Gräfenhausen: Trotz Erfolg fordert ver.di mehr Schutz für Lkw-Fahrer

Polnischer Spediteur will zahlen. Nach dem Erfolg der streikenden Lkw-Fahrer auf der Autobahnraststätte Gräfenhausen-West: ver.di verlangt bessere Regeln für den Straßengütertransport zum Schutz vor Ausbeutung
© dpa-Bildfunk
Ein Teil der streikenden Lkw-Fahrer in Gräfenhausen vor ihren Lastern
27.04.2023

Was sich am Karfreitag auf der Autobahnraststätte Gräfenhausen-West zwischen Frankfurt und Darmstadt abgespielt hat, ist geradezu irrwitzig. In Kleinbussen und gepanzerten Fahrzeugen rückt ein Sicherheitstrupp aus Polen an. 18 schlagkräftige Männer wollen den dort seit Ende März rund 50 streikenden Lkw-Fahrern aus Georgien, Usbekistan und anderen Ländern ihre Laster mit Gewalt entwenden. Beauftragt hat sie der polnische Spediteur, für den die Lkw-Fahrer eigentlich arbeiten. Doch die haben ihre Arbeit eingestellt, weil sie seit vielen Wochen auf ihren Lohn warten. Und statt ihn diesen zu bringen, engagiert ihr Auftraggeber einen Schlägertrupp. Am Ende dieses Karfreitags haben sich die Lkw-Fahrer durchgesetzt, der Spediteur samt seinen Kraftmännern wurde vorübergehend von der deutschen Polizei in Gewahrsam genommen.

Polnischer Spediteur verpflichtet sich schriftlich zur Auszahlung offener Löhne

So ausgebremst, zeigt sich der Spediteur inzwischen zahlungswillig. Nachdem er bereits einen Teil der ausstehenden Löhne in der vergangenen Woche ausgezahlt hatte, haben sich die etwa 60 Fahrer nach Gewerkschaftsangaben mit ihrem polnischen Auftraggeber auf eine endgültige Lösung verständigt. Laut Edwin Atema von der niederländischen Gewerkschaft FNV gibt es eine schriftliche Vereinbarung mit der Spedition, nach der alle geforderten Beträge überwiesen werden. Die Fahrer hätten sich entsprechend verpflichtet, spätestens zwölf Stunden nachdem sie das Geld auf ihren Konten haben, die Schlüssel zu den Lkw herauszugeben.

Vor einer Woche nachdem die Fahrer zumindest einen Teil ihrer Löhne erhalten hatten, wurde entschieden zu streiken, bis der letzte unter ihnen seinen vollständigen Lohn bekommen hat. Trotz des Erfolges der Lkw-Fahrer fordert ver.di verbesserte Regelungen für den Straßengütertransport wie etwa eine Durchgriffshaftung, eine Transparenzpflicht, die konsequente Einführung von elektronischen Frachtbriefen und die Ausweitung behördlicher Kontrollen, um Fahrerinnen und Fahrer vor solcher Ausbeutung und unzumutbaren Lebensbedingungen zu schützen. Einige der Fahrer in Gräfenhausen sind seit über acht Monaten nicht mehr zuhause bei ihren Familien gewesen und haben fast ausschließlich in ihrer Fahrerkabine gehaust.

Bessere Bedingungen sind weiterhin dringend nötig. Denn der polnische Spediteur ist keinewegs einsichtig, dass er an ihnen etwas ändern müsste. Wie die taz berichtet, war für sein Nachgeben am Ende offenbar eine wertvolle Fracht entscheidend: Nämlich ein wichtiges Bauteil des Konzerns General Electric, das dieser in der Schweiz dringend für den Weiterbau einer größeren Anlage benötigt. Nach Angaben der taz hatte sich schon vergangene Woche eine Spedition über die Polizei angemeldet, die im Auftrag von General Electric die Fracht abholen soll.

 

„Menschenrechtliche Standards wie das Recht auf angemessene Bezahlung, Zugang zu sauberem Wasser, Sanitäranlagen und angemessenen Schlafplätzen werden permanent unterlaufen.“

Andrea Kocsis, stellvertretende ver.di-Vorsitzende

„Der Widerstand der Lkw-Fahrer in Gräfenhausen wirft ein Schlaglicht auf die Situation von Zehntausenden Fahrerinnen und Fahrern in der Europäischen Union“, sagt die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Andrea Kocsis. Dabei werde deutlich, dass sich in Bezug auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der Lkw-Fahrerinnen und -Fahrer eine organisierte Verantwortungslosigkeit etabliert habe. „Menschenrechtliche Standards wie das Recht auf angemessene Bezahlung, Zugang zu sauberem Wasser, Sanitäranlagen und angemessenen Schlafplätzen werden permanent unterlaufen“, so Kocsis. Und dies betreffe sowohl Lkw-Fahrende aus osteuropäischen EU-Staaten als auch vermehrt Fahrende aus Drittstaaten, die für Speditionen und Dienstleister innerhalb der EU arbeiten. Bei rund 200 Millionen Lkw-Fahrten pro Jahr (plus weitere rund 200 Millionen Lkw-Fahrten von ortsansässigen Fahrerinnen und Fahrern) auf Europas Straßen, lässt sich ausrechnen, wie viele Lkw-Fahrende von diesen Bedingungen betroffen sind. 

„Insbesondere bei Fahrerinnen und Fahrern aus Drittstaaten, deren Aufenthaltsrechte an ihre Arbeitsverträge gekoppelt sind, entstehen zusätzliche Abhängigkeiten von den Arbeitgebern. Hier findet Ausbeutung in besonderem Maße statt“, sagt die Gewerkschafterin. „Das kollektive Wegschauen der Kunden der Fuhrunternehmen, das schamlose Ausnutzen und Brechen von EU-Regeln sowie das hilflose Handeln der Unternehmensverbände müssen endlich ein Ende haben.“

Auftraggeber müssen Verantwortung für die Arbeitsbedingungen in der gesamten Lieferkette tragen

Um die Situation zu verbessern, fordert ver.di dringend die Umsetzung mehrerer Maßnahmen. Damit Auftraggeber in allen Gliedern der Lieferkette Verantwortung für die Arbeitsbedingungen der Fahrerinnen und Fahrer übernehmen, müsse eine Durchgriffshaftung eingeführt werden, wie sie etwa in Deutschland bei der Einhaltung des Mindestlohns gilt. Zudem brauche es Maßnahmen zur Transparenzpflicht hinsichtlich der Untervergabe von Aufträgen; gegebenenfalls müsse die Untervergabe von Aufträgen auch beschränkt werden. Darüber hinaus sei die konsequente Einführung von elektronischen Frachtbriefen erforderlich, um in der gesamten Lieferkette für Transparenz zu sorgen; Fahrerinnen und Fahrern sei das Recht einzuräumen, diese Frachtbriefe abzuspeichern und auf Nachfrage rückwirkend ausgehändigt zu bekommen.

In Gräfenhausen haben die 60 Fahrer im übrigen auf Lohnzahlungen in Höhe von insgesamt 300.000 Euro gewartet.