• Lieferkettengesetz

    In Deutschland ist das sogenannte „Lieferkettensorgfaltsgesetz“ seit dem 1. Januar 2023 in Kraft. Auch ein EU-Lieferkettengesetz wird es nun geben. Was Du dazu wissen musst

    Textilarbeiterinnen fordern in Bangladesch mehr Schutz und mehr Rechte, sie brauchen ein Lieferkettengesetz
    © DPA Bildfunk

EU-Lieferkettengesetz kommt – aber stark abgeschwächt

15.03.2024 – Die Bundesregierung hat dem in Brüssel ausgehandelten Kompromiss zum EU-Lieferkettengesetz auf Druck der FDP und großer Wirtschaftsverbände auch nach weiteren Verhandlungen nicht zugestimmt beziehungsweise sich bei einer neuerlichen Abstimmung enthalten. Eine stark abgeschwächte Version des EU-Lieferkettengesetzes hat nun dennoch die zentrale Hürde genommen: Der Ausschuss der Ständigen Vertreter des Rats der Europäischen Union (COREPER) stimmte am 15. März 2024 für das wichtige Menschenrechtsvorhaben. Damit kann die Richtlinie noch vor der Europawahl im Juni verabschiedet werden.

„Die Einigung auf ein Lieferkettengesetz ist gerade auch im EU-Wahljahr ein wichtiges Signal an die Bürgerinnen und Bürger, wie wichtig starke europäische Institutionen sind, um ideologiegetriebene nationale Alleingänge zu korrigieren“, sagte der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke. Bedauerlich sei die Erkenntnis, dass sich Deutschland in Europa zunehmend isoliere, erklärte Werneke. Angesichts der volkswirtschaftlichen Bedeutung Deutschlands dürfe man die Gestaltung der Europapolitik nicht der wirtschaftspolitischen Stahlhelm-Fraktion der FDP überlassen.

Wochenlang und bis zuletzt hatte die FDP versucht, das Gesetz zu Fall zu bringen. Die EU hatte im Trilog-Verfahren eigentlich bereits im Dezember 2023 einen Kompromiss gefunden. Mit einem stark ausgehöhlten weiteren Kompromissvorschlag gelang es der belgischen Ratspräsidentschaft jetzt doch noch eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten für das EU-Lieferkettengesetz zu sichern. FDP-Justizminister Buschmann hat auch diesen Kompromissvorschlag abgelehnt, weshalb sich Deutschland bei der Abstimmung enthielt.

Das EU-Lieferkettengesetz im Detail

Im Vergleich zur Trilog-Fassung sind die Einschnitte im nun abgestimmten Gesetzesvorschlag enorm. So soll das Gesetz erst 2032 vollumfänglich gelten – und auch das nur für Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten mit einem Jahresumsatz von mehr als 450 Millionen Euro. Damit gilt das EU-Lieferkettengesetz nur noch für rund 5.500 Unternehmen in der EU und somit nur noch für ein Drittel der Unternehmen, die ursprünglich erfasst werden sollten. Auch bei den Sorgfaltspflichten für die nachgelagerte Lieferkette gab es nochmals Einschränkungen. Diese betreffen beispielsweise die Verwendung von Pestiziden oder die Entsorgung von Abfällen.

Der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke erklärte bereits im Vorfeld: „Es ist nicht nur eine Katastrophe für die Menschenrechte weltweit, dass Deutschland sich in der Abstimmung im Rat der Mitgliedsstaaten enthalten hat. Es ist auch im höchsten Maße peinlich, dass der größte EU-Mitgliedsstaat bereits geeinte Kompromisse am Ende kippt. Zumal es nicht das erste Mal ist, dass bereits ausverhandelte Richtlinien plötzlich gestoppt werden. SPD und Grüne lassen sich von der FDP vorführen.“ In der EU würde Deutschland wegen des wiederholten „German Vote“ schon nicht mehr als verlässlicher Partner wahrgenommen. 

Damit sei auch die Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit europäischer Politik kurz vor den Wahlen zum Europäischen Parlament, bei denen ohnehin ein Erstarken EU-skeptischer und rechtsextremer Kräfte droht, massiv untergraben. „In der Sache geht die offensichtlich ideologiegetriebene Blockadehaltung der FDP an den Bedürfnissen der deutschen Wirtschaft vorbei: Viele deutsche Unternehmen haben sich für eine europäische Lieferkettenrichtlinie ausgesprochen, nicht zuletzt, um nicht gegenüber europäischen Unternehmen, die nicht unter das schon geltende deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz fallen, im Nachteil zu sein. Die Achtung von Menschenrechten entlang von Lieferketten mit dem Argument von angeblich zu viel Bürokratie für die Unternehmen abzulehnen, ist also nicht nur skandalös, sondern wird noch nicht mal von der FDP-Klientel unterstützt“, so der ver.di-Vorsitzende.

Die Vorgeschichte zum EU-Lieferkettengesetz-Kompromiss

Im Dezember 2023 hatte sich das Europaparlament gemeinsam mit den EU-Staaten auf ein europäisches Lieferkettengesetz geeinigt. Wie schon das deutsche Lieferkettengesetz, das den Namen Sorgfaltspflichtengesetz trägt, und andere nationale Lieferkettengesetze soll das EU-Lieferkettengesetz ermöglichen, dass große Unternehmen, die von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren, zur Rechenschaft gezogen werden können.

