1.133 Tote, über 2.500 teils Schwerverletzte und noch immer gelten etliche Personen als vermisst – das war die Bilanz ein Jahr nach einem der größten Unglücke in der Textilindustrie in Bangladesch. Vor einem Jahr stürzte dort in einem Vorort von Dhaka ein Gebäudekomplex mit mehreren Textilfabriken wie ein Kartenhaus in sich zusammen und begrub weit über 3.000 Menschen unter sich. Noch ein Jahr danach türmt sich zwischen den umliegenden Gebäuden ein riesiger Schutthaufen auf, darunter Stoffreste von den Bekleidungsstücken, die in den Fabriken für den Export nach Europa und die USA genäht wurden. Es ist ein Bild, als wäre die Zeit stehengeblieben.
Und irgendwie ist sie das auch. Denn nicht nur an der Unglücksstelle hatte sich nichts geändert, auch die Überlebenden und die Familien der Opfer der Katastrophe warten bis heute auf eine Entschädigung. Dass sie überhaupt eine erhalten sollen, ist allein dem internationalen Druck von Gewerkschaften, der Kampagne für saubere Kleidung und anderer Nichtregierungsorganisationen wie Exchains, an der auch ver.di beteiligt ist, tie global, Inkota, Christliche Initiative Romero, Südwind und weiterer geschuldet.
Und diese erhöhen den Druck jetzt. Nicht nur, weil dem Entschädigungsfonds von 40 Millionen US-Dollar noch immer über 25 Millionen fehlen, sondern auch, weil sich an den Arbeitsbedingungen vor Ort in den Fabriken immer noch nicht viel getan hat. „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich Rana Plaza wiederholt, wenn Regulierungslücken nicht geschlossen werden“, sagt Katharina Wesenick, ver.di-Sekretärin im Handel. Der Handel sei zwar globalisiert, aber er habe keine globalen Regeln. Safia Parvin von der Nationalen Textilarbeiter-Föderation aus Bangladesch, die dieser Tage durch Deutschland reist und Kontakte zu den Beschäftigten im Textilhandel hierzulande knüpft, sagt: „Bangladesch ist immer noch das Land, in dem am billigsten produziert wird. Und bei uns wird noch immer der niedrigste Mindestlohn gezahlt.“ Es sei also durchaus noch Luft bei den Preisen, um in bessere Arbeitsbedingungen und bessere Löhne in ihrem Land zu investieren. Dies sei aber wiederum nur möglich, wenn alle Unternehmen, die an der Handelskette beteiligt sind, zur Verantwortung gezogen werden, sagt Katharina Wesenick.
Und genau darum geht es in der jetzt ins Leben gerufenen Kampagne „Eigentum verpflichtet“, die eine gesetzliche Unternehmensverantwortung einfordert. Momentan könne und müsse man von einer legalisierten Verantwortungslosigkeit sprechen, sagt Frauke Banse von der Kampagne für saubere Kleidung. Bisher kann in der gesamten Kette, von der Produktion bis zum Verkauf einer Jeans oder eines T-Shirts niemand in Haftung genommen werden, wenn eine Fabrik in Bangladesch einstürzt oder abbrennt. Und die Erfahrung zeige auch, dass freiwillige Verpflichtungen der Unternehmen nichts bringen, sagt Katharina Wesenick.
Deshalb seien die Gesetzgeber, die Politik gefordert, verbindliche Regelungen zu schaffen. Und das beziehe sich längst nicht nur auf die Textilbranche. Auch in der Lebensmittelbranche gibt es ähnliche Fälle, in denen große, weltweit agierende Unternehmen ihre Gewinne auf Kosten von Arbeitnehmer/innen und Verbraucher/innen machen. In Ecuador werden Bananenpflücker/innen aus der Luft mit Pestiziden besprüht. In Brasilien lassen Edeka und Rewe als Eigenmarken Orangensaft unter teils menschenunwürdigen Bedingungen produzieren. Von daher beruft sich die in Deutschland gestartete Kampagne auch auf den Artikel 14 des Grundgesetzes: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“
Safia Parvin, die Gewerkschafterin aus Bangladesch, hofft auf einen Erfolg der Kampagne. Sie setzt mit ihrer Gewerkschaft aber vor allem auch darauf, dass sich die Beschäftigten in Bangladesch selbst für ihre Interessen stark machen – mit Unterstützung aus Deutschland und den anderen Exportländern. Betriebsräte von H&M und Zara haben ihre Unternehmen bereits aufgefordert, aktiv zu werden, sich dafür einzusetzen, dass Gewerkschaften in Bangladesch volle Zugangsrechte zu den Zuliefererbetrieben bekommen, Löhne gezahlt werden, die die Existenz der Arbeiter/innen sichern, und dass die Zuliefererstrukturen offengelegt werden. „Erst wenn dies sichergestellt ist, kann wirklich von einer verantwortungsvollen Unternehmensführung gesprochen werden“, heißt es in ihren Schreiben.
Text: Petra Welzel