Zum 1. Januar 2023 wurde eine verbindliche Pflegepersonalregelung zunächst in ausgewählten Krankenhäusern in Deutschland eingeführt, die PPR 2.0. Ab dem 1. Juli 2024 gilt sie bundesweit in allen Kliniken. Was ist das und was bedeutet es für Beschäftigte und Patientinnen und Patienten?
In allen Kliniken Deutschlands wird es zukünftig eine gesetzliche Personalbemessung geben. Der Bundesrat hat am 26. April 2024 der Verordnung über die sogenannte PPR 2.0 zugestimmt. Für Sylvia Bühler, im ver.di-Bundesvorstand zuständig für die Gesundheitsbranche, betonte: „Seit mehr als zehn Jahren kämpfen die Kolleg*innen mit ihrer Gewerkschaft ver.di für verbindliche Personalvorgaben, durch die eine gute Pflege möglich ist und Beschäftigte entlastet werden. Mit der Zustimmung des Bundesrats zur Verordnung über die PPR 2.0 ist eine wichtige Hürde genommen, nachdem Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sein Versprechen gehalten und die Personalbemessung auf den Weg gebracht hat. Die Verordnung gilt ab 1. Juli 2024. Ein Wermutstropfen ist, dass durch die Verzögerungen in der politischen Abstimmung die konkrete Umsetzung der PPR 2.0 voraussichtlich erst 2027 beginnen kann.“ ver.di werde aber deshalb nicht nachlassen, damit die nächsten Schritte schnell und konsequent angegangen werden. „Wir geben erst Ruhe, wenn die Entlastung in den Krankenhäusern ankommen ist“, so die Gewerkschafterin.
ver.di hat die PPR 2.0 bereits 2019 gemeinsam mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Deutschen Pflegerat entwickelt. Doch der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat das Instrument zur Personalbemessung ignoriert. Endlich startet nun die Umsetzung der PPR 2.0. Sie gilt in Akutkliniken auf bettenführenden Normalstationen für Erwachsene sowie auf bettenführenden Normal- und Intensivstationen für Kinder. Zunächst erheben die Krankenhäuser die Daten zur nötigen und tatsächlichen Personalbesetzung. Danach sollen die Personalvorgaben während einer sogenannten Konvergenzphase verbindlich eingeführt werden, wofür eine weitere Verordnung nötig ist. „Jetzt wird offengelegt, wie viele Pflegekräfte auf den Stationen für eine gute Versorgung nötig sind“, so Bühler. Die Transparenz ist eine wichtige Voraussetzung für die Schaffung von Personalstandards.
Um das Kürzel „PPR 2.0“ zu verstehen, erklären wir erst einmal was PPR überhaupt ist. Übersetzt steht PPR kurz für das lange Wort „Pflegepersonalregelung“ in Krankenhäusern. Und dafür: Auf jeder bettenführenden Station einer Klinik wird für eine Schicht eine bestimmte Anzahl an Pflegepersonen eingesetzt. Doch wer bestimmt über diese Anzahl? Dazu diente das 1993 eingeführte Instrument der Pflegepersonalregelung (PPR), mit ihm lässt sich für den Tagdienst bestimmen, wie viele Pflegepersonen auf einer Station vorgesehen sein müssen, damit jederzeit die Versorgung der Patientinnen und Patienten gewährleistet ist.
Bereits in den 1980er Jahren wurde in Deutschland von einem Pflegenotstand gesprochen. In den 1990er Jahren wurden schließlich die ersten Ansätze der PPR entwickelt. Als die PPR 1993 in Kraft trat, wurde mit einem Personalmehrbedarf von mehr als 20 Prozent gerechnet. Am Ende gab es einen Zuwachs von 21.000 Vollzeitkräften auf chirurgischen und internistischen Normalstationen. Aber: 1997 wurde die PPR gesetzlich schon wieder abgeschafft, da der notwendige Personalaufwuchs nicht durch die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) finanziert werden sollte. Als Grundlage für die interne Berechnung von Personalschlüsseln diente sie aber weiter in vielen Krankenhäusern.
Jeden Tag werden alle Patient*innen jeweils einer von bisher neun Pflegeaufwandsgruppen (bei erwachsenen Patient*innen) zugeordnet. Die Pflegeaufwandsgruppen setzen sich zusammen aus der Kombination von jeweils drei Pflegestufen in zwei unterschiedlichen Bereichen der Pflege, aus der „Allgemeinen Pflege“ (Grundpflege) und der „Speziellen Pflege“ (Behandlungspflege). Je mehr Pflegebedarf eine zu pflegende Person hat, desto größer fällt die Pflegeintensität aus.