In Europa tätige Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mindestens 150 Millionen Euro Umsatz sollten ursprünglich für ihre Geschäftskette verantwortlich, also auch für Geschäftspartner des Unternehmens und teilweise auch für nachgelagerte Tätigkeiten wie Vertrieb oder Recycling. Größere Unternehmen sollten zudem einen Plan erstellen müssen, der sicherstellt, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit dem Pariser Abkommen zum Klimawandel vereinbar sind. Firmen, die nicht in der EU sitzen, fallen unter das Gesetz, wenn sie in der EU einen Umsatz von mehr als 300 Millionen Euro machen. Allein der Finanzsektor soll zunächst von den Vorgaben ausgeschlossen werden.

FDP – größter Gegener des EU-Lieferkettengesetzes

In einem Präsidiumsbeschluss von Mitte Januar hatte die FDP angekündigt, das EU-Lieferkettengesetz stoppen zu wollen. Die FDP positionierte sich damit kurz vor der Abstimmung über das Gesetz gegen den Kompromiss von EU-Rat und Europaparlament vom Dezember 2023. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hatte dabei die Verhandlungsposition der Bundesregierung maßgeblich geprägt und bis zuletzt mitgetragen. Doch dann grätschte der Beschluss seiner Partei kurz vor Toreschluss offensichtlich erfolgreich rein.

ver.di appellierte an Bundeskanzler Olaf Scholz, sich in der Frage der europäischen Lieferkettenrichtlinie (CSDDD – Corporate Sustainability Due Diligence Directive, so der offizielle Name) nicht beirren zu lassen und an der Zustimmung der Bundesregierung festzuhalten. Die in zwei Jahren Verhandlungen zwischen EU-Kommission, EU-Parlament und Rat ausgehandelte Richtlinie ging bereits an vielen Stellen auf die Sorgen von Unternehmen, die auch von der FDP geäußert wurden, ein. Sie hätte Unternehmen nicht überfordert, sondern stellte einen Kompromiss der unterschiedlichen Positionen dar.

Grafik – Optimistische Firmen in Bezug auf strengere Lieferkettenregelungen
© Initiative Lieferkettengesetz

Meilenstein für den Schutz von Menschen und Umwelt

Eine Einigung zum EU-Lieferkettengesetz wäre aus Sicht der Initiative Lieferkettengesetz ein Meilenstein für den Schutz von Menschen und Umwelt in den globalen Lieferketten. Trotz Schwächen in den Bereichen Klimaschutz und Finanzsektor hatte die Initiative den Kompromiss zwischen Europa-Parlament, EU-Kommission und EU-Rat begrüßt. Das Gesetz würde die Menschenrechte entlang der Lieferketten stärken.

„Schluss mit Profiten auf Kosten von Menschenrechten: Das EU-Lieferkettengesetz bietet die Chance, Menschen und Umwelt in den weltweiten Liefer- und Wertschöpfungsketten von Unternehmen besser zu schützen“, sagt Johanna Kusch, Koordinatorin der Initiative Lieferkettengesetz, der mit ver.di rund 140 andere Vereinen und Organisationen angehören. Das EU-Lieferkettengesetz würde vor allem die Position von Betroffenen vor Gericht verbessern: Anders als das schon bestehende deutsche Sorgfaltspflichtengesetz sieht es im jetzigen Entwurf eine zivilrechtliche Haftung vor, wenn Unternehmen ihre Sorgfaltspflicht verletzen.

Auf der anderen Seite enthält der Kompromiss auch einige große Schwächen, zum Beispiel der Ausschluss des Finanzsektors sei nicht nachvollziehbar, sagt Johanna Kusch. „Banken und Investoren müssen bei der Vergabe von Krediten und Investitionen verpflichtet werden, Menschenrechte, Umwelt und Klima zu achten.“ Und auch bei den Klimapflichten greife die Einigung viel zu kurz und biete Unternehmen zu viel Raum für Greenwashing, so Kusch.

Die Initiative Lieferkettengesetz begrüßt insbesondere, dass das EU-Lieferkettengesetz in seinem momentanen Entwurf einem konsequent risikobasierten Ansatz folgt. Das Gesetz könnte so bereits im Vorfeld wirken und dafür sorgen, dass schwere Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden rechtzeitig erkannt und verhindert werden. Zudem soll das Gesetz nahezu die gesamte Wertschöpfungskette abdecken. Beides zusammen schaffe die Voraussetzungen dafür, Menschenrechte und Umwelt dort zu schützen, wo es am schlechtesten um sie bestellt ist, nämlich am Beginn der Lieferkette.

