Berlin – Sie sind menschliche Filter. Gemeint sind Content Moderator*innen, die gefährliche Inhalte, wie etwa Kinderpornographie oder extreme Gewalt, aus den Sozialen Medien filtern, um die Plattformen für die Nutzer*innen sicher zu machen. Sie bilden ein relativ neues Berufsfeld – am 14. Juni fand nun zum ersten Mal überhaupt ein Fachgespräch im Ausschuss für Digitales des Bundestages zum Thema „Arbeitsbedingungen für Content Moderatorinnen und Moderatoren“ statt, in dem die prekären Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten ausgiebig betrachtet wurden. In der Anhörung wurde deutlich, dass sich die Privatwirtschaft bislang aus der Verantwortung zieht und nicht angemessen auf die Herausforderungen dieses neuen Berufsfelds reagiert.
Beschäftigte, Organisationsvertreter*innen von Superrr Lab und ein Whistleblower waren eingeladen, ihre Erfahrungen und Erkenntnisse zu präsentieren. Die Anhörung bot einen tiefen Einblick in die Herausforderungen, mit denen Content Moderator*innen konfrontiert sind sowie in die Forderungen der Beschäftigten selbst.
„Content Moderator zu sein ist so, als würde man im Amazon-Lager und auf einer Giftmüllhalde zugleich arbeiten“, erklärt Daniel Motaung, Whistleblower und ehemaliger Content Moderator aus Kenia. Er war live aus Afrika zugeschaltet zur Anhörung. Überwachung und strenge Zielvorgaben der Unternehmen, aber auch die expliziten gewalttätigen Inhalte, die die Moderator*innen tagtäglich sichten, sind enorm belastend. Moderator*innen berichten über lebenslange gesundheitliche Folgen der Arbeit, wie posttraumatische Belastungsstörungen und Medikamentenmissbrauch. Die fehlende angemessene Unterstützung für die mentale Gesundheit, insbesondere in den Outsourcing-Unternehmen, verstärkt diese Belastung.
Content Moderator Cengiz Haksöz arbeitet für den Dienstleister Telus, ein Subunternehmen, das Inhalte für Metas Plattformen (Facebook, Instagram & Co.) filtert. Auch er hat sich nicht von Facebook und seinen übermäßig restriktiven Geheimhaltungsvereinbarungen einschüchtern lassen. Stattdessen nimmt er mit Unterstützung von ver.di seine Rechte als Arbeitnehmer in Deutschland wahr und informiert den Ausschuss über die unsicheren, unfairen und inakzeptablen Geschäftspraktiken seines Arbeitgebers. Er moderiert Inhalte, die als gefährlich eingestuft wurden und wird für den türkischen und englischen Markt eingesetzt.
Seit November 2018 arbeitet er für Telus International. Nach fünf Jahren sei sein Gehirn, sein Körper und sein Herz über 4.000 Stunden gewalttätigsten Materials ausgesetzt worden. Zum Abschied sagen er und seine Kolleg*innen nicht „Tschüss“, sondern wünschen sich „Gute Besserung“.
Besonders dramatisch: Zwei seiner Kollegen werden aufgrund der Arbeit aktuell im Krankenhaus psychiatrisch behandelt. Seine Forderungen sind deshalb einfach wie notwendig: Jedem Beschäftigten soll eine psychologische Betreuung zur Verfügung stehen. Jedes Unternehmen soll sich von unabhängigen Experten über wirksame Schutzmaßnahmen beraten lassen und die Empfehlungen unverzüglich umsetzen. Weltweit löschen schätzungsweise mehrere Hunderttausend Content Moderator*innen im Internet Inhalte, die der Rest der Welt nicht zu sehen bekommt. Hikmat El-Hammouri, ver.di-Gewerkschaftssekretär und Mitorganisator des ersten deutschlandweiten Content Moderators Summit, betont: „Content Moderatoren sind ein menschlicher Filter für das Grausamste, was es gibt.“
Eine der zentralen Herausforderungen, die bei der Anhörung zur Sprache kamen, ist die starke betriebliche Abhängigkeit vieler Content Moderator*innen. Deswegen ist es ratsam die Hilfe von Gewerkschaften in Anspruch zu nehmen. Auf Nachfrage des SPD-Abgeordneten Armand Zorn erklärte Julia Kloiber von SUPERRR Lab, dass insbesondere diejenigen, die zu den englischsprachigen Arbeitskräften gehören, aufgrund der eingeschränkten Arbeitsmarktalternativen in einer schwierigen Lage sind. Nicht selten ist außerdem die Aufenthaltserlaubnis an den Arbeitsplatz gebunden, was von Outsourcing-Unternehmen ausgenutzt wird. Die Arbeitsverträge sind befristet, undurchsichtig und rechtsunsicher, was zu Unsicherheiten und Unklarheiten für die Moderator*innen führt. Gewerkschaften können an dieser Stelle nicht nur über Rechte aufklären, führt Kloiber aus, darüber hinaus spielen sie, wie am Beispiel von der Betriebsratssgründung bei TikTok deutlich wurde, eine entscheidende Rolle bei der betrieblichen Organisation.
Eine zentrale Forderung der Content Moderator*innen betrifft die gesellschaftliche und finanzielle Anerkennung des Berufs. Obwohl diese Beschäftigten extremen Belastungen und hohem Arbeitstempo ausgesetzt sind und über umfangreiches Kulturwissen und hohe Sprachkompetenz verfügen müssen, werden sie oft nur mit dem Mindestlohn entlohnt. Der Beruf des „Internet Cleaners“ hat einen schlechten Ruf, während die Social-Media-Konzerne hohe Gewinne einfahren und Millionen von Nutzern täglich ihre Produkte nutzen.
Im Ergebnis verdeutlichte die Anhörung die drängenden Probleme und Missstände, mit denen Content Moderator*innen konfrontiert sind. Sie werfen ein Schlaglicht auf die Notwendigkeit von Maßnahmen und gesetzlichen Regelungen, um ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern und ihre Rechte zu stärken.
In Bezug auf politische Forderungen wurde während der Anhörung ein Stopp der Outsourcing-Mentalität gefordert. Die Arbeitsbedingungen in den ausgelagerten Unternehmen sind deutlich schlechter als bei Beschäftigten mit direkten Arbeitsverträgen wie beispielsweise bei TikTok Germany. Die Social-Media-Konzerne sollten stärker in die Verantwortung genommen werden, da sie teilweise den Outsourcing-Unternehmen die sehr schlechten Arbeitsbedingungen, hohe und stressige Arbeitsanforderungen, wenig Pausen und Leistungskontrollen über Performance Reviews vorgeben, ohne selbst dafür einzustehen. Die Anerkennung des Berufs und seiner Belastungen sowie das Recht, grundsätzlich über die Arbeitsbedingungen sprechen zu dürfen, werden ebenfalls als wichtige Forderungen an die Politik genannt.
Der Gewerkschaftsgipfel, der Anfang März dieses Jahres in Zusammenarbeit mit ver.di, Foxglove London, Superrr Berlin und Aspiration USA stattfand, diente als Ausgangspunkt für die Debatte. Die Veranstaltung führte zu einem deutschlandweiten Content Moderators Summit, bei dem über 50 Moderatorinnen aus verschiedenen Unternehmen zusammenkamen, um gemeinsam ein Manifesto zu entwickeln.
Von Rita Schuhmacher