Die Allgemeine Pflege umfasst dabei:
Die Spezielle Pflege umfasst:
Für jede der neun Aufwandsgruppen ist ein fester Minutenwert hinterlegt, der die für den Pflegebedarf aufzubringenden pflegerischen Leistungen abbilden soll und in Personalstellen umzurechnen ist. Seit der Aussetzung der PPR 1997 wird dieses Instrument jedoch nur intern zur Berechnung des Pflegepersonalbedarfs eingesetzt, eine verpflichtende Umsetzung ist damit nicht verbunden.
Die PPR 2.0 ist das neue Instrument zur Ermittlung des Pflegepersonalbedarfs in der Krankenhauspflege, in dem pflegewissenschaftliche Erkenntnisse und Weiterentwicklungen im Pflegemanagement der letzten Jahrzehnte eingeflossen sind. Es dient für den Übergang, bis ein weitergehendes Instrument voraussichtlich Ende 2025 vorliegen soll. Damit die Entlastung im Pflegealltag auf den Stationen und in den Bereichen tatsächlich ankommt, hat ver.di zusammen mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und dem Deutschen Pflegerat (DPR) 2020 Eckpunkte zur Umsetzung vereinbart. Sie geben den Rahmen für die Personalbesetzung der Pflege in den Stationen und Bereichen und für einen Dienstplan vor, der eine bedarfsgerechte Versorgung der Patientinnen und Patienten unter Einhaltung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes für die Beschäftigten sichert. Jedes Krankenhaus muss darüber hinaus ein Ausfallkonzept haben, mit dem die Regelbesetzung eingehalten und Überlastung verhindert wird.
Und: Die „alte“ PPR sah keine Berechnung für den Nachtdienst vor. ver.di hat bei der Weiterentwicklung der PPR 2.0 deshalb darauf gedrängt, dass diese Leerstelle durch Mindestvorgaben für alle bettenführenden Stationen und Arbeitsbereiche gefüllt wird. Weil die vollständige Umsetzung deutlich mehr Pflegepersonal erfordern wird (siehe auch die Anfänge von PPR oben), soll es Übergangsregelungen geben. ver.di plädiert für einen Stufenplan, der verbindlich umgesetzt werden muss.
Patientinnen und Patienten werden täglich in eine Pflegeaufwandskategorie eingestuft, die sich aus der Kombination von je vier Leistungsstufen der allgemeinen und speziellen Pflege ergibt (siehe Kasten oben). Die Minutenwerte wurden aktualisiert und ergänzt um jeweils eine Aufwandsgruppe für hochaufwendige Leistungen in der allgemeinen und speziellen Pflege. Hinzu kommen ein täglicher Grundwert, der die Leistungen ohne unmittelbaren Patientenbezug erfasst sowie ein Fallwert pro Aufenthalt, der beispielsweise das Aufnahme- und Entlassungsmanagement abdeckt. In der Summe ergibt sich so ein Zeitwert pro Patient*in, der den Pflegepersonalbedarf abbildet. Der zusammengefasste Wert aller Patient*innen ergibt dann den Pflegepersonalbedarf des jeweiligen Krankenhauses, der in Pflegepersonalstellen umgerechnet werden kann. Insoweit unterscheiden sich die beiden Personalbemessungs-Instrumente in ihrer Logik nicht. Neben der Berücksichtigung aktueller pflegewissenschaftlicher Erkenntnisse wurden die Zeitintervalle mit der PPR 2.0 aktualisiert: Als Nachtschicht gilt die Zeit zwischen 22 und 6 statt wie bisher ab 20 Uhr. Für die Abendstunden zwischen 20 und 22 Uhr wirkt so noch ein besserer Personalschlüssel.
Die Folgen von zwei Jahrzehnten verfehlter Gesundheitspolitik zu korrigieren – das bedeutet durch ein dickes Brett zu bohren. Der ver.di-Personalcheck von 2013 und die ver.di-Aktion „Das Soll ist Voll“ von 2017 hatten gezeigt: Allein in der Pflege waren zum damaligen Zeitpunkt rund 80.000 zusätzliche Fachkräfte nötig. Deshalb streitet ver.di auch schon lange für mehr Personal und Entlastung in den Krankenhäusern. Mit bundesweiten Aktionen wie dem Nachtdienstcheck, mit Großdemonstrationen und mit Streiks für Tarifverträge zur Entlastung hat ver.di für Bewegung und Druck gesorgt. Und mit Entlastungs-Tarifverträgen auch in mehr als zwei Dutzend Kliniken schon für bessere Personalschlüssel gesorgt.