Das deutsche Lieferkettengesetz

Am 1.1.2023 ist in Deutschland das „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz“ in Kraft getreten. Es galt zunächst für Unternehmen ab 3.000 Beschäftigten, seit Januar 2024 gilt es auch für Unternehmen ab 1.000 Mitarbeiter*innen mit Sitz oder Zweigniederlassung in Deutschland. Das Gesetz verpflichtet diese Unternehmen, ihrer Verantwortung in der Lieferkette in Bezug auf die Achtung international anerkannter Menschenrechte und bestimmter Umweltstandards nachzukommen. Allerdings hat das Gesetz noch Lücken (Details siehe weiter unten in den FAQs). Die Probleme in den Lieferketten haben sich durch die Corona-Pandemie verschärft, und auch der Krieg in der Ukraine hat teils schwere Auswirkungen auf die globalen Lieferketten.

  • Wie Interessenvertretungen Risiken in der Lieferkette analysieren können

    ver.di und UNI Global haben einen Leitfaden für Gewerkschafter*innen und Interessenvertreter*innen erstellt, der aufzeigt, was eine Risikoanalyse nach dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz beinhalten sollte. Und er zeigt praktische Fragen auf, die durch Betriebsräte, Europäische Betriebsräte, Aufsichtsräte oder im internationalen sozialen Dialog wie im Rahmen von Gewerkschaftsallianzen gegenüber Unternehmen aufgeworfen werden können.

  • Initiative Lieferkettengesetz
    © Initiative Lieferkettengesetz

    „Rana Plaza“, ein Auslöser für das Lieferkettengesetz

    Am 24. April 2013 stürzte die Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch ein. Bis heute gilt das Unglück, bei dem über 1.100 Menschen ums Leben kamen und über 2.000 Näher*innen teils schwer verletzt wurden, als eines der größten in der Geschichte der globalen Textilindustrie. Seither wurden die Sicherheitsstandards in vielen Fabriken zwar immerhin erhöht, doch was sich kaum verändert hat, ist die Lohnsituation. Die meisten Arbeiter*innen müssen Überstunden machen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. 16 Stunden am Tag, sechs Tage die Woche – das ist keine Seltenheit. Existenzsichernde Löhne, die nicht nur für Miete und Essen reichen, sondern auch Kosten für Bildung, Alters- und Gesundheitsvorsorge abdecken, sind kein Luxus, sondern ein Menschenrecht. 

    Auf europäischer Eben wird neben dem EU-Lieferkettengesetz auch über die Entlohnung von Textilarbeitenden viel diskutiert, etwa über eine EU-Strategie mit der nachhaltige Textilien sozialer werden sollen. Zur Nachhaltigkeit von Textilien gehören auch soziale Aspekte wie die Entlohnung. Deshalb braucht es auch ein Gesetz, das faire Löhne, ein Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit, bessere Arbeitsbedingungen und einen besseren Schutz gegen sexuelle Belästigung im Textilsektor garantiert. Doch soziale Kriterien werden bislang im Vorschlag der EU-Kommission vollkommen vernachlässigt. 

    Auch hier könnte das geplante EU-Lieferkettengesetz greifen. Es könnte Unternehmen verbindliche Sorgfaltspflichten auferlegen – unter anderem für die Zahlung existenzsichernder Löhne.

    Welche Folge hätte ein schwaches EU-Lieferkettengesetzes?

    Die Bundesregierung hatte sich im Vorfeld dafür eingesetzt, dass Waffenexporte und Finanzinvestitionen von dem EU-Gesetz ausgenommen werden und Unternehmen, die ihre Klimapläne nicht umsetzen, nicht sanktioniert werden. Diese Positionen finden sich noch im Entwurf wieder. Nicht durchsetzen konnte sich die Bundesregierung hingegen mit dem Versuch, eine sogenannte „Safe-Harbour-Klausel“ in dem Beschlusstext unterzubringen – einer Art Freifahrtschein für Unternehmen, die bestimmte Zertifizierungen verwenden oder sich an Branchenstandards beteiligen. Diese sollten Unternehmen nach Vorstellung der Bundesregierung pauschal von einer möglichen Wiedergutmachung von Schäden befreien, die sie fahrlässig verursacht haben.

    Welche Anforderungen müsste das EU-Lieferkettengesetz erfüllen?

    Als drittgrößter Wirtschaftsraum der Welt steht die EU in der Verantwortung für ein Lieferkettengesetz, das einen entscheidenden Beitrag zu einer global gerechten Wirtschaft leistet. Dafür muss das EU-Lieferkettengesetz mindestens folgende Anforderungen erfüllen:

    • Es muss ausnahmslos die gesamte Liefer- und Wertschöpfungskette von Unternehmen erfassen, ohne Ausnahmen und Schlupflöcher.
    • Es muss Unternehmen in Haftung nehmen und Geschädigten endlich die Möglichkeit bieten, erfolgreich vor Gerichten in Europa Schadensersatz gegenüber beteiligten Unternehmen einzuklagen.
    • Es muss Unternehmen verpflichten, auch Umwelt und Klima zu schützen.
    • Es muss eine umfassende Beteiligung der Betroffenen und insbesondere von Gewerkschaften und Betriebsräten, deren Expertise in Sachen Arbeitnehmerrechte essentiell für eine wirksame Umsetzung der Sorgfaltspflichten ist, bei der Umsetzung des Gesetzes sicherstellen.
    Aktion der Initiative Lieferkettengesetz für ein starkes EU-Lieferkettengesetz. Am 6.12. wurde über 90.000 Unterschriften vor dem Bundeskanzleramt überreicht
    © Initiative Lieferkettengesetz/ Valère Schramm
  • Kampagnen zur Konzernverantwortung

    In seiner Dissertation „Kampagnen zur Konzernverantwortung in transnationalen Lieferketten – am Beispiel der Textilindustrie. Vom Protest zur Policy“ untersucht der Tübinger Journalist und Gewerkschafter Volker Rekittke, wie die sehr unterschiedlich verteilten Machtressourcen im globalen „Fast Fashion“-System zugunsten von Menschen- und Arbeitsrechten verschoben werden können.

