Kinderarbeit auf traurigem Höchststand

Das Ziel, Kinderarbeit bis 2025 zu beseitigen, ist kaum noch zu schaffen. Weltweit sind es derzeit 160 Millionen Kinder, die als Kinderarbeiter ausgebeutet werden
© Foto: Abir Abdullah/dpa
A Bangladeshi child worker poses during a break as he makes aluminium bowls at a small factory in Dhaka, Bangladesh, 25 August 2014. The workers get 2/3 euro per day while they work in unsafe conditions.
09.06.2023

Am 12. Juni, dem Welttag gegen Kinderarbeit, blickt die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) besonders auf die Notlage der Kinder, die in Konfliktgebieten leben und unter Katastrophen leiden. Gerade sie sind einem hohen Risiko für Kinderarbeit ausgesetzt. Durch Katastrophen und Konflikte werden Existenzgrundlagen vernichtet, das Zuhause von Kindern und Schulen zerstört und Familien und soziale Sicherungssysteme brechen zusammen. Die Folge: Das Risiko für Kinderarbeit und Menschenhandel steigt. Geflüchtete Kinder und Migranten – vor allem wenn sie auf der Flucht von ihren Familien getrennt werden – sind extrem gefährdet.

Wo Kinder arbeiten

 

 

Weltweit ist die Zahl der Kinder in Kinderarbeit auf rund 160 Millionen gestiegen. Das entspricht einer Zunahme um knapp 9 Millionen Kinder in den letzten fünf Jahren. Millionen weitere Mädchen und Jungen sind durch die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie gefährdet, das legte bereits im vergangenen Juni ein Bericht der ILO und des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen UNICEF nah.

Pandemie, Krieg und Naturkatastrophen bewirken Anstieg von Kinderarbeit

Die beiden Organisationen warnen jährlich zum Welttag gegen Kinderarbeit am 12. Juni vor deren schweren Auswirkungen. 2002 wurde er von der Internationalen Arbeitsorganisation ausgerufen, um ein kritisches Bewusstsein für die weltweite Ausbeutung von Kindern zu schaffen. Es wird außerdem auch auf den Kinderhandel hingewiesen. Besorgt zeigen sich ILO und UNICEF letztes Jahr vor allem darüber, dass die Fortschritte bei der Überwindung von Kinderarbeit durch die Pandemie zum ersten Mal seit zwei Jahrzehnten ins Stocken geraten sind. Der bis dahin positive Trend hat sich umgekehrt: Zwischen 2000 und 2016 war die Zahl der Mädchen und Jungen in Kinderarbeit noch um 94 Millionen gesunken.

Expert*innen gehen davon aus, dass die Zahl der arbeitenden Kinder als Folge der Covid-19-Pandemie – und anderer Krisen – weltweit noch weiter steigen könnte. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Krise bedeuteten für viele Familien rund um den Globus den Verlust ihrer Existenzgrundlage. Die langen Schulschließungen haben außerdem dazu geführt, dass Kinder aus Mangel an Alternativen in Kinderarbeit gedrängt wurden – nicht alle sind nach Wiederöffnung auf die Schulbank zurückgekehrt.

Doch die Pandemie ist nicht der einzige Grund für den Anstieg von Kinderarbeit. Weitere Gründe sind eine wachsende Zahl an bewaffneten Konflikten und Naturkatastrophen, zum Beispiel die schwere Dürre am Horn von Afrika. Denn in Zeiten von Vertreibung und Not steigt die Gefahr, dass Kinder arbeiten müssen, anstatt zur Schule zu gehen. Der neue Report von ILO und UNICEF „Mehr als eine Milliarde Gründe: Die dringende Notwendigkeit, einen universellen Sozialschutz für Kinder aufzubauen“ warnt davor, dass multiple Krisen noch mehr Kinder in die Armut stürzen werden.

 
Syrische Kinder fahren auf einem Motorrad zu ihrem Arbeitsplatz auf dem Gelände einer Ölraffinerie. Die Arbeitsbedingungen in der Raffinerie sind riskant, dennoch arbeiten viele junge Syrer dort um den Lebensunterhalt ihrer Familien während der schweren ökonomischen Krise im Land zu sichern

Hälfte der Kinder unter 12 Jahre

Gefährdet sind Kinder, die im Kampf um ihr Überleben in Minen arbeiten, nach Metallen und Mineralien im Schutt in vom Krieg zerrütteten Gebieten suchen oder auf der Straße leben. Einige von ihnen enden als Kämpfer für die Kriege der Erwachsenen, als Spione, werden als Helfer oder Gepäckträger missbraucht. Viele Kinder sind zudem Opfer von Missbrauch und sexueller Ausbeutung.

