Am 25. November ist der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Dass es diesen Tag nach wie vor braucht, zeigen die Zahlen, die das Bundesinnenministerium unlängst veröffentlicht hat: 2023 wurden demnach 938 Frauen und Mädchen Opfer von versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten. Insgesamt wurden 360 Frauen von ihren (Ex)-Partnern ermordet, das heißt, beinahe jeden Tag wurde in Deutschland ein sogenannter Femizid begangen. 52.330 Frauen und Mädchen wurden 2023 Opfer von Sexualstraftaten. Im Bereich der Digitalen Gewalt waren über 17.000 Frauen und Mädchen zum Beispiel von „Cyberstalking“ betroffen. Doch weit überwiegend sind Frauen und Mädchen Opfer „Häuslicher Gewalt“, insgesamt 180.715 Frauen und Mädchen waren 2023 betroffen.
Die Gewalt gegen Frauen und Mädchen nimmt nicht nur in Deutschland seit Jahren zu. Angemessen reagiert wird bisher jedoch nicht darauf. Die Hilfestrukturen sind völlig unzureichend und überlastet. In Deutschland fehlen rund 14.000 Frauenhausplätze. Das ist die erschreckende Realität. Silke Zimmer, ver.di-Bundesvorstandsmitglied, appelliert: „Die erschreckenden Zahlen müssen die Politik endlich aufrütteln!“ Sie müsse endlich handeln. Die Gewerkschafterin fordert: „Das Gewalthilfegesetz muss kommen und die Istanbul-Konvention muss lückenlos umgesetzt werden!“
Hinter der Bezeichnung „Istanbul-Konvention“ verbirgt sich das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt von 2011. Es ist ein völkerrechtlich bindendes Instrument zur umfassenden Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Dazu zählen Opferschutz, Prävention und Strafverfolgung sowie die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter in den Verfassungen und Rechtssystemen der EU-Staaten. Die insgesamt 81 Artikel der Istanbul-Konvention enthalten umfassende Verpflichtungen zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, zum Schutz der Opfer und zur Bestrafung der Täter*innen.
ver.di, deren Mitgliedschaft sich aus über 50 Prozent Frauen zusammensetzt, ist mit mehr als einer Million weiblicher Mitglieder die größte Frauenorganisation in Deutschland. Die Gewerkschaft macht sich seit langem dafür stark, dass alle staatlichen Institutionen bei der Bekämpfung häuslicher Gewalt handlungsfähig ausgestattet werden und sowohl die personellen Ressourcen als auch die notwendige Qualifikation der Beschäftigten gewährleistet werden. Zusammen mit dem DGB fordert die Gewerkschaft für Opfer von häuslicher Gewalt einen Rechtsanspruch auf sofortigen Schutz und Hilfe bei Gewalt, unabhängig von Einkommen, Aufenthaltsstatus, Herkunftsort, gesundheitlicher Einschränkung oder Behinderung, unabhängig von Geschlecht und geschlechtlicher Identität, sexueller Orientierung, Religion und Sprache der Betroffenen.
„Der erhebliche Mangel an Schutz- und Unterstützungsmöglichkeiten muss dringend beseitigt werden. Es ist längst überfällig, dass bundesweit verbindliche Regelungen geschaffen werden. Dazu müssen Bund, Länder und Kommunen jetzt endlich gemeinsam handeln“, so Zimmer, die bei ver.di für Frauen- und Gleichstellungspolitik zuständig ist.
Als die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) im Juni 2019 ihr Übereinkommen 190 gegen Gewalt und Belästigungen in der Arbeitswelt verabschiedete, erklärte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, SPD, seinerzeit umgehend: „Mit der Verabschiedung dieses wichtigen Übereinkommens zeigt die ILO zu ihrem hundertjährigen Bestehen, dass sie handlungsfähig ist und schnell und effektiv auf wichtige globale Herausforderungen reagiert. Vor dem Hintergrund der weltweiten #MeToo-Debatte hat die ILO auf UN-Ebene ein wirkungsvolles Instrument geschaffen. Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt gehören geächtet und bekämpft. Deutschland bekennt sich dazu und wird eine schnelle Ratifizierung des Übereinkommens in Angriff nehmen.“ Es sollte vier Jahre bis zum Juni 2023 dauern, bis Deutschland das Übereinkommen schließlich ratifizierte. Am Ende war es auch ein Erfolg der Gewerkschaften.
Gewalt gegen Frauen geschieht überall und auf unterschiedliche Weise. Frauen werden belästigt, geschlagen, missbraucht, vergewaltigt, zur Prostitution gezwungen oder ermordet. Allein in Deutschland erlebt jede vierte Frau Gewalt in der eigenen Familie. Aber Gewalt geschieht nicht nur im Privaten, sondern auch im Betrieb. Mit der Konvention 190 existiert ein internationales Instrument, das verbindliche Mindeststandards regelt und Grenzen setzt, um Beschäftigte vor Gewalt und sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zu schützen.