  • Die wichtigsten FAQs zum deutschen und europäischen Lieferkettengesetz

    Was besagt das EU-Lieferkettengesetz?

    Das EU-Lieferkettengesetz wird erst 2032 vollumfänglich gelten – und auch nur für Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten mit einem Jahresumsatz von mehr als 450 Millionen Euro. Damit gilt das EU-Lieferkettengesetz für rund 5.500 Unternehmen in der EU und somit nur noch für ein Drittel der Unternehmen, die ursprünglich erfasst werden sollten. Auch bei den Sorgfaltspflichten für die nachgelagerte Lieferkette gab es nochmals Einschränkungen. Diese betreffen beispielsweise die Verwendung von Pestiziden oder die Entsorgung von Abfällen.

    Weiterhin gilt: Die Unternehmen müssen einen Plan erstellen, der sicherstellt, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit dem Pariser Abkommen zum Klimawandel vereinbar sind. Allein der Finanzsektor ist zunächst von den Vorgaben ausgeschlossen werden.

    Das EU-Lieferkettengesetz ist eine sogenannte Richtlinie, die die Bundesregierung jetzt auch in nationales Recht umsetzen muss. Mit dem EU-Gesetz sind deutsche Unternehmen für Sorgfaltspflichtverletzungen nun auch haftbar, das ist bislang im deutschen Lieferkettengesetz ausgeschlossen. Das bedeutet: Unternehmen könnten auch in Deutschland zivilrechtlich zur Verantwortung gezogen und beispielsweise Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden.

    Seit wann ist das deutsche Lieferkettengesetz in Kraft?

    Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist zum 1. Januar 2023 in Kraft getreten und galt zunächst für Unternehmen ab 3.000 Beschäftigten, seit Januar 2024 gilt es auch für Unternehmen ab 1.000 Mitarbeiter*innen mit Sitz oder Zweigniederlassung in Deutschland. Das Gesetz verpflichtet diese Unternehmen, ihrer Verantwortung in der Lieferkette in Bezug auf die Achtung international anerkannter Menschenrechte und bestimmter Umweltstandards nachzukommen. Bezug nimmt das Gesetz dabei auf die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNLP). Diese Leitprinzipien gehören zu den wichtigsten international anerkannten Standards der Unternehmensverantwortung für die Menschenrechte. Inwieweit ein Europäisches Lieferkettengesetz das deutsche noch beeinflussen kann, wird sich in den kommenden Monaten zeigen, wenn das EU-Lieferkettengesetz seine endgültige Form annimmt.

    Was regelt das deutsche Lieferkettengesetz?

    Das im deutschen Bundestag verabschiedete Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz legt Sorgfaltspflichten fest, die sich an den UNLP orientieren und grundsätzlich die gesamte Lieferkette erfassen. Und es legt Unternehmen umweltbezogene Pflichten auf. Darüber hinaus regelt es eine behördliche Durchsetzung, nach der eine Behörde die Einhaltung der Sorgfaltspflichten kontrolliert und die Nichteinhaltung sanktioniert. Unternehmen können vom Bundesamt für Wirtschaft- und Ausfuhrkontrolle (BAFA) mit Bußgeldern belegt werden, die sich an der Schwere des Vergehens wie auch an dem Gesamtumsatz des Unternehmens orientieren. Bei erheblichen Verstößen ab einer Bußgeldhöhe von mindestens 175.000 Euro ist ein Ausschluss von öffentlichen Aufträgen vorgesehen.

    Wie steht es um die Arbeitnehmerrechte im Lieferkettengesetz?

    Aus gewerkschaftlicher Sicht ist vor allem zu begrüßen, dass Betriebsräte mit Wirtschaftsausschüssen neue Rechte erhalten. Mit Inkrafttreten des Gesetzes bekommen sie einen Unterrichtungs- und Beratungsanspruch zu Fragen der unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten. Damit können die gewählten Interessenvertretungen der Beschäftigten über Unternehmensgrenzen hinweg für die Stärkung von Sozialstandards, Menschenrechten und Umweltpflichten wirken.

    Was gesetzliche Interessenvertretungen, also Betriebs-, Personal- und Aufsichtsräte, noch wissen müssen und tun können, wenn ihr Unternehmen den Sorgfaltspflichten nicht nachkommt, haben wir hier zusammengefasst.

    Was ist schlecht am deutschen Lieferkettengesetz?

