Warum streikt ver.di eigentlich dauernd?

    Wenn wir unsere Mitglieder zum Streik aufrufen, dann deshalb, weil die Arbeitgeber ihnen kein annehmbares Angebot für mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen gemacht haben. Die Arbeitgeber haben es in der Hand, mit fairen Angeboten von Anfang an Streiks zu vermeiden.

    © Kay Herschelmann
    Tarifrunde öD 2023
    28.03.2023

    INHALT

     

    Steigende Preise, insbesondere für Energie und Lebensmittel sowie Lohnzurückhaltung während der Corona-Pandemie: Das führt aktuell zu Streiks und Tarifauseinandersetzungen in vielen der von ver.di organisierten Branchen, ob an Flughäfen, in Kitas, oder im Nahverkehr: ver.di ruft täglich Mitglieder auf, ihre berechtigten Forderungen mit Streiks durchzusetzen.
    Es mag nerven, wenn im Alltag mal wieder nichts geht, aber die Streiks sind nicht nur legitim, sondern letztes Mittel im Arbeitskampf um mehr Geld und bessere Bedingungen. Davon haben übrigens alle was: besseren Service, höhere Qualität, mehr Tempo bei den Dienstleistungen.

     

    Wir setzen auf Dein Verständnis und Deine Solidarität – und beantworten die wichtigsten Fragen zu den ver.di-Streiks.


    • Warum streikt ver.di eigentlich dauernd?

      Die ver.di-Mitglieder streiken für mehr Geld, für Respekt und Anerkennung ihrer Arbeit. Sie haben nicht nur während der Corona-Zeit hart geschuftet, um den Laden am Laufen zu halten. Auch schon vorher und auch jetzt hat sich die Arbeit überall verdichtet – mit Rekordmengen an Paketen, Rekordumsätzen im Online-Handel, Rekordarbeit in Krankenhäusern und Gesundheitsämtern, um nur einige Beispiele zu nennen. Der Arbeitsdruck ist in den von ver.di organisierten Branchen stets hoch, aber mehr Geld hat es in den vergangenen Jahren kaum gegeben.

      So sind die Reallöhne 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 4,1 Prozent gesunken. Dafür sind nach dem russischen Angriff auf die Ukraine die Preise rasant in die Höhe gegangen. Alle spüren, was für Löcher ein normaler Wocheneinkauf in den Geldbeutel reißt. Das setzt sich in der Energieversorgung fort: Die Preise für Gas, Strom und Öl sind um ein Mehrfaches gestiegen. So betrug die Inflation 2022 nach Angaben des statistischen Bundesamts 7,9 Prozent, im Januar 2023 lag die Preissteigerung immer noch bei 8,7 Prozent. Die Prognosen gehen von einem leichten Abflachen der Inflation auf einem immer noch hohen Niveau aus. Und natürlich können Kolleg*innen, die ein niedriges Einkommen und ohnehin schon kein Geld auf der hohen Kante haben, diese Preisentwicklung nicht stemmen.

      Die Hans-Böckler-Stiftung belegt mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit, dass sich die soziale Spaltung infolge der Inflation verschärft hat, besonders betroffen sind Familien mit niedrigen Einkommen. Viele Arbeitgeber nehmen ihre Verantwortung nicht an, rechnen die Inflation klein, erzählen das Märchen von der Lohn-Preis-Spirale oder verweisen auf vermeintlich leere öffentliche Kassen. Dabei sprudeln die Steuerquellen grade in der Inflation besonders ergiebig, der Staat verdient an jeder Preissteigerung ordentlich mit und ein Unternehmen wie die Deutsche Post AG macht Rekordgewinne. Dass höhere Löhne die Preise weiter anheizen ist eine Legende und nicht zu belegen. Andersrum wird ein Schuh draus: Um die Wirtschaft vor einem nachhaltigen Abschwung zu schützen, muss die Binnennachfrage gestärkt werden und das heißt nichts Anderes als mehr Geld für den privaten Konsum, fürs Leben. Außerdem herrscht in immer mehr Branchen Mangel an Personal. Überall steigt der Arbeitsdruck weiter, weil Stellen unbesetzt sind. Mehr Geld macht Arbeit attraktiver, insofern streiken wir auch für Zukunft der Arbeit in den ver.di-Branchen. Denn die wird nicht weniger, sondern mehr in den kommenden Jahren!