Nun ist auch das große Ziel erreicht: Zum 1. Januar 2023 wurde PPR 2.0 eingeführt. Allerdings zunächst in einer Erprobungsphase vorerst nur in ausgewählten Kliniken. Ab dem 1. Juli 2024 gilt die Personalbemessung für alle Kliniken, die zudem sanktioniert werden, sollten sie sich nicht daranhalten.
Scharfe Kritik übte Sylvia Bühler im Vorfeld unter anderem an dem Versuch der bayerischen Staatsregierung, die Einführung bedarfsgerechter Personalvorgaben für die Krankenhauspflege im Bundesrat zu verhindern. „Bayerns Staatsregierung hat in Sonntagsreden immer wieder erklärt, die Überlastung der Pflegekräfte müsse überwunden werden. Doch jetzt will sie die entscheidende Maßnahme zur Entlastung auf den letzten Metern sabotieren. Diese Politik ist verlogen und unverantwortlich“, sagte die Gewerkschafterin. Die Abstimmung im Bundesrat über die Verordnung hatte sich durch solche Vorstöße immer wieder verschoben. Bühler hatte zuletzt gewarnt, dass die politischen Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern weitere Verzögerungen nach sich ziehen werden, sodass die sogenannte Konvergenzphase zur Umsetzung der PPR 2.0 voraussichtlich erst 2027 beginnen kann. Damit hat sie Recht behalten: Durch die mit der PPR 2.0 verbundenen Vorbereitungen einschließlich der Umsetzungphase wird sie tatsächlich erst in etwa drei Jahren greifen.
Ein Probelauf der PPR 2.0 in 44 Krankenhäusern im Jahr 2020 hat bereits ergeben, dass die PPR 2.0 in der Praxis handhabbar und umsetzbar ist. „Die PPR 2.0 ist getestet und praktikabel. Die Personalbemessung wird die Situation von Patienten und Beschäftigten tatsächlich verbessern – wenn sie schnell und konsequent umgesetzt wird“, betont Sylvia Bühler, zuständiges ver.di-Bundesvorstandsmitglied. Jegliche Ausnahmen und die Verwässerung von Sanktionen würden das Instrument wirkungslos machen, die Not der Patientinnen und Patienten aufgrund des Personalmangels bliebe bestehen. Das zeigen die Erfahrungen mit der Personalbemessung in der Psychiatrie, der PPP-RL, wo die Vorgaben nämlich flächendeckend unterlaufen werden.
Eine Berliner Kardiologie-Station stellte damals fest: „Wäre die Relation von Pflegekräften und Patient*innen wie in der PPR 2.0, hätten wir 40 Prozent mehr Personal und endlich wieder Zeit für Pflege und Zuwendung.“ Aus der Region Rhein-Neckar fasste eine Geriatrie-Station nach ihrem Probelauf zusammen: „Die PPR 2.0 wäre an diesem Tag nur zu rund 55 Prozent erfüllt worden. Würde sie vollständig umgesetzt, könnte zum Beispiel die interdisziplinäre Arbeit der Pflegekräfte mit den Therapeut*innen viel besser laufen. Es wäre Zeit für persönliche Zuwendung und Gespräche mit Angehörigen. Das wäre richtig gut.“
Auf einer Inneren und Neurologie-Station in Oberfranken stellten de Beschäftigten fest: „Wir fanden eigentlich, dass die Station an diesem Tag vergleichsweise gut besetzt war. Doch im Vergleich zur PPR 2.0 lagen wir bei nur knapp 68 Prozent des notwendigen Personals. Daran sieht man, wie sehr man sich an den Mangel schon gewöhnt hat. Wenn wir die laut PPR 2.0 nötigen Pflegekräfte hätten, müssten wir nicht ständig verschiedene Tätigkeiten gleichzeitig machen. Wir könnten einen Leitungsdienst haben, der ans Telefon geht, so dass die anderen nicht immer wieder bei der Pflege unterbrochen werden. Wir könnten geplant und in Ruhe unsere Pausen nehmen und pünktlich rauskommen. So sollte es sein.“
So wird es jetzt hoffentlich schon bald in allen Kliniken sein.
Ob in Krankenhäusern, der Psychiatrie oder in der Altenpflege – ver.di fordert vom Gesetzgeber bedarfsgerechte Personalvorgaben, die eine hochwertige Versorgung und gute Arbeitsbedingungen ermöglichen. In den Krankenhäusern muss die PPR 2.0 jetzt umgesetzt werden, bei der PPP-RL in Psychiatrien braucht es verbindliche Sanktionen.