    Das Gesetz reicht nicht weit genug, nicht bei der Sorgfaltspflicht, nicht bei der Beteiligung von Betroffenen am Sorgfaltsverfahren und auch nicht bei der Wiedergutmachung. Die Unternehmen haben mit dem Gesetz eine lange Leine bekommen, sie haben viel Spielraum und auch ein paar Schlupflöcher. In Bezug auf die umweltbezogenen Pflichten zum Beispiel sind die Biodiversität und Auswirkungen aufs Klima gar nicht berücksichtigt. Die Initiative Lieferkettengesetz, der auch ver.di angehört, erwartet von der künftigen Bundesregierung deshalb, dass sie das Gesetz entsprechend nachbessert und dass sie sich auf EU-Ebene für ein Lieferkettengesetz einsetzt, das die noch vorhandenen Schwachstellen behebt.

    Weitere wichtige Fragen werden unten in den FAQs beantwortet.

    Mehr erfahren auf der Seite der Initiative Lieferkettengesetz unter lieferkettengesetz.de

  • Gegen Gewinne ohne Gewissen

    Dass ein starkes Lieferkettengesetz dringend benö­tigt wird, be­le­gen vie­le Zah­len: Laut der ILO, der In­ter­na­tio­na­len Ar­beits­or­ga­ni­sa­tion, ar­bei­te­ten im Jahr 2020 al­lein 152 Mil­lio­nen Kin­der, statt zur Schu­le zu ge­hen, 73 Mil­lio­nen Men­schen ar­bei­te­ten un­ter ge­fähr­li­chen Be­din­gun­gen und laut dem Glo­bal Sla­ve­ry In­dex welt­weit über 40 Mil­lio­nen un­ter skla­ven­ähn­li­chen Ver­hält­nis­sen. Lap­tops, Com­pu­ter und Mo­bil­te­le­fo­ne im Wert von 15.420 Mil­lio­nen Eu­ro, die 2018 in Deutsch­land im­por­tiert wur­den, wa­ren mit dem Ri­si­ko be­haf­tet, un­ter „mo­der­ner Skla­ver­ei“ pro­du­ziert wor­den zu sein, eben­so wie Be­klei­dung im Wert von 10.448 Mil­lio­nen Eu­ro und Ka­kao im Wert von 562 Mil­lio­nen Eu­ro. Ge­win­ne oh­ne Ge­wis­sen dür­fen sich Un­ter­neh­men nicht mehr leis­ten. Des­halb ist es gut, dass jetzt auch Deutsch­land ein Lie­fer­ket­ten­ge­setz hat.

  • Die 10 wichtigsten allgemeinen FAQs zum Lieferkettengesetz

    1. Was ist überhaupt ein Lieferkettengesetz?
    2. Warum braucht es ein Lieferkettengesetz?
    3. Gibt es in anderen Ländern Lieferkettengesetze?
    4. Was sieht das deutsche Lieferkettengesetz vor?
    5. Was fordert ver.di bezüglich des Lieferkettengesetzes?
    6. Wer steckt hinter der Initiative Lieferkettengesetz?
    7. Welchen Schutz bietet das geplante Lieferkettengesetz speziell Frauen?
    8. Wie werden Menschen- und Umweltrechte in Lieferketten verletzt?
    9. Gibt es schon Gesetze, die Beschäftigte in den Lieferketten schützen?
    10. Was ist, wenn das Lieferkettengesetz nicht stark genug ist?

    1. Was ist überhaupt ein Lieferkettengesetz?

    Mit einem Lieferkettengesetz werden international agierende Konzerne für ihre gesamten Produktions- und Lieferketten in die Verantwortung genommen. Man müsste deshalb eigentlich von einem Wertschöpfungskettengesetz sprechen. Unternehmen, die Schäden an Mensch und Umwelt in ihren Lieferketten verursachen oder in Kauf nehmen, können mit einem Lieferkettengesetz dafür in Haftung genommen werden. Gewinne ohne Gewissen dürfen sich nicht länger lohnen für Unternehmen. Längst bevor wir uns ein T-Shirt, eine Hose, Jacke oder einen Mantel kaufen, läuft vielerorts etwas richtig schief. Für die Schokocreme unserer Kinder schuften immer noch viel zu oft Millionen andere Kinder vor allem in Ghana und der Elfenbeinküste in der Kakaoernte und sehen deshalb oft jahrelang ihre Familien nicht. Kinder ab einem Alter von vier Jahren bauen in Minen im Kongo Kobalt ab für unsere Handys und E-Autos. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie zeigt, wie ungeschützt die Arbeit von Kindern, Frauen und Männern am Beginn der Lieferketten ist, wenn die Ketten auseinanderbrechen, weil alles zum Stillstand kommt. Weil keine Autos und Smartphones mehr produziert, keine Textilien mehr genäht werden. Dort, am Ausgangspunkt aller Produkte, haben alle diese Menschen keinerlei Anspruch auf Corona-Hilfen. Keine Aufträge, keine Arbeit, kein Geld bedeutet für sie meist Hunger und Not. Aber auch nach der Krise werden sie ohne ein Lieferkettengesetz weiter schutzlos sein.

