UNI-Weltkongress: Aufbruchstimmung unter Beschäftigten

In Philadelphia sind Gewerkschaften aus der ganzen Welt einschließlich ver.di zum 6. UNI Global Union Weltkongress zusammengekommen. Gemeinsam machen sie sich stark für eine gerechte Arbeitswelt und eine gerechte Weltwirtschaft. In der Öffentlichkeit erfahren Gewerkschaften in vielen Ländern immer mehr Zustimmung. Amazon und Co. müssen sich auf anhaltenden Widerstand gegen schlechte Arbeitsbedingungen und Gewerkschaftsbehinderung einstellen
© UNI Global Union
Amazon-Beschäftigte auf dem 6. UNI-Weltkongress
31.08.2023

Weltweit setzen sich Gewerkschaften für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen ein. Die Behinderung von Gewerkschaften ist leider ebenso auf der ganzen Welt verbreitet. Noch immer müssen nicht wenige Gewerkschafter*innen bei ihrem Einsatz für Arbeitsrechte, faire und gute Löhne gar um ihr Leben fürchten. Dieser Tage sind in den USA in Philadelphia zum sechsten Mal Gewerkschaftsdelegierte aus aller Welt zum Weltkongress des Dachverbands UNI Global Union, der mehr als 20 Millionen Beschäftigte in den Dienstleistungsbranchen in 150 Ländern vertritt, zusammengekommen. Unter ihnen ist auch eine größere ver.di-Delegation, einschließlich dem ver.di-Vorsitzenden Frank Werneke und der stellvertretenden ver.di-Vorsitzenden Andrea Kocsis.

Die USA ist für das diesjährige Treffen gut gewählt. Denn ausgerechnet das Land, das für die unablässige Verteidigung von Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit steht, tut sich schon lange schwer mit Beschäftigten, die sich für ihre Rechte einsetzen. Im Jahr 2022 vertraten die Gewerkschaften in den USA nur noch gut 10 Prozent aller Beschäftigten, darunter 6 Prozent in der freien Wirtschaft und rund 33 Prozent in den öffentlichen Diensten. In kaum einem anderen Land gibt es derartig viele Unternehmensberater, die auf die Zerschlagung von Gewerkschaften spezialisiert sind. 400 Millionen US-Dollar geben Arbeitgeber jedes Jahr für solche Berater in Sachen Union Busting, also Gewerkschaftsverhinderung, aus.

 

„Ich habe noch nie für ein Unternehmen gearbeitet, das bereit ist, Millionen von Dollar für die Zerschlagung von Gewerkschaften auszugeben. Als die Organisierung begann, musste ich mich also entscheiden: Kündigen und weiterziehen oder bleiben und für Gerechtigkeit kämpfen – ich bin geblieben.“

Jennifer Bates, eine Amazon-Lagerarbeiterin und RWDSU-Arbeiterführerin in Bessemer, Alabama, USA

Kämpferische Amazon-Beschäftigte

Ganz vorne dabei bei der Behinderung von Gewerkschaften und Betriebsräten ist der US-Versandhändler Amazon, der sein Netz schon seit Jahren weltweit aufgespannt hat. Und mit Unternehmen wie Amazon hat das Union Busting seinen Weg auch in andere Länder gefunden. Nicht zuletzt deshalb endete der erste Kongresstag in Philadelphia mit kämpferischen Amazon-Beschäftigten auf der Bühne und dem Signal, dass sie nicht aufgeben werden, Tarifverträge und gute Arbeitsbedingungen durchzusetzen.

„Es gibt kein Unternehmen auf der Welt, das die Ungerechtigkeiten und Exzesse der Wirtschaft des 21. Jahrhunderts mehr verkörpert als Amazon, sei es durch bösartige Gewerkschaftsfeindlichkeit, brutale Produktivitätsziele, Überwachung von Arbeitnehmern, prekäre Arbeitsverhältnisse, monopolistische Geschäftspraktiken, Steuervermeidung oder extremes Greenwashing. Dieses Unternehmen ist eine Bedrohung für die Arbeitnehmer, unsere Gemeinschaften, unseren Planeten und unsere Zukunft“, sagte Stuart Applebaum, Präsident der Einzelhandels-, Großhandels- und Kaufhausgewerkschaft (RWDSU) in den USA.

Jennifer Bates, eine Amazon-Lagerarbeiterin und RWDSU-Arbeiterführerin in Bessemer, Alabama, sagte unter großem Applaus: „Ich habe noch nie für ein Unternehmen gearbeitet, das bereit ist, Millionen von Dollar für die Zerschlagung von Gewerkschaften auszugeben. Als die Organisierung begann, musste ich mich also entscheiden: Kündigen und weiterziehen oder bleiben und für Gerechtigkeit kämpfen – ich bin geblieben.“

Stefanie Nutzenberger, die im ver.di-Bundesvorstand für den Handel zuständig ist, betonte: „Wir werden für Tarifverträge bei Amazon kämpfen. Das hat bei uns in Deutschland angefangen. Mit Beschäftigten, die aufgestanden sind.“ Der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke machte in einem Gespräch mit der US-Arbeitsministerin Julie Su deutlich, dass sich Amazon weltweit an Regeln halten müsse und dazu auch Tarifverträge und die freie, ungehinderte Arbeit von Betriebsräten gehörten. „Wir werden da nicht lockerlassen, wir haben einen langen Atem“, sagte er.

