Kein Haustarifvertrag, schlechte Bezahlung, prekäre Arbeitsverhältnisse durch, sagen wir mal, kreativen Umgang mit Zeitarbeitsbeschäftigten und befristeten Arbeitsverträgen – das und einiges mehr empört die Belegschaft des Bundesanzeiger Verlags mit Sitz in Köln schon seit Monaten. Mehrfach hatte ver.di daher zu Warnstreiks aufgerufen, um Verhandlungen für einen Tarifvertrag zu erreichen. Mittlerweile hat der Großteil der Gewerkschaftsangehörigen im Unternehmen die Arbeit unbefristet niedergelegt.
„Wir kämpfen um unsere Grundrechte“, erklärte Betriebsrat Gerhard Treinen anlässlich der gestrigen Protestkundgebung in der Domstadt. Und rund 150 Teilnehmende erteilten ihm lautstark vor den Toren der imposanten Kölner Unternehmenszentrale von DuMont ihre Zustimmung. Der Medienkonzern besitzt auch den Bundesanzeiger Verlag. Dessen Geschäftsführung weigert sich bereits seit Ende letzten Jahres grundsätzlich, mit ver.di über einen Tarifvertrag zu verhandeln. Für den Betriebsrat geht es deshalb inzwischen auch „um den Erhalt grundsätzlicher Werte in diesem Staat.“ Treinen macht unmissverständlich klar: „Wir geben nicht auf. Wir werden weiterstreiken, bis wir unser Ziel erreicht haben.“
Die Kölner SPD-Bundestagsabgeordnete Sanae Abdi lobte die Streikenden, die „höchste Anerkennung für die Leistung“ verdienten, die sie mit ihrem Engagement erbringen würden. So wie Aurora (Name geändert). Die Berufseinsteigerin kam zunächst über eine Zeitarbeitsfirma ins Unternehmen, wo sie direkt mit anspruchsvollen Tätigkeiten betraut wurde, etwa mit der Kontrolle englischsprachiger, juristischer Texte. Schon nach wenigen Monaten wurde ihr eine befristete Anstellung angeboten, was schon eine Ausnahme bedeutet. Denn normalerweise werden Leiharbeitende mit jeweils kurzen Unterbrechungen über Jahre beschäftigt.
Aurora musste für ihre neue Anstellung eine dreimonatige Probezeit absolvieren. Als ver.di-Mitglied nahm sie in dieser Zeit am Streik teil, worauf sie jetzt ohne Angaben von Gründen die fristlose Kündigung erhielt. Ihre Entscheidung, zu streiken, bereut sie dennoch nicht:
Tatsächlich ist die Bezahlung teilweise so schlecht, dass manche Mitarbeitende Nebenjobs an der Tankstelle oder bei Bringdiensten annehmen müssen, um über die Runden zu kommen, bestätigt auch Sandra Fuchs. Sie ist seit 29 Jahren beim Bundesanzeiger dabei und hat erlebt, wie sich ab 2006 die Verhältnisse änderten als DuMont den Verlag vollständig übernahm: „Seitdem hat sich die Kultur komplett gewandelt, der Abbau vieler Sozialleistungen wurde vorangetrieben, beispielsweise bestehende Betriebsrentenansprüche eingefroren oder abgegolten und für neue Mitarbeitende nicht mehr angeboten.“
Und das bei einem Unternehmen, das seine „wesentlichen und profitablen Aufträge aber auf der Basis gesetzlicher Bestimmungen, die die Bundesministerien der Justiz und der Finanzen zu verantworten haben“, erhält. So haben es letzten Monat sieben Kölner Bundestagsabgeordnete, darunter Katharina Dröge von den Grünen sowie Karl Lauterbach und Ralf Mützenich, beide SPD, in einem Brief an den Bundesanzeiger-Geschäftsführer Matthias Schulenberg formuliert. „Für dieses wichtige Verkündungs- und Bekanntmachungsorgan deutscher Bundesbehörden“, so die Gruppe weiter, „begreifen wir Kölner Bundestagsabgeordnete die fehlende Tarifbindung und die Verweigerung von Tarifverhandlungen für den Bundesanzeiger, der seine Umsätze und Gewinne zu wesentlichen Teilen auf gesetzlicher und insoweit öffentlicher Basis generiert, als einen unakzeptablen Zustand.“ Der Aufruf, endlich in Gespräche zu gehen, wurde Insidern zufolge vor kurzem von Schulenberg mit dem Hinweis abgelehnt, dass tarifliche Auseinandersetzungen zwischen den Tarifparteien ausgetragen werden sollten und nicht zwischen einem Unternehmen und Bundestagsabgeordneten.
Für ver.di-Chef Frank Werneke, der für die gestrige Veranstaltung eigens aus Berlin angereist war, ist die Gemengelage eine Steilvorlage: „Wir erleben eine Geschäftspolitik, die sich gegen die Beschäftigten richtet.“ Mit Anerkennung bestätigte er den Anwesenden: „Ihr zeigt, dass ihr euch nicht klein machen lasst.“
Zumal Tarifbindung die Plattform dafür sei, dass Arbeitnehmende und Arbeitgebende auf Augenhöhe verhandeln könnten – eine der wichtigen Grundlagen für eine funktionierende Demokratie.
Der Gewerkschaftschef erinnerte zudem an das „positive Unternehmertum“ des verstorbenen Patriarchen Alfred Neven DuMont, der lange den Konzern geleitet hatte. Davon scheint bei seinen Nachfahren nicht mehr viel übrig geblieben zu sein. Das einstmals nicht nur in Köln angesehene Unternehmen erregte in letzter Zeit vor allem durch Kürzungen und Stellenstreichungen Aufsehen. So wurde Ende letzten Jahres in einer Überraschungs-Aktion die hauseigene Druckerei geräumt – samt rund 200 Festangestellten – sowie im Frühjahr redaktionelle Arbeitsplätze beim Traditionsblatt Kölner Stadt-Anzeiger abgebaut.
Dabei konnte das Konzernmanagement vor kurzem ein operatives Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen von 76,9 Millionen Euro bei einem Gesamtumsatz von 447,6 Millionen Euro vermelden. Zu diesem Erfolg hat der Bundesanzeiger Verlag mit seinen rund 560 Beschäftigten und bis zu 280 Leiharbeitenden, 130 Millionen Euro Jahresumsatz sowie einer stattlichen Gewinnmarge von 18 bis 20 Prozent maßgeblich beigetragen.
Viele Kritikerinnen und Kritiker sehen DuMont heute als Beispiel für eine aktuell wieder erstarkende neoliberale Spielart in der deutschen Wirtschaft, die Profitstreben über alles setzt, aber die Belange derer, die diese Profite erarbeiten, so weit wie nur möglich einschränken möchte. Und so mahnt Werneke: „Das ist nicht die Freiheit, die die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben wollten.“
Text: Wilfried Urbe
Sie wollen mal mit ver.di-Leuten reden? Fragen stellen oder reinschnuppern? Finden Sie Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner in Ihrer Nähe.
Interaktive Karte Ansprechpartner finden