       

    • ver.di hier, ver.di da – wo genau streikt ver.di eigentlich im Moment?

      Wir befinden uns in einer Vielzahl von Tarifkämpfen: Unsere Mitglieder im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen, die zum Beispiel in Bundesbehörden und Ämtern von Städten oder Kommunalverwaltungen, in Kitas, in der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, in Sparkassen, im Öffentlichen Personennahverkehr, kurz: ÖPNV, oder in der Ver- und Entsorgung die Qualität und den Service öffentlicher Dienstleistungen hoch halten, fordern 10,5 Prozent, mindestens aber 500 Euro mehr Geld.

      Mehr Informationen dazu finden sich unter Tarif- und Besoldungsrunde öffentlicher Dienst Bund und Kommunen 2023.

      Unsere Kolleg*innen bei der Deutschen Post AG haben 15 Prozent mehr Geld gefordert. Nach ersten Warnstreiks hat die Post ein Angebot vorgelegt, das sich als Mogelpackung entpuppte. Gegen dessen Annahme hatten sich 86 Prozent der ver.di-Mitglieder in einer Urabstimmung ausgesprochen. Die Aussicht auf einen unbefristeten Streik hat für Bewegung gesorgt, an deren Ende ein Verhandlungsergebnis steht, über das die ver.di-Mitglieder ab 15.3. bis zum 30.3. in einer weiteren Urabstimmung entscheiden. Zu den aktuellen Entwicklungen informieren wir hier: Deutsche Post: Urabstimmung hat begonnen, Arbeitgeber versucht Beschäftigte einzuschüchtern.

      Das sind nur zwei Beispiele der aktuell laufenden ver.di-Tarifauseinandersetzungen.
      Mehr davon haben wir hier aufgelistet: Hier setzen wir uns für euch ein.

       

    • Alles schön und gut, aber warum muss ich unter den ver.di-Streiks leiden?

      Die Arbeit der ver.di-Mitglieder in den Dienstleistungsberufen ist unentbehrlich für unseren Alltag. Sie sind es, die jeden Tag für einen sicheren und reibungslosen Ablauf unseres Lebens sorgen. Ohne die ver.di-Mitglieder geht es ganz offensichtlich nicht, ihr Einsatz hat direkten Einfluss auf unsere Lebensqualität. Natürlich wollen wir niemandem das Leben schwermachen, wir schließen Notdienstvereinbarungen in der sogenannten kritischen Infrastruktur, zum Beispiel für Krankenhäuser ab. Oder wir kündigen Streiks zum Beispiel in Kitas oder im Verkehr so rechtzeitig an, dass die Bürger*innen Zeit haben, sich auf die Situation einzustellen und Fahr- oder Betreuungsgemeinschaften zu gründen.

      Streiks sind für ver.di-Mitglieder das legitime letzte Mittel, ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Provoziert wird der Einsatz dieses Mittels von Arbeitgebern, die erst in der letzten Verhandlungsrunde ein Angebot auf den Tisch legen, das oftmals so schlecht ist, dass wir darüber nicht verhandeln können. Die ver.di-Forderungen werden dabei meist schon Monate im Voraus aufgestellt, nach Befragung der ver.di-Mitglieder und den entsprechenden Beschlüssen in der Tarifkommission. Sie werden auch von den ver.di-Mitgliedern selber begründet. Wofür es keinen Grund gibt, ist, Verhandlungen darüber raus zu zögern und keine Angebote vorzulegen. Das macht unsere Mitglieder wütend und hat mit Respekt für ihr Anliegen nichts zu tun! Insofern ist die richtige Adresse für Beschwerden über die ver.di-Streiks der Arbeitgeber, in Kommunen ist das der Bürgermeister oder die Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände (VKA), für den Bund verhandelt die Bundesinnenministerin Nancy Faeser, bei der Post der Vorstand und so fort. Ihnen hat der öffentliche „Dank“ für die Streiks zu gelten, sie haben es in der Hand, mit fairen Angeboten von Anfang an Streiks zu vermeiden.

