Kunst und Kultur werden durch öffentliche Gelder von Bund, Gemeinden und Kommunen gefördert, die Freiheit der Kunst ist durch das Grundgesetz geschützt. Allein Berlin will 130 Millionen im Kulturhaushalt der Stadt kürzen, der Bund halbiert die Finanzierung der Kulturfonds. ver.di hat deshalb eine Vernetzungskampagne gestartet, um das Ausbluten der Kultur zu verhindern
0,43 Prozent! So hoch, oder besser so niedrig bemessen waren die öffentlichen Ausgaben für Kultur – gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2020. Neuere Zahlen liegen derzeit nicht vor, aber viel höher sind die Ausgaben auch heute nicht. Sie steigen seit Jahren tatsächlich nur unerheblich: Innerhalb von zehn Jahren waren sie seinerzeit lediglich um 0,07 Prozent gestiegen, 2010 lag ihr Anteil am BIP noch bei 0,36 Prozent. Kunst und Kultur – das zumindest lässt sich zweifelsohne festhalten – scheint uns kaum etwas wert zu sein.
Auch wenn es in nackten Zahlen 14,5 Milliarden Euro gewesen sind, die Bund, Länder und Gemeinden 2020 für Kultur ausgegeben haben, gibt‘s da nichts schönzureden: Nicht einmal 1 Prozent unseres BIP investieren wir in die Kultur. Dass die Kulturförderung nun zudem allerorten massiv zusammengestrichen werden soll, bedroht Kunst und Kultur in ihren Grundfesten. Und die Demokratie gleich mit, schaffen Kunst und Kultur doch Räume und Möglichkeiten, Gesellschaften aufzuklären und zusammenzubringen.
Das Grundgesetz schützt im Artikel 5 ausdrücklich die Freiheit künstlerischen Ausdrucks sowie Kulturschaffende in besonderem Maße. Grundlage dieses verfassungsrechtlichen Schutzes ist die Überzeugung, die Freiheit der Kunst sei wesentlich für die demokratische Grundordnung. Künstlerischer Arbeit wird deshalb seitens des Staates ein gesellschaftlicher Mehrwert zugeschrieben. Und dem Staat eine besondere Verantwortung. Er darf sich nicht einmischen, aus dem Grundgesetz leitet sich dennoch seine Aufgabe ab, die Ausübung von Kunst zu fördern.
Doch ausgerechnet den Kulturschaffenden, die oft genug kaum ein Einkommen zum Leben haben, geht es jetzt ans letzte Hemd. Der Bundeskulturfonds soll um etwa 50 Prozent gekürzt, in München sollen 8 Millionen Euro noch im laufenden Haushalt eingespart werden, und dass, nachdem der Haushalt für 2024 ohnehin schon um 11 Millionen gekürzt worden war. Dresdens städtische Kulturbetriebe sollen in den kommenden zwei Jahren 4,76 Millionen Euro einsparen; allein beim sehr beliebten, international renommierten und stets gut besuchten Deutschen Hygiene-Museum bedeutet das Einsparungen von 1,33 Millionen Euro pro Jahr. In der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover sind es über 2 Millionen Euro Fördergelder, die den Theatern und der freien Kulturszene gestrichen werden sollen.
Komplett an die Substanz geht es den Kultureinrichtungen und den Kulturschaffenden in der Kulturhauptstadt Berlin: 12 Prozent, in Summe 130 Millionen Euro sollen im kommenden Haushalt für 2025 wegfallen. „Fünfzig Jahre lang habe ich erbittert um das Überleben des stets unterfinanzierten GRIPS kämpfen müssen“, sagt Volker Ludwig in einem Post des GRIPS-Theaters dieser Tage auf Instagram. Er ist der Gründer dieses einzigartigen Kinder- und Jugendtheaters, das wie kein anderes seit Jahrzehnten wichtige Themen und Zeitgeschehen für Kinder und Jugendliche und so auch für Erwachsene aufbereitet. Sein Stück „Linie 1“ über die vielfältige Berliner Gesellschaft, die sich täglich auf der U-Bahnlinie 1 trifft, ist durch die Welt getourt.
