Der Personalmangel in Deutschlands Krankenhäusern ist hoch: 162.000 Beschäftigte fehlen, davon allein 70.000 in der Pflege. Das hat vor knapp zwei Jahren ein Personalcheck von ver.di an den deutschen Kliniken ergeben. Jetzt hat ver.di erstmals die Personaldecke in der Nacht untersucht. Und das Ergebnis ist wieder alarmierend: Routinearbeiten, die in die Nacht verlagert werden, zu wenig Personal für die Schwerkranken, keine Zeit für Pausen. „Die Sicherheit der Patienten und die Gesundheit der Beschäftigten sind gefährdet“, sagt ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler.
Wochenlang hat ver.di aus den Krankenhäusern Hinweise und Beschwerden bekommen. Dem ging die Gewerkschaft nun mit einem Nachtdienstcheck auf den Grund. In der Nacht zum 6. März 2015 war ver.di in 237 Krankenhäusern unterwegs, in 2.803 Bereichen. Befragt wurden Beschäftigte in öffentlichen, kirchlichen und privaten Kliniken. Fast 12 Prozent aller Kliniken in Deutschland wurden erreicht. Auf den befragten Stationen arbeiteten 2.862 Fachkräfte, 142 Hilfskräfte und 91 Auszubildende. Sie versorgten insgesamt 54.218 Patient/innen.
„Wir haben bis 5 Uhr Daten gesammelt“, sagte Sylvia Bühler am nächsten Morgen vor der Presse und stellte die Befunde vor. „Die Krankenhäuser in Deutschland sind während der Nacht personell zum Teil gefährlich unterbesetzt.“ Jede zweite Fachkraft ist nachts auf sich allein gestellt. Auf 1.147 von 2.056 Stationen arbeitete eine Fachkraft ohne Hilfe und musste im Durchschnitt 25 Patient/innen versorgen. Meist sind dies schwerkranke Menschen, die in den seltensten Fällen durchschlafen können, ein Medikament benötigen oder Hilfe beim Gang zur Toilette. Von einer Nachtwache könne man da nicht mehr reden, sagte Bühler. Denn das ist Fakt: Viele Routinearbeiten werden vom Tag in die Nacht verschoben, wie etwa Katheterwechsel, Wundbehandlungen oder das Stellen von Medikamenten. Erschwerend komme hinzu, dass es aufgrund der verkürzten Liegezeiten keine pflegeleichten Patienten mehr gebe.
Der Personalmangel führt zu Leistungseinbußen, auch das zeigte die Stichprobe. So sagten 55 Prozent der Befragten, sie können teilweise die erforderlichen Leistungen bei der Versorgung nicht erbringen. „Das weist eindeutig auf eine zu dünne Personaldecke hin, welche die Beschäftigten in eine ständige Überforderung bringt und sie kontinuierlich unter Stress setzt“, so Bühler. Erschreckend sei aber auch die Erkenntnis, dass 60 Prozent gefährlicher Situationen in den vergangenen Wochen durch mehr Personal hätten verhindert werden können. Ein Drittel der Beschäftigten im Nachtdienst hatte beispielsweise keine Zeit für die Hände-Desinfektion. Doch wenn Infektionen übertragen werden, kann das tödlich enden.
„Höchst bedenklich“ ist die Besetzung auf den Intensivstationen laut Bühler, die selbst an einem Berliner Krankenhaus den Nachtdienstcheck mitgemacht hat. Dort müsse eine Pflegekraft im Schnitt 3,3 Patienten versorgen. Doch immer häufiger werden die Pflegekräfte zum Teil mit mehr als sechs Schwerkranken konfrontiert. „Das ist gefährlich fahrlässig“, sagte Bühler. Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin verlange dagegen eine Pflegekraft auf zwei Patienten auf der Intensivstation, die Deutsche Gesellschaft für Fachkrankenpflege sogar ein Verhältnis von eins zu eins bei beatmeten Patienten.
Nicht nur die Versorgung der Patienten leidet unter dem Personalmangel, auch die Pflegekräfte brechen unter dem Druck zusammen. ver.di weiß von vielen Gefährdungsanzeigen, in denen die Beschäftigten gegenüber ihrem Arbeitgeber dokumentierten, dass sie in der jeweiligen Schicht die erforderlichen Pflegeleistungen nicht erfüllen konnten. Zudem haben viele Beschäftigte keine Zeit für eine Pause, die ihnen aber zusteht. Mehr als Dreiviertel aller Befragten gaben an, in der letzten Nachtschicht keine ungestörte Pause gehabt zu haben. „Da wird massenhaft gegen die Gesundheitsschutzvorschriften verstoßen“, so Sylvia Bühler.
Viele Beschäftigte in Deutschlands Krankenhäusern wechseln aufgrund der schweren Belastung in Teilzeit, obwohl das Geld nicht zum Leben reicht, sagt Personalrat Carsten Becker. Oder die Beschäftigten bekommen schwere Erkrankungen und gehen in die Frühverrentung. Junge Kräfte aber überlegen sich schon bald Alternativen wie ein Studium. Dabei stünde das Personal in den Krankenhäusern voll hinter seiner Arbeit. „Viele sagen, sie würden den Beruf wieder wählen. Doch sie wollen auch Zeit haben, ihn gut ausüben zu können“, so der Personalrat.
„Niemand zweifelt daran, dass wir eine Personalnot haben, deshalb fordern wir ein Sofortprogramm, denn ein Gesetz braucht Zeit“, sagte Bühler. Das Sofortprogramm solle die Pflegepersonalregelung der 90er Jahre wieder aufleben lassen, um den Personalbedarf zu ermitteln. „Beschäftigte wollen gute Pflege leisten, können es unter diesen Umständen aber nicht“, so Bühler. „Wir fordern von der Bundesregierung endlich eine gesetzliche Personalbemessung.“ Ein erster Schritt könne eine verbesserte finanzielle Ausstattung sein. Von den rund vier Milliarden Euro, die die anstehende Krankenhausreform kosten solle, müsse ein erheblich größerer Teil als die bislang geplanten 660 Millionen Euro beim Personal ankommen.
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