Vor fast 100 Jahren, am 19. Januar 1919, durften Frauen erstmals in Deutschland an einer Wahl teilnehmen und auch gewählt werden. 37 Frauen und 386 Männer zogen in die Weimarer Nationalversammlung ein, damit lag der Frauenanteil bei 8,7 Prozent. Getoppt wurde das im Deutschen Bundestag erstmals 1957. Zweistellige Frauenanteile sind regelmäßig seit den 1980er Jahren zu verzeichnen.
Im aktuellen Bundestag sind 30,6 Prozent der Abgeordneten Frauen. Damit zeichnet sich eine deutliche Trendwende ab, denn verglichen mit den Wahlen im Jahr 2013 ist ihr Anteil damit um knapp sechs Prozentpunkte gesunken. Das ist auch bei Landtagswahlen zu beobachten. Auch in Bayern, Niedersachsen und Hessen, wo seit der Bundestagswahl im vergangenen Herbst Länderparlamente gewählt worden sind, ist ihr Anteil gesunken.
Einer der Gründe ist der Einzug der AfD. Die rechtspopulistische Partei ist – trotz einer weiblichen Mit-Spitzenkandidatin zur Bundestagswahl – stark von Männern dominiert, lehnt Quotenregelungen ab, beruft sich auf traditionelle Familienbilder. Das spiegelt sich auch in ihren Wahllisten wider. „Von der Regierungsbank aus schaue ich auf die Fraktionen von AfD, FDP und CDU/CSU. Da sitzt ganz oft ein Meer von grauen Anzügen“, sagte Bundesjustizministerin Katarina Barley, SPD, jüngst in einem Interview mit der Bild am Sonntag.
Barleys Partei, die SPD, hat bei den zurückliegenden Wahlen Stimmanteile verloren. Die Partei hatte vor 30 Jahren erstmals eine Quotenregelung eingeführt, schickte daher auch immer eine relativ hohe Zahl an Parlamentarierinnen in die Volksvertretungen. In acht Länderparlamenten lag der Frauenanteil 2017 unter 30 Prozent. Schlusslicht ist Baden-Württemberg mit 24,5 Prozent. Das bezeichnete die Vorsitzende des dortigen ver.di-Frauenvorstands, Manuela Rukavina, als „blamabel“. Sie warnte, eine Männerbastion, die krampfhaft an einem Wahlrecht von gestern festhalte, werde gegen die Kraft der gesellschaftlichen Modernisierung auf Dauer nicht bestehen können. Bundesweit kommt nur Thüringen auf einen Anteil von über 40 Prozent Frauen im Landtag. Doch auch in kommunalpolitischen Führungsämtern sind die Frauen immer noch deutlich unterrepräsentiert. Daher machen sich die ver.di-Frauen für Regelungen zur Quotierung von Frauen in Parteien aber auch auf Wahllisten und bei der Aufstellung von Kandidat/innen stark.
Zwar seien die Abgeordneten dem Allgemeinwohl verpflichtet. Allerding sehe die Realität anders aus. „Ohne gleichberechtigte Parlamente keine gleichberechtigten Gesetze und keine gleichberechtigte Gesellschaft“, argumentieren die ver.di-Frauen. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Sozialisation machten Frauen und Männern unterschiedliche Erfahrungen und entwickelten unterschiedliche Blickrichtungen und Interessen und setzten unterschiedliche Prioritäten. Der fehlende Frauenanteil in Parlamenten und Führungsämtern erkläre auch, warum es bei der Gleichstellung so schleppend vorangehe.
„Deshalb machen wir ver.di-Frauen uns für ein Paritätsgesetz mit verbindlichen Frauenquoten bei der Aufstellung von Wahllisten und Direktkandidat*innen stark“, sagt Barbara Henke, Vorsitzende des ver.di-Bundesfrauenrats. Alle Parteien sollten dazu verpflichtet werden, eine innerparteiliche Kultur zu fördern, die es Frauen erleichtere und ermögliche, Funktionen und Mandate zu übernehmen. Ähnliche Regelungen gibt es bereits in acht weiteren europäischen Ländern. Auch Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes verpflichtet den Staat, die „tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern“ zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken. „Wir Frauen wollen auch die Hälfte der Macht – und deswegen auch Parität in den Parlamenten“, betont Henke.
Text: Heike Langenberg
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