       

    • Ohne Urabstimmung gleich nach Ende der Friedenspflicht zum Streik aufrufen – dürft Ihr das eigentlich?

      Ja! Streikrecht ist ein Grundrecht! Die genaue Ausgestaltung ist Richterrecht, sagt man auch, das heißt, es gibt dazu keine konkreten, gesetzlichen Bestimmungen. Wer einen Streik für unrechtmäßig hält, kann dies unmittelbar von Arbeitsgerichten klären lassen.

      Das ist die praktische Umsetzung der in Artikel 9 unseres Grundgesetzes fest geschriebenen sogenannten Koalitionsfreiheit – ein hohes Gut, mit dem wir verantwortungsvoll und sensibel umgehen. Juristisch gibt es nach Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) keine Unterscheidung zwischen Warnstreik oder Streik, so lange ein Streik verhältnismäßig ist und die Gewerkschaft ihre Mitglieder dazu ordnungsgemäß aufgerufen hat, ist er rechtmäßig. Die Teilnahme an einem rechtmäßigen Streik stellt keine Verletzung des Arbeitsvertrags dar. Maßregelungen durch den Arbeitgeber wegen der Teilnahme an einem Streik sind verboten. Der bestreikte Arbeitgeber darf deshalb streikenden Kolleg*innen  nicht kündigen. Nach Ende des Streiks besteht ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung.

      Während des Streiks ruht das Arbeitsverhältnis, die Beschäftigten brauchen keine Arbeitsleistung zu erbringen. Ein Anspruch auf Arbeitsentgelt besteht für die Dauer des Streiks nicht. ver.di-Mitglieder hingegen haben Anspruch auf Streikgeld.

       

    • Warum kommt es immer wieder zu Streiks?

      Für eine Eskalation, also einen Streik in Tarifrunden, ist in aller Regel ein Arbeitgeber verantwortlich, der seine Beschäftigten kurz halten will. Dagegen wehren sich die ver.di-Mitglieder und sie werden sich auch gegen jeden Versuch wehren, unser Streikrecht einzuschränken. Wer, wie es aktuell die CDU tut, über eine Beschneidung dieses Grundrechts fantasiert, kann mit dem erbitterten Widerstand der Gewerkschaften rechnen. Und wer deeskalieren will in einer aufgeheizten Situation sollte dem verantwortlichen Arbeitgeber den Rat geben, ein vernünftiges Angebot vorzulegen.


    • Urabstimmung – davon ist auch immer wieder die Rede im Zusammenhang mit den ver.di-Streiks. Was hat es damit auf sich?

      Um zu streiken, ist eine Urabstimmung gesetzlich nicht vorgeschrieben. ver.di hat aber ein eigenes Regelwerk für Streiks, die Satzung und die sogenannte Arbeitskampfrichtlinie. Der Bundesvorstand kann demnach eine Urabstimmung einleiten, um die Entschlossenheit der ver.di-Mitglieder zu demonstrieren, ihre Forderung mit unbefristeten Streiks durchzusetzen.

      Alle ver.di-Mitglieder, für die der Tarifvertrag gilt, um den gerungen wird, stimmen dann über die Frage ab, ob sie bereit sind, für die Durchsetzung ihrer Forderungen unbefristet zu streiken. Um in den unbefristeten Streik zu gehen, müssen sich mehr als 75 Prozent der stimmberechtigten und nicht verhinderten Mitglieder dafür aussprechen.

      Wenn ver.di und der Arbeitgeber nach einem Erzwingungsstreik ein Verhandlungsergebnis erzielen, wird dieses Ergebnis einer erneuten Urabstimmung unterzogen. Sprechen sich dabei mehr als 25 Prozent der aufgerufenen und nicht verhinderten Gewerkschaftsmitglieder für die Annahme des Verhandlungsergebnisses aussprechen, wird der Arbeitskampf beendet. Über die endgültige Annahme des Verhandlungsergebnisses entscheidet die Tarifkommission.