Erst letzte Woche wieder eine Schreckensmeldung: Ein Fischerboot mit rund 500 Flüchtlingen und Migranten kentert in der Nacht zu Mittwoch im Mittelmeer zwischen Italien und Griechenland. Das Boot ist völlig überladen, und als es sinkt, kämpfen die Menschen um's Überleben. Als endlich Hilfe kommt, können nur 104 Menschen gerettet werden. 78 Leichen wurden bisher aus dem Mittelmeer geborgen. Die Suche geht weiter. Doch Hoffnung auf Überlebende gibt es nicht mehr.
Damit steigt die Zahl der im Mittelmeer Ertrunkenen allein in diesem Jahr auf schon 1.000 Menschen, so schätzen die Vereinten Nationen (UNO). Frauen, Männer und Kinder, die auf der Suche nach einem besseren und sicheren Leben nur den Tod gefunden haben.
Die Zahl der Menschen, die vor Kriegen, Konflikten, Gewalt, politische, ethnischer oder religiöser Verfolgung oder Menschenrechtsverletzungen fliehen müssen, war noch nie so hoch wie heute. Laut dem aktuellen Global Trends Report vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR), der jährlich die dramatische Situation in nüchterne Zahlen fasst, waren Ende 2022 weltweit 108,4 Millionen Menschen auf der Flucht: Flüchtlinge, Asylsuchende, Binnenvertriebene und andere Menschen, die internationalen Schutz benötigen. Es ist ein trauriger Rekordwert zum diesjährigen Weltflüchtlingstag am 20. Juni. Ende 2022 waren insgesamt 19,1 Millionen Menschen mehr auf der Flucht als noch Ende 2021. Das entspricht einem Anstieg von 21 Prozent – der größte Anstieg innerhalb eines Jahres, den das UNHCR je verzeichnet hat.
Hauptgrund für den rasanten Anstieg ist der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, der Millionen Menschen zur Flucht zwang. Bis Jahresende wuchs die Zahl der Geflüchteten aus der Ukraine auf 5,7 Millionen an. Und auch die Zahl der Menschen, die aus Afghanistan und Venezuela geflohen sind, stieg weiter an. Die Ukraine, Afghanistan und Venezuela sind nach Syrien die Länder, aus denen die meisten Menschen fliehen, gefolgt vom Südsudan.
Eine Verbesserung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Durch weitere Gewalt wie jüngst im Sudan, ist die Zahl der weltweit Vertriebenen in diesem Jahr bereits auf 110 Millionen weiter angestiegen, schätzt das UNHCR. Darunter Millionen Kinder. Hinter diesem Rekordwert stehen Millionen von individuellen Schicksalen und schreckliche Geschichten.
Um auf das Schicksal der Flüchtlinge aufmerksam zu machen, haben die Vereinten Nationen den internationalen Weltflüchtlingstag ins Leben gerufen, der seit 2001 jedes Jahr am 20. Juni stattfindet. Seither wird an diesem Tag weltweit mit zahlreichen Aktionen daran erinnert, dass Millionen von Menschen gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. In etwa 100 Ländern auf der ganzen Welt finden an diesem Tag Veranstaltungen statt, bei denen die Teilnehmenden die Stärke, den Mut, die Widerstandsfähigkeit und Entschlossenheit von Geflüchteten, Binnenvertriebenen und Staatenlosen würdigen, auf ihre Situation aufmerksam machen und sich mit ihnen solidarisch zeigen. Geflüchtete nehmen auch selbst aktiv an diesem Tag teil und organisieren eigene Events.
„Wir können die Konflikte, Kriege oder Vertreibung nicht beenden. Aber wir können den Menschen helfen, die schuldlos an ihren Folgen leiden“, steht auf der Internetseite der UNO-Flüchtlingshilfe. „Und für sie aktiv werden, ihnen zeigen, dass wir an ihrer Seite stehen. Deshalb setzen wir an diesem Weltflüchtlingstag gemeinsam ein starkes Zeichen der Solidarität und Menschlichkeit mit Menschen auf der Flucht.“ #withrefugees am Weltflüchtlingstag
Anlässlich des Treffens der EU-Innenministerinnen und -minister zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) hat ver.di zuletzt die Verschärfung des Asylrechts auf europäischer Ebene kritisiert. Den Plänen der rechtspopulistischen, nationalistischen und postfaschistischen Regierungen in der EU müsse eine Absage erteilt werden. Mit den geplanten Verschärfungen des Asylrechts wie verpflichtenden Grenzverfahren an den EU-Außengrenzen unter haftähnlichen Bedingungen drohten Zustände wie in den Lagern auf den griechischen Inseln zur Regel in Europa zu werden. Diese Verfahren hätten nichts mit einem fairen, rechtsstaatlichen Vorgang zu tun, sagt der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke. Die geplante Ausweitung sicherer Drittstaaten bedeute, dass selbst geflüchtete Menschen aus Syrien oder Afghanistan in Europa zunehmend abgelehnt werden könnten – ohne ihre Fluchtgründe individuell zu prüfen. Gänzlich fehle die Bereitschaft im Rahmen des GEAS, die staatliche Seenotrettung im Mittelmeer zu reaktivieren und systematische Rechtsbrüche und Misshandlungen von Schutzsuchenden an den Grenzen der Mitgliedsstaaten zu unterbinden.
„Wenn das Grundrecht auf Asyl nicht mehr in Anspruch genommen werden kann, kommt dies einer faktischen Abschaffung gleich“, so Werneke. Die Bundesregierung müsse stattdessen dem Koalitionsvertrag treu bleiben, der vorsehe, das Leid an den Außengrenzen zu beenden und Asylanträge von Menschen, die in der EU ankommen oder bereits hier sind, inhaltlich zu prüfen.
Weiterführende Links: Interview auf #wirsindverdi mit Marco Hahn, Leiter der Berufsfachschule Paulo Freire: „Unsere Schule ermöglicht Geflüchteten eine menschenwürdige Perspektive – und wir bekämpfen den Fachkräftemangel“