    2. Warum braucht es ein Lieferkettengesetz?

    Ein Brand in Pakistan mit hunderten, ein Gebäudeeinsturz in Bangladesch mit über tausend und ein Dammbruch in Brasilien mit über 200 Toten: Weil Unternehmen immer noch den Verlust von Menschenleben in Kauf nehmen, fordert die Initiative Lieferkettengesetz einen gesetzlichen Rahmen. In ihren Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte haben sich die Vereinten Nationen (UN) bereits 2011 darauf geeinigt, dass grundsätzlich alle Unternehmen die Verantwortung für die Menschenrechte in ihren Lieferketten übernehmen sollen – allerdings nur in Form einer freiwilligen Verpflichtung. Freiwillige Lösungen bringen aber nicht viel, das haben eben etliche Katastrophen allein in den letzten Jahren in der Textilindustrie, auf Ölplantagen, an Staudämmen, in Minen und anderswo gezeigt.

    Die Internationale Arbeisorganisation, ILO, sieht derzeit bei 152 Millionen Kindern in Kinderarbeit und 25 Millionen Menschen in Zwangsarbeit schwerste Menschenrechtsverletzungen durch die globale Wirtschaft. Unternehmen in Deutschland verdienen an dem, was in anderen Teilen des Globus erarbeitet wird. Und was in Deutschland produziert wird, auch dafür arbeiten Menschen weltweit. 80 Prozent des weltweiten Handels läuft inzwischen in Lieferkettennetzwerken transnationaler Unternehmen. Es ist gut, dass sie zukünftig für die Achtung der Menschenrechte entlang ihrer Lieferketten verantwortlich sind.

    3. Gibt es in anderen Ländern Lieferkettengesetze?

    In einigen europäischen Ländern existieren ebenfalls Lieferkettengesetze. England hat 2015 ein Gesetz gegen die „moderne Sklaverei“ verabschiedet, französische Unternehmen sind seit 2017 verpflichtet, menschenrechtliche Risiken auch in Tochterunternehmen und entlang der Lieferkette zu identifizieren und zu verhindern, in den Niederlanden wurde im Mai 2019 ein Gesetz gegen den Umgang mit Kinderarbeit verabschiedet, in der Schweiz befindet sich ein Gesetzesentwurf zur Konzernverantwortung im parlamentarischen Verfahren, und auf europäischer Ebene hat der EU-Justizkommissar ein Lieferkettengesetz für 2021 angekündigt.

    Tatsächlich gehen die Pläne für ein europäisches Lieferkettengesetz in mehreren Punkten weit über das deutsche Gesetz hinaus. So soll das EU-Gesetz nicht erst ab 1.000 Beschäftigten in einem Betrieb angewendet werden, neben großen sollen auch kleine und mittlere Unternehmen einbezogen werden, die an der Börse notiert oder in Risikosektoren tätig sind. Und die EU-Regelung soll auch nicht nur für Unternehmen mit Sitz in der EU gelten, sondern für alle Unternehmen, die auf dem EU-Markt Geschäfte machen wollen. Es wäre dann auch für US-amerikanische und chinesische Firmen bindend. Damit soll das EU-Lieferkettengesetz gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffen.

    Ganz klar weitergehend sind auch die Bestimmungen zur zivilrechtlichen Haftung definiert. Die EU-Mitgliedsstaaten müssten demnach dafür sorgen, dass Betroffene von Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen vor europäischen Gerichten Schadensersatz erhalten können. Und: Zukünftig soll nicht das Recht des Landes, in dem der Schaden entstanden ist, angewendet werden, sondern europäisches Recht. Die Klage der vier Opfer des Brandes in der Textilfabrik Ali Enterprises in Pakistan gegen den deutschen Textildiscounter KiK wäre mit einem solchen Gesetz anders ausgegangen. Das Landgericht Dortmund hatte am 10. Januar 2019 die Klage der vier Pakistanis abgewiesen. Die vier Überlebenden beziehungsweise Hinterbliebenen des verheerenden Brandes beim KiK-Zulieferer Ali Enterprises in Karatschi/Pakistan am 11. September 2012 mit 259 Toten hatten auf Schmerzensgeld geklagt. Doch um die Frage, ob und wie KiK seiner Verantwortung nachgekommen war und deshalb gegebenenfalls haften müsse, ging es in dem Prozess überhaupt nicht. Es ging allein darum, welches Recht anzuwenden ist: deutsches oder pakistanisches.

    Vorerst hat Deutschland nun ein Lieferkettengesetz. Beschämend ist, dass es so lange gebraucht hat, sich darauf zu verständigen. Vor allem der Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, CDU, hat es bis zuletzt torpediert. Wäre es nach seinen Kabinettskollegen, Bundesentwicklungsminister Gerd Müller, CSU, und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, SPD, gegangen, hätte ein Lieferkettengesetz längst den Gesetzgebungsweg hinter sich und in Kraft sein können. Nun gilt es seit 2023, anfangs nur für etwas mehr als 600 in Deutschland ansässige Unternehmen mit jeweils über 3.000 Beschäftigten. Mit Beginn 2024 wurde das Gesetz ausgeweitet auf Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten, das trifft auf rund 2.900 Unternehmen zu.

