Berlin, 6.10.2021 – Wegen der fristlosen Massenentlassung ihrer streikenden Kolleginnen und Kollegen, hatten die Beschäftigten des 10-Minuten-Lieferdienstes Gorillas für heute Mittag zum Protest vor der Unternehmenszentrale aufgerufen – mit allem, was Krach macht, Töpfe und Pfannen inklusive. Maren Ulbrich vom Bundesfachbereich Handel war ebenfalls vor Ort: „Den Beschäftigten wird ihre Existenzgrundlage entzogen, weil sie für ihre Interessen eingestanden sind. Natürlich unterstützen wir unsere Mitglieder hier“, sagt sie. „Die Stimmung ist laut, und hier sind auch zahlreiche Unterstützerinnen und Unterstützer der Kuriere mit dabei.“ Bislang habe der Arbeitgeber aber nur verlauten lassen, dass man „keinen anderen Ausweg gesehen habe, als die fristlosen Kündigungen aufgrund der wilden Streiks auszusprechen“, so die Gewerkschaftssekretärin.
„Einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind bei der Demo vorgetreten und haben ihre persönlichen Gründe genannt, warum sie hier dabei sind“, sagt eine Protest-Teilnehmerin. „Einer klagte über die dauernden Rückenschmerzen wegen der zu schwer beladenen Rucksäcke, ein anderer erzählte, er habe mit ansehen müssen, wie eine Freundin vor Erschöpfung ohnmächtig geworden sei.“ Einig sind sich die Streikenden, dass ihnen vom Unternehmen viel versprochen worden sei, wovon sie nichts erhalten hätten.
Informationen zufolge, die Spiegel online vorliegen, hat der Arbeitgeber in den Entlassungsschreiben nicht einmal Gründe angegeben: „Hiermit kündigen wir das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich aus wichtigem Grund fristlos“, zitiert das Online-Nachrichtenmagazin aus den Schreiben. Worin der wichtige Grund bestehe, erkläre das Unternehmen nicht. In einzelnen Fällen seien sogar Namen von Mitarbeitern falsch geschrieben, so der Bericht weiter.
„Praktisch alle Beschäftigten der Standorte Kreuzberg, Schöneberg und Gesundbrunnen sind heute gekündigt worden! Statt mit den Beschäftigten zu verhandeln, hat sich der Arbeitgeber entschieden, sie loszuwerden. Doch so einfach wird das nicht!“, schreibt das Gorillas Workers Collective heute auf Twitter, wo auch Solidaritätsbekundungen aus anderen deutschen Städten wie Bremen, aber auch aus dem Ausland einlaufen. Ebenfalls auf Twitter erfreut sich der Beitrag des Lower Class Magazines großer Verbreitung: „Guten Morgen, sei auch du kein Sohn eines Hundes und bestelle unter keinen Umständen um Mitternacht eine beschissene Gurke, die dir ein unterbezahlter Rider in den 5. Stock hochbringt, nur um dann wegen eines Streiks gekündigt zu werden.“
Mit dem heutigen Protest spitzt sich der seit Monaten andauernde Arbeitskampf der Fahrerinnen und Fahrer zu, die seit dem Sommer regelmäßig vor den Warenhäusern ihres Unternehmens in Berlin streiken. Über die Hintergründe berichtet die aktuelle ver.di publik in der Reportage. Die Beschäftigten fordern bessere Arbeitsbedingungen, allem voran die Selbstverständlichkeit einer pünktlichen und vollständigen Auszahlung ihrer Gehälter. Auch wehren sie sich gegen die Arbeitsverdichtung durch das „Projekt ACE“, mit dem weniger Beschäftigte mehr Lieferungen schaffen sollen.
Eine andere Auswirkung dieses Projekts seien neue Schichtmodelle, berichtete vor zwei Tagen die Tageszeitung junge welt. Ein Computerprogramm solle errechnen, zu welchen Zeiten am meisten Personal gebraucht würde. Dies führt zu verkürzten Schichten, die täglich zu wechselnden Zeiten beginnen. Dadurch entstehen Schichtpläne, die seit neuestem von einer App generiert werden, aber die 11-Stunden-Ruhezeit laut Arbeitszeitgesetz ignoriert. Viele müssen bereits nach sieben Stunden wieder zum Dienst erscheinen, wie Screenshots von Dienstplänen auf Twitter zeigen. Tun sie das nicht, verschickt die App automatisch eine Abmahnung. Des Weiteren sind viele der Fahrräder defekt und stellen eine Gefahr für Leib und Leben der Beschäftigten dar. Auch die Ausstattung, etwa der Rucksäcke muss verbessert werden, fordern die Fahrerinnen und Fahrer.
Wie die junge welt weiter berichtet, habe das Unternehmen am vergangenen Donnerstag plötzlich Überleitungsverträge, die der Zeitung vorlägen, an alle Beschäftigten im operativen Geschäft verschickt. In Berlin betrifft das 1.700 von 2.000 Gorillas-Beschäftigten, die damit noch im Oktober in eine neu gegründete Tochterfirma ausgelagert werden sollen. Mit der Ausgründung will das Unternehmen vermutlich der bereits eingeleiteten Wahl eines Betriebsrates zuvorkommen.
Am vergangenen Freitag schickte das Unternehmen sogar Manager aus der Firmenzentrale als Streikbrecher in den Kreuzberger Bergmannkiez, einen Tag später wurde ein Fahrer am letzten Tag seiner Probezeit entlassen. Am Samstag erhöhte der sich in Interviews und vor Mitarbeitern stets bodenständig gebende Gorillas-Chef Kağan Sümer nochmals den Druck und entließ einen der besten Fahrer des Lagers fristlos. Seine Kolleginnen und Kollegen wollen das nicht hinnehmen und wollen streiken, bis ihre Forderungen erfüllt sind.
Die Frage, ob die nicht genannten Entlassungs-Gründe des Arbeitgebers „erheblich“ genug seien, um mit den fristlosen Entlassungen aufgrund wilder Streiks durchzukommen, wird vor dem Arbeitsgericht zu klären sein, sagt Maren Ulbrich von ver.di.
Sie wollen mal mit ver.di-Leuten reden? Fragen stellen oder reinschnuppern? Finden Sie Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner in Ihrer Nähe.
Interaktive Karte Ansprechpartner finden