Gewalt und Belästigung im Sinne des ILO-Übereinkommens 190 wird definiert „als eine Bandbreite von inakzeptablen Verhaltensweisen und Praktiken oder deren Androhung (…), die darauf abzielen, zur Folge haben oder wahrscheinlich zur Folge haben, physischen, psychischen, sexuellen oder wirtschaftlichen Schaden zur verursachen und umfasst auch geschlechtsspezifische Gewalt und Belästigung“. Der Text weist die ILO-Mitgliedsstaaten darauf hin, dass sie „eine große Verantwortung dafür haben, ein allgemeines Umfeld von Nulltoleranz gegenüber Gewalt und Belästigung zu fördern“.
Das Übereinkommen schützt Arbeitnehmer und andere Personen in der Arbeitswelt, darunter „abhängig Beschäftigte im Sinne der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis, sowie erwerbstätige Personen ungeachtet ihres Vertragsstatus, in Ausbildung befindliche Personen, einschließlich Praktikanten, Arbeitskräfte, deren Arbeitsverhältnis beendet wurde, Freiwillige, Arbeitssuchende und Stellenbewerber sowie Personen, die die Befugnisse, Pflichten und Verantwortlichkeiten eines Arbeitgebers ausüben“. Und es gilt für „Arbeitsstätten, einschließlich öffentlicher und privater Räume, bei denen es sich um einen Arbeitsplatz handelt, an Orten wo der Arbeitnehmer bezahlt wird, eine Ruhepause einlegt oder eine Mahlzeit einnimmt oder sanitäre Einrichtungen, Waschgelegenheiten und Umkleideeinrichtungen, während arbeitsbezogener Fahrten, Reisen, Ausbildungen, Veranstaltungen oder gesellschaftlicher Aktivitäten (einschließlich derjenigen, die durch Informations- und Kommunikationstechnologien ermöglicht werden, in vom Arbeitgeber bereitgestellten Unterkünften und auf dem Weg zur und von der Arbeit“.
ILO-Generaldirektor Guy Ryder begrüßte im Juni 2019 die Verabschiedung der Konvention mit den Worten. „Der neue Standard erkennt das Recht aller auf eine Arbeitswelt frei von Gewalt und Belästigung an. Der nächste Schritt ist die Umsetzung dieses Schutzes in die Praxis, so dass eine bessere, sicherere menschenwürdige Arbeitsumwelt für Frauen und Männer entsteht.“
Viele Frauen sind bei der Arbeit teilweise regelmäßig mit Gewalt konfrontiert. Sie erfahren sexuelle Belästigung durch Arbeitskollegen oder Vorgesetzte. Arbeiten Frauen in Geschäften oder bei anderen, öffentlich zugänglichen Einrichtungen, kommt oft auch Gewalt durch Kunden oder Bürger hinzu. Das reicht von Beschimpfungen, Bedrohungen, gezielten sexuellen Anzüglichkeiten und Abwertungen bis hin zu körperlichen Angriffen oder Raubüberfällen. Die neue ILO-Konvention gibt da wichtige Orientierungen für den Abschluss von betrieblichen Regelungen oder Tarifverträgen, um diesen Formen von Gewalt gegen Frauen etwas entgegenzusetzen.
Aber darüber hinaus bedarf es weiterer Anstrengungen, um Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu verhindern. Nahezu jeden Tag tötet in Deutschland ein Mann seine Frau oder Ex-Partnerin. Die Zahl der Mordversuche ist dreifach so hoch. Frauenmord ist die extreme Form des Frauenhasses, der sich in vielen Abstufungen Bahn bricht: 40 Prozent aller Frauen und Mädchen über 16 Jahren erfahren körperliche und/oder sexualisierte Gewalt im Lauf ihres Lebens, 42 Prozent erleben psychische Gewalt. Die geschlechtsspezifische Gewalt im digitalen Bereich ist sprunghaft angestiegen und steigt weiter, so laut dem Deutschen Frauenrat (DF).
Der Frauenrat weist deshalb immer wieder auf den wachsenden Frauenhass in der realen und virtuellen Welt hin. Frauenhass sei kein ‚Kollateralschaden‘ einer noch nicht ganz umgesetzten Gleichstellung und schon gar kein ‚privates‘ Problem. Er sei das patriarchale Fundament unserer Gesellschaft, der Nährboden für die autoritäre, antidemokratische Selbstermächtigung von Männern. Der Staat stehe in der Pflicht, Frauen vor dieser Gefahr zu schützen.
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