    4. Was sieht das deutsche Lieferkettengesetz vor?

    Mit dem Gesetz müssen Unternehmen in Deutschland die Verantwortung dafür tragen, dass ihre Zulieferer die Menschenrechte und grundlegende Umweltstandards einhalten. Es galt ab dem Jahr 2023 zunächst für große Unternehmen ab 3.000 Beschäftigten, seit 2024 fallen auch Firmen ab 1.000 Angestellten unter das Gesetz (siehe vorherige Antwort). Auch über die Höhe möglicher Bußgelder wurde beschlossen: Bei Verstößen gegen die Regelungen des Lieferkettengesetzes sind Bußgelder von bis zu zwei Prozent des weltweiten jährlichen Unternehmensumsatzes vorgesehen. Darüber hinaus können Unternehmen bei Verstößen von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden.

    5. Was hat ver.di bezüglich des Lieferkettengesetzes gefordert?

    ver.di hatte sich im Gesetzgebungsverfahrens für Nachbesserungen am geplanten Lieferkettengesetz ausgesprochen. Gestärkt werden sollten die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in den Lieferketten von Unternehmen mit Sitz in Deutschland. Sie sollten möglichst wirksam geschützt werden. Gelungen ist es ver.di und der Initiative Lieferkettengesetz, das Gesetz gegen massive Widerstände in der Wirtschaft, des Bundeswirtschaftsministeriums und in großen Teilen der Union durchzusetzen.

    6. Wer steckt hinter der Initiative Lieferkettengesetz?

    Die Initiative Lieferkettengesetz ist ein Zusammenschluss von inzwischen rund 140 zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Menschenrechts-, Entwicklungs- und Umweltorganisationen sowie Gewerkschaften wie auch ver.di und kirchlichen Akteuren.

    7. Welchen Schutz bietet das Lieferkettengesetz speziell Frauen?

    Der Deutsche Frauenrat (DF) bemängelt im Lieferkettengesetzes vor allem die Lücken bei der Gleichstellungsperspektive. Wenn Unternehmen oder mittelbare Zuliefer*innen gegen genannte Rechte verstoßen, drohten zwar künftig Sanktionen. Doch die Frauenrechtskonvention CEDAW fehle in der Aufzählung genauso wie die Konvention 190 der Internationalen Arbeiterorganisation (ILO) über Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt. Bei den Risikoanalysen fehle die Gleichstellungsperspektive komplett. Unter anderem sollten Konsultationen mit weiblichen Stakeholdern Teil der Risikoanalysen sein, fordert der DF. Hingegen begrüßt der DF, dass ein angemessener Lohn und gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit Teil des Gesetzesentwurfes sind und ein Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts.

    8. Wie werden Menschen- und Umweltrechte in Lieferketten verletzt?

    Jeder Damm, der bricht, ist ein Dammbruch zu viel. Und das nicht erst, seit Anfang 2019 in der brasilianischen Gemeinde Brumadinho der Staudamm eines Rückhaltebeckens für Minenschlämme brach, und eine Schlammmasse 246 Menschen mit sich in den Tod riss. Im September 2018 hatte der TÜV Süd Brasilien, eine Tochterfirma des TÜV Süd Deutschland, dem Brumadinho-Staudamm bescheinigt, sicher zu sein. Doch mit rechten Dingen konnte es dabei nicht zugegangen sein. Die zuständige Staatsanwaltschaft in Brasilien fand heraus, dass der Staudamm bereits ein Jahr, bevor er brach, schwere Mängel aufwies. Darüber hätte es seitens der Betreiberfirma Vale und besonders des Unternehmens TÜV Süd seinerzeit Diskussionen gegeben. Und auch das fand die Staatsanwaltschaft heraus: Vale bot dem TÜV nach der Zertifizierung des Staudamms weitere lukrative Aufträge an.

    Seit Mai 2019 darf der TÜV bis auf Weiteres keine Dämme mehr in Brasilien zertifizieren. Das entschied das zuständige Gericht in Minas Gerais. Darüber hinaus wirft das Gericht in seinem Urteil dem TÜV Süd Korruption und Irreführung der Behörden vor. Zumindest ein Mitarbeiter des TÜV Süd in Deutschland sei zudem über alle Vorgänge informiert gewesen und habe möglicherweise sogar die Sicherheitsbescheinigung erteilen lassen. Hierzulande gibt es kein Gesetz, das den Mitarbeiter und den TÜV zur Rechenschaft und Verantwortung ziehen könnte. Nützen könnte ein solches Gesetz den Menschen in Brumadinho allerdings immer noch. Die schwermetallhaltigen Schlämme haben das Flussbett der Gemeinde verseucht. Davon sind bis heute Tausende Menschen betroffen. Von dem Blut der Toten kann sich der TÜV Süd zwar nicht mehr reinwaschen, aber er könnte zu Entschädigungszahlungen an die Hinterbliebenen und an die vom giftigen Schlamm Betroffenen verpflichtet werden. Aufgrund eines Gesetzes, das von Deutschland aus agierende Unternehmen für ihre Produktions- und Lieferketten weltweit in die Verantwortung nähme.