Ludwig sagt weiter: „Als es bei Klaus Wowereit [von 2001 bis 2014 Regierender Bürgermeister von Berlin; die Red.] hieß: ,Sparen bis es quietscht‘, unser Leitmotto bis heute, standen wir trotz Weltruhms mehrmals vor der Insolvenz. Aber auf die teuflische Idee, uns einfach Geld wegzunehmen, und zwar für sämtliche Neuproduktionen eines Jahres, wären auch die schlimmsten Feinde des GRIPS nicht gekommen.“
Am 7. November protestierten hunderte Künstler*innen in Hannover gegen die dort geplanten Kürzungen in der Kultur. „Wer jetzt die Kunst und Kultur finanziell beschneidet, riskiert den Zusammenhalt der Gesellschaft. Mit der Frage richte ich mich an die politischen Entscheidungsträger*innen aus dem Niedersächsischen Landtag: Was ist Ihnen unsere Gesellschaft und Demokratie wert?“, fragte Lisa Mangold dort, die auf Bundesebene bei ver.di für die Kulturbranche und ihre Beschäftigten zuständig ist. Wenn in der Kultur gekürzt werde, würden Räume der Begegnung, der Stimmenvielfalt, der Kontroverse gestrichen. „Ohne Kunst fehlt unserer Gesellschaft der Antrieb, sich mit Widersprüchen auseinanderzusetzen und neue Denkanstöße zu finden“, so Lisa Mangold.
In der Kulturszene würde viel über das beschränkte Kulturverständnis der AfD diskutiert. Die Kulturschaffenden treibe die Sorge um, wie die AfD möglicherweise in Spielpläne eingreifen würde. Welche Projekte würden von den rechten und faschistischen Ideolog*innen wohl als Erstes rausgepickt, diffamiert und angegriffen? „Wenn weiter in der Kultur gekürzt wird, wird unser Land grau, bevor es braun wird“, so die Gewerkschafterin.
ver.di ist auch die Gewerkschaft der Kulturschaffenden und fordert daher, statt die Kultur kaputt zu sparen eine faire Kulturfinanzierung:
Unter der Kampagne „Das ist Kunst, das kann nicht weg“ organisieren sich gerade landauf, landab Künstlerinnen und Künstler, um für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze und Schaffensräume zu kämpfen. Unter dem gemeinsamen ver.di-Dach „Kultur finanzieren“ vernetzen sie sich erhöhen den Druck auf die Regierung und ihre Kommunen.
Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um ihre künstlerische Existenz, Hungerkünstler*innen sind sie ohnehin schon häufig. So hat die Künstlersozialkasse, eine Art staatliche Sozialversicherung, bei der rund die Hälfte der freischaffenden Künstler*innen kranken- und rentenversichert ist, unlängst errechnet: Nur etwas mehr als 16.000 Euro brutto haben freie Musiker*innen 2024 in Deutschland im Durchschnitt im Jahr verdient. Freie Schriftsteller*innen, Schauspieler*innen und bildende Künstler*innen haben mit 20.000 Euro durchschnittlichem Jahreseinkommen nur wenig mehr gehabt. Trotz Studium und akademischem Abschluss – zum Leben reichen die Einkommen in der Regel nicht. Für finanzielle Rücklagen bei Krankheiten oder eine ausreichende Altersversorgung erst recht nicht.
Am 13. November 2024 versammelten sich in Berlin rund 2.000 Kulturschaffende und ihre Unterstützer*innen vor dem Brandenburger Tor. Gemeinsam haben sie ein starkes Zeichen für die Berliner Kunst- und Kulturszene gesetzt mit prominenter Unterstützung der Schauspieler*innen Katharina Thalbach und Lars Eidinger. Es war ein Protest und Fest der Kunst zugleich und die Message unmissverständlich: Sie alle sind nicht gewillt, klein beizugeben. Sie sind Künstler*innen, sie können nicht weg.
Mehr erfahren zur bundesweiten Kampagne.