 
Der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke (2. v. li.) auf der Demonstration für amerikanische Reinigungskräfte während des UNI-Weltkongresses in Philadelphia

Gemeinsam für eine gerechte Weltwirtschaft

Auf einem Panel zur gerechten Weltwirtschaft berichtete Frank Werneke von den zurückliegenden erfolgreichen Tarifauseinandersetzungen in Deutschland, unter anderem im öffentlichen Dienst und bei der Post. Die Erfolge fußten vor allem auf einer Modernisierung der Gewerkschaft, der intensiven Einbeziehung der ver.di-Mitglieder. ver.di-Vize Andrea Kocsis verwies in derselben Debatte darauf, dass aber nicht alles mit erfolgreichen Tarifverhandlungen zu erreichen sei, es brauche auch die Politik, Investitionen und Umverteilung. „Die Reichen fliegen zum Mond und tauchen in die Tiefsee, sie verhalten sich so, als ob ihnen die Welt allein gehöre. Damit muss Schluss sein“, so Kocsis.

Durchdrungen ist der Kongress von großer Aufbruchstimmung. In Philadelphia sind nicht nur Gewerkschafter*innen aus der ganzen Welt zusammengekommen, es treffen auch unterschiedlichste Kulturen aufeinander. Es wird nicht nur berichtet und diskutiert, sondern auch zusammen gesungen, getanzt, gelaufen und demonstriert, unter anderem für Reinigungskräfte eines amerikanischen Unternehmens, die für einen Tarifvertrag streiken, und für die streikenden Drehbuchautor*innen und Schauspieler*innen in Hollywood. Erstere befinden sich schon seit mehreren Monaten im Ausstand für höhere Honorare und dem Schutz vor Einsatz Künstlicher Intelligenz, von der sie ihre Arbeit bedroht sehen.

Gewerkschaften im Aufwind

Trotz des Rückgangs der Tarifbindung in den letzten Jahrzehnten allerorts gibt es für die internationalen Gewerkschaften Anzeichen, die darauf hoffen lassen, dass ein Wendepunkt erreicht ist. Auch hier ist das Gastgeberland USA ein gutes Beispiel: In der amerikanischen Öffentlichkeit ist die Unterstützung für die Gewerkschaften mit 71 Prozent der Bevölkerung aktuell so hoch wie seit 1965 nicht mehr, heißt es in einem Kongresspapier. Laut Umfragen würde heute fast die Hälfte der Beschäftigten einer Gewerkschaft beitreten, wenn es möglich wäre. In den USA und auch in vielen anderen Ländern ist das nicht so leicht wie hierzulande, indem man oder frau einfach eintritt.

Auffällig sei zudem, dass der Grad der Zustimmung zu den Gewerkschaften in Amerika vor allem besonders hoch unter jungen Beschäftigten und Angehörigen der Generation Z ist. Deren Unterstützung über Klassen- und ideologische Grenzen übersteige sogar die Unterstützung unter älteren Generationen. Die Herausforderung für UNI und ihre Mitgliedsorganisationen besteht nun darin, diese wachsende Unterstützung für Gewerkschaften und Tarifverhandlungen in echtes Mitgliederwachstum umzusetzen. ver.di ist das in diesem Jahr bereits gelungen. Noch nie sind seit der ver.di-Gründung so viele neue Mitglieder eingetreten in die Gewerkschaft. Und das Jahr ist noch nicht einmal zu Ende. Doch das ist kein Selbstläufer. Beschäftigte müssen für die Idee der Solidarität der Gewerkschaften, die Idee, sich mit vielen anderen Beschäftigten für ihre Rechte einzusetzen, immer wieder aufs Neue gewonnen werden.

Seit dem letzten gewerkschaftlichen Weltkongress in Liverpool im Jahr 2018 hat UNI über 140 Organisierungskampagnen bei mehr als 70 Arbeitgebern in über 80 Ländern durch die Bereitstellung von Ressourcen, Kapazitätsentwicklung, Anleitung und Begleitung und manchmal auch durch Druck auf das globale Mutterunternehmen unterstützt. Amazon ist da nur ein Beispiel unter vielen. Der Einsatz für gute Arbeitsbedingungen, faire Löhne und Mitbestimmung – er hört nie auf.

PS: Auch der gewerkschaftliche Weltdachverband hat wie jede Einzelgewerkschaft einen ordentlich gewählten Vorstand. In ihrem Amt als Generalsekretärin der UNI wurde Christy Hoffman bestätigt, der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke und die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Andrea Kocsis wurden beide in den UNI-Vorstand gewählt.