Fast die Hälfte der arbeitenden Kinder (79 Millionen) leidet unter Arbeitsbedingungen, die gefährlich oder ausbeuterisch sind – zum Beispiel in Goldminen in Burkina Faso, auf den Baumwollfeldern in Indien, auf Kakaoplantagen in der Elfenbeinküste oder auf Farmen in Lateinamerika. Etwas mehr als die Hälfte der Kinderarbeiter und Kinderarbeiterinnen sind unter zwölf Jahre alt. Die meisten Mädchen und Jungen, die arbeiten müssen, leben in Afrika, gefolgt von Asien.

Die meisten Kinder arbeiten in der Landwirtschaft (70 Prozent), jedoch auch viele in der Industrie (10 Prozent) und als Hilfskräfte im Dienstleistungsbereich (20 Prozent). Weitgehend im Verborgenen arbeiten Millionen Kinder und Jugendliche als Dienstboten und Dienstbotinnen in privaten Haushalten – der Großteil von ihnen Mädchen. Viele von ihnen haben überlange Arbeitszeiten. Sie sind stark von ihren Arbeitgebern abhängig und kaum geschützt vor Gewalt oder sexuellen Übergriffen.

 

„Wir können nicht tatenlos zusehen, wie eine neue Generation von Kindern in Gefahr gerät.”

Guy Ryder, ILO-Generaldirektor

Den Kreislauf von Armut und Kinderarbeit durchbrechen

„Wir können nicht tatenlos zusehen, wie eine neue Generation von Kindern in Gefahr gerät”, sagte ILO-Generaldirektor Guy Ryder bereits 2021, als die ILO zusammen mit der UNICEF bereits einen umfangreichen Bericht zur Kinderarbeit weltweit vorlegten. Umfassende, inklusive soziale Basisschutzmaßnahmen könnten es Familien demnach ermöglichen, ihre Kinder auch trotz wirtschaftlicher Not in der Schule zu halten. Dafür bedürfe es vor allem verstärkte Investitionen in die ländliche Entwicklung und menschenwürdige Arbeit in der Landwirtschaft. „Wir sind an einem entscheidenden Moment und vieles hängt davon ab, wie wir handeln“, so Ryder. Die Weltgemeinschaft müsse die Trendwende schaffen und den Kreislauf von Armut und Kinderarbeit durchbrechen. Dazu gehört es, faire Arbeit und Löhne für Erwachsene und Heranwachsende oberhalb des Mindestalters sicher zu stellen, flächendeckende soziale Schutzsysteme und ein Zugang zu kostenfreier, verpflichtender und qualitativ hochwertiger Bildung für alle Kinder.

Neben Regierungen können vor allem auch Unternehmen einen entscheidenden Beitrag in der Bekämpfung von Kinderarbeit leisten, indem sie zum Beispiel familienfreundliche Arbeitsbedingungen und faire Löhne in der gesamten Lieferkette garantieren. UNICEF begrüßt deshalb das 2023 in Deutschland in Kraft getretene „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz“ als „wichtigen Schritt in die richtige Richtung“. Das sogenannte Lieferkettengesetz zielt unter anderem darauf ab, dass Unternehmen genau diesen Beitrag leisten. Demnach sind sie dazu verpflichtet, Kinderarbeit in ihren Lieferketten zu verbieten. „Das Lieferkettengesetz enthält wichtige Elemente, um Kinderarbeit in globalen Lieferketten zu bekämpfen, aber reicht alleine nicht aus – schon alleine deshalb, weil Kinderarbeit nicht nur im produzierenden Bereich vorkommt, sondern vor allem im informellen Bereich, beispielsweise landwirtschaftliche Tätigkeiten im Familienverbund oder Straßenverkauf.“ Wichtig sei aber auch, dass neben deutschen Unternehmen auch Unternehmen aus anderen Ländern dafür sorgen sollten, dass die Menschen- und Kinderrechte in ihren Lieferketten eingehalten werden. Deshalb muss es auch aus Sicht von UNICEF ein wirksames EU-Lieferkettengesetz geben, das alle Unternehmen innerhalb der EU verpflichtet, den gleichen Standard einzuhalten.