalen Südens sehr viel härter getroffen, als Deutschland, sagt Ökonom Herr. Deutschland habe selbst im Corona-Jahr einen Leistungsbilanzüberschuss von 7 Prozent des BIP, des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet und sei hochgradig wettbewerbsfähig: „Deutschland kann sich ein solches Gesetz leisten.“
Das Argument mancher Unternehmen, das alles sei viel zu teuer und aufwändig, noch dazu während der Corona-Pandemie, lässt Prof. Elisabeth Fröhlich von der CBS International Business School in Köln nicht gelten. „Die Umsetzung nachhaltiger Strategien ist nichts anderes als eine Investition in die Zukunft.“ Unternehmen müssten ihre Lieferketten endlich transparent machen. Dafür stünden mittlerweile immer bessere Hilfsmittel bereit – etwa die internetbasierte Blockchain-Technologie.
Verantwortliches Wirtschaften lohne sich für die Unternehmen am Ende sogar: „Nachhaltigkeit ist auch ein Verkaufsargument.“ Immer mehr Menschen – und auch Großinvestoren wie der norwegische Staatsfonds – würden darauf Wert legen. Auch würden sich immer mehr gut ausgebildete Fachkräfte ihr neues Unternehmen nicht zuletzt danach aussuchen, welche Werte dort herrschen. Verantwortliche Unternehmen müssten viel weniger um ihren guten Ruf fürchten, ein schlechter Ruf könne sich nämlich negativ auf Aktienkurse und Einkaufsverhalten der Kundschaft auswirken.
Die 1.138 Toten des Rana Plaza-Fabrikeinsturzes 2013 in Bangladesch waren eben nicht nur eine humanitäre Katastrophe, sondern ließen auch die Alarme in den CSR-Abteilungen der internationalen Modemarken rot aufleuchten. Kurze Zeit später, unter dem Eindruck der vielen Toten und der weltweiten Proteste, unterschrieben rund 200 internationale Modefirmen den „Bangladesh Accord“ für Gebäudesicherheit und Brandschutz.
Text: Volker Rekittke
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