    Ein anderes Beispiel: Das Blut, das an unserer Kleidung klebt, lässt sich seit dem 10. September 2012 nicht mehr rauswaschen. Damals starben 259 Textilarbeiter*innen in den Flammen der Fabrik Ali Enterprises in der Stadt Karatschi in Pakistan. In einer Textilfabrik, die im Wesentlichen für den deutschen Kleidungsdiscounter KiK fertigte. Die Bilder von den Trümmern der Fabrik, von Bergen verbrannter Jeans, von verzweifelten Überlebenden gingen um die Welt. Das Entsetzen war groß. Und vielleicht zum ersten Mal machte sich Unbehagen breit, fühlte sich das T-Shirt auf der Haut anders an als zuvor. Die Augen ließen sich nicht mehr davor verschließen, unter welchen Bedingungen und zu welchen Löhnen unsere Kleidung produziert wird. Ein Gesetz zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht hätte schon den Brand verhindern, aber auf jeden Fall KiK in Haftung nehmen können. Stattdessen wurden die Klagen von vier pakistanischen Überlebenden und Hinterbliebenen 2019 vor einem deutschen Gericht abgewiesen.

    9. Gibt es schon Gesetze, die Beschäftigte in den Lieferketten schützen?

    Es hat sich seit dem 10. September 2012 zwar einiges bewegt, aber nicht genug. Am 24. April 2013, gerade mal sieben Monate nach dem Ali-Enterprises-Brand, stürzte in Savar nahe Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch, ein neunstöckiges Gebäude zusammen, in dem fünf Textilfabriken untergebracht waren. Damals starben 1.135 Menschen, 2.438 wurden teils schwer verletzt. Der Handlungsdruck war so kurz nach dem Brand von Ali Enterprise immens. Ein Abkommen über Brand- und Gebäudesicherheit in Bangladesch, der sogenannte Bangladesh Accord, war das Ergebnis. Er wurde am 15. Mai 2013 unterzeichnet. Es handelte sich dabei um ein auf 5 Jahre befristetes, unabhängiges, rechts- verbindliches Abkommen zwischen globalen Marken, Einzelhändlern und Gewerkschaften zum Aufbau einer sicheren Textilindustrie in Bangladesch. Es hat seither kein Unglück mehr vom Ausmaße Rana Plaza gegeben, aber der Bangladesh Accord steht vor dem Aus, auch wenn er teils noch zur Anwendung kommt.

    Auch das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) am 9. September 2019 gestartete Siegel „Grüner Knopf“ hat an der Situation in den Lieferketten nicht viel geändert. Aus Sicht der Kampagne für Saubere Kleidung weist der Grüne Knopf erhebliche Schwächen auf und verfehle das Ziel, Konsument*innen eine verlässliche Orientierung zu bieten, um Kleidung zu erkennen, die unter Wahrung der Arbeits- und Menschenrechte hergestellt wurde.

    Der Grüne Knopf wollte zwar Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Bezug auf die Menschenrechte in die Bewertung einbeziehen, aber es war nie klar, wie die Kriterien und die Nachweisführung in der Praxis überhaupt umgesetzt werden. Zudem sollte die Vergabe auch auf der Anerkennung bereits bestehender Siegel und Labels basieren. Diese werden bis heute in der Regel von privaten Firmen oder Einrichtungen anhand sogenannter Fabrikaudits, also Zertifizierungsverfahren vergeben. „In zahlreichen Publikationen hat die Kampagne für Saubere Kleidung dokumentiert, dass Sozialaudits weder in der Lage sind, Arbeitsrechtsverletzungen wie die Diskriminierung von Frauen oder die Behinderung von Gewerkschaftsarbeit zu erkennen, noch zu tatsächlichen Verbesserungen führen. Ein staatliches Siegel erfordert einen besonders effektiven, unabhängigen und mit ausreichend Ressourcen und wirksamen Sanktionsmitteln ausgestatten Kontrollmechanismus“, so Uwe Wötzel von ver.di. Aus den vergangenen Jahren wisse man zum Beispiel, dass insbesondere der TÜV keine gute Arbeit geleistet habe. Der TÜV hatte so wie den Staudamm in Brasilien auch das Rana Plaza-Gebäude in Bangladesch als sicher zertifiziert, hinterher stellte sich heraus, dass die Prüfungen möglicherweise fahrlässig waren und die Beschäftigten nicht geschützt haben.

    10. Was ist, wenn das Lieferkettengesetz nicht stark genug ist?

    Diejenigen, die am Ende der Lieferkette auf Kosten aller anderen verdienen, blieben dann immer noch die großen Konzerne. Deshalb lautet die allgemeine Losung der Initiative Lieferketten auch: „Gegen Gewinne ohne Gewissen hilft nur noch ein gesetzlicher Rahmen.“ Und auch „damit Menschenrechte nicht durch den Kakao gezogen werden“ wie auf den Kakaoplantagen in Westafrika, auf denen rund zwei Millionen Kinder unter ausbeuterischen Bedingungen für die Schokolade in deutschen Supermarktregalen schuften, braucht es ein Gesetz. Nicht mehr und nicht weniger fordert die Initiative. Denn noch mehr Dammbrüche, Brände und Einstürze dürfen sich die großen Unternehmen und sogenannten Global Player einfach nicht erlauben.

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