Behindertenhilfe

Körperkontakt ist oft unerlässlich

Arbeiten in Zeiten von Corona
14.04.2020

Die Bundesvorsitzende der Lebenshilfe, Ulla Schmidt, hatte sich Ende März erleichtert gezeigt, als die Bundesregierung auch für die Behindertenhilfe ein milliardenschweres Hilfspaket verabschiedet hatte. „Ich mag mir gar nicht vorstellen, welche schlimmen Folgen es für Menschen mit Behinderung und ihre Familien hätte, wenn Lebenshilfe-Angebote wie die derzeit wegen Corona geschlossenen Kitas, Frühförderstellen, familienunterstützende Dienste oder auch Werkstätten Insolvenz anmelden müssten“, sagte Schmidt, SPD-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Bundesgesundheitsministerin seinerzeit.

Dennoch ist gerade in der Behindertenhilfe die Arbeit durch das Corona-Virus erschwert. Körperkontakt ist in der Betreuung von Menschen mit Behinderungen oft unerlässlich, doch auf Schutzkleidung und Masken der Pflege- und Betreuungskräfte reagieren die zu Betreuenden oft verstört oder verängstigt. Und trotz aller Schutzmaßnahmen sind inzwischen auch in einigen Behinderteneinrichtungen die ersten Covid-19-Fälle aufgetreten, so allein bis Ostern in 23 Einrichtungen der Behindertenhilfe im Kreis Reutlingen.

 
Auch die Kitas in der Behindertenhilfe sind derzeit geschlossen


Die Personaldecke wird langsam knapp

 
Irena Rudolph-Kokot , 46, ist freigestellte Personalratsvorsitzende beim Städtischer Eigenbetrieb Behindertenhilfe in Leipzig

14. April 2020 – Der Städtische Eigenbetrieb Behindertenhilfe in Leipzig hat 600 Beschäftigte. Zum Betrieb gehören Wohnstätten und -heime, ambulante Einrichtungen für Behinderte, aber auch Kitas und Jugendwohngruppen. Die momentane Situation erfordert vor allem logistisches Geschick und kühlen Kopf, um die personellen Anforderungen in allen Einrichtungen zu sichern.

Der Personalrat der Städtischen Behindertenhilfe hat sich bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen für die Beschäftigten aktiv eingebracht und mit dem Arbeitgeber Vereinbarungen für die Corona-Krise getroffen. „Die Grundsätze unseres Handelns sind, dass geänderte Arbeitszeiten bei den Einsätzen auf Freiwilligkeit beruhen und dass für die Kolleginnen und Kollegen keine Minusstunden zum Ende dieser Krisenzeit oder andere Nachteile entstehen“, sagt Irena Rudolph-Kokot.

Weil – abgesehen von einer Notbetreuung – alle Kitas derzeit geschlossen sind, wurden die Erzieher*innen und Heilpädagog*innen auf andere Einrichtungen verteilt. „Täglich werden die konkreten Einsätze an uns gemeldet. Das ist aufwändig für die Personalabteilung, aber nur so können wir kontrollieren, wer wo arbeitet und ob etwa Zuschläge zu zahlen sind. Das ist auch für uns ein Mehraufwand, aber damit können wir absichern, dass die Arbeitsbedingungen für unsere Beschäftigten in Ordnung sind“, sagt die erfahrene Personalrätin.

 

„Besonders eng ist es im Pflegebereich, aber gerade da halten die Kolleginnen und Kollegen bewundernswert durch. Das kann man gar nicht genug wertschätzen.“

Es wurde ein Krisenteam aufgestellt, um im Quarantänefall den Betrieb der betroffenen Einrichtung – natürlich mit besonderen Hygienestandards und ausgestattet mit Schutzkleidung – abzusichern. Mitglieder des Krisenteams werden in ihrer jeweiligen Profession eingesetzt – zum Beispiel Erzieher*innen aus der Kita in der Kinder- und Jugendhilfe oder Heilpädagog*innen in den Wohnstätten für Menschen mit Behinderungen. Bislang war noch kein qualifikationsübergreifender Einsatz notwendig, aber die Personaldecke wird langsam knapp, sagt Irena. Beschäftigte, die aus dem Urlaub in Corona-Gebieten zurückkamen, wurden vorsorglich in Quarantäne geschickt. Rund zehn Prozent der Belegschaft fehlten dadurch. „Besonders eng ist es im Pflegebereich, aber gerade da halten die Kolleginnen und Kollegen bewundernswert durch. Das kann man gar nicht genug wertschätzen“, so Irena.

Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen ist die Unsicherheit unter der Belegschaft groß, es gibt Beratungsbedarf und viele Fragen laufen auf: Sind Menschen aus dem Umfeld von Beschäftigten oder Betreuten krank geworden? Wie verhalte ich mich? Sollte ich mich testen lassen? „Hier würden wir uns klarere und striktere Vorgaben des städtischen Gesundheitsamtes wünschen“, sagt Irena. „Es sollte definiert sein, welche Risikogruppen wir sofort aus dem Dienst nehmen müssen, oder dass Tests für unsere Kolleg*innen generell auch bei Zweitkontakten verpflichtend werden. Wir geraten derzeit täglich in eine Zwickmühle. Denn wir haben eine Fürsorgepflicht gegenüber den Beschäftigten – aber ohne klare Festlegung des Gesundheitsamts können wir nicht handeln.“

Text: Gundula Lasch