Berlin, 14.11.2022 – Lena-Marie Snelting ist 29 Jahre alt und Auszubildende zur Pflegefachfrau, eine von rund 56.300 Auszubildenden. Obwohl in den zurückliegenden zwei Jahren sehr viel über die zu hohen Belastungen in der Pflege geschrieben und geredet worden ist, zehntausende Beschäftigte für Entlastung und bessere Arbeitsbedingungen gestreikt haben, sind die Ausbildungszahlen in der Pflege zuletzt um 5 Prozent gestiegen. Der aktuelle ver.di-Ausbildungsreport Pflegeberufe zeigt allerdings mit teils erschreckenden Zahlen, woran es in der Pflegeausbildung mangelt. So berichten über 43 Prozent der befragten Auszubildenden, selten oder nie von Praxisanleiterinnen oder Praxisanleitern an ihre beruflichen Aufgaben herangeführt zu werden. Über 58 Prozent sagen, dass sie immer oder häufig Probleme haben, sich in ihrer Freizeit zu erholen – das sind mehr als doppelt so viele gegenüber der letzten Befragung im Jahr 2015, damals lag der Wert bei rund 26 Prozent.
Wie der Arbeitsalltag einer Auszubildenden aussieht, beschreibt Lena-Marie Snelting in der ver.di-Mitgliederzeitung publik. Ihre Ausbildung hat Snelting 2020 mitten in der Corona-Pandemie begonnen. Abenteuerlich sei das gewesen. Ihren ersten Einsatz hatte sie in der Tumorchirurgie, ihre Aufgaben waren von Beginn an vielfältig. „Ich verabreiche in der Ausbildung Medikamente, pflege Wunden, nehme Blut ab, setze Thrombosespritzen und wechsle Verbände, um ein paar Beispiele zu nennen“, sagt sie. Und nicht immer steht ihr dabei eine Fachkraft zur Seite.
Anlässlich der heutigen Veröffentlichung des zweiten Berichts zur Ausbildungsoffensive Pflege fordert ver.di deshalb entschiedene Maßnahmen, um die Pflegeausbildung zu verbessern. „Es reicht nicht, einen Mindestumfang für Praxisanleitung ins Gesetz zu schreiben – er muss auch umgesetzt werden. Wo das nicht der Fall ist, müssen Ausbildungsbetriebe mit Sanktionen belegt werden“, sagt ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler. Sie fordert zudem eine weitere Stärkung der Praxisanleitung durch die Erhöhung des im Pflegeberufegesetz festgeschriebenen Anteils auf mindestens 20 Prozent.
Anders als in der beruflichen Pflegeausbildung bliebe zudem die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber in den neuen Pflegestudiengängen bisher deutlich hinter den Erwartungen zurück. „Die Gründe für das mangelnde Interesse liegen auf der Hand“, sagt Bühler. Im Pflegestudium fehle es an guten Bedingungen und Perspektiven. Da müsse dringend nachgebessert werden – „am besten im Rahmen eines dualen Studiums mit betrieblicher Anbindung, angemessener Vergütung und verbindlichen Qualitätsstandards“, so die Gewerkschafterin.
Zudem brauche es überzeugende Antworten, wie sich die Tätigkeitsfelder von hochschulisch und beruflich qualifizierten Pflegefachpersonen unterscheiden. Hochkomplexe Pflegeprozesse, wie derzeit im Pflegeberufegesetz angelegt, seien als Unterscheidungsmerkmal nicht geeignet. Alle Pflegefachpersonen müssten in die Lage versetzt werden, Patientinnen und Patienten mit hochkomplexen Pflegebedarfen zu versorgen. „Für eine gute Pflege braucht es gute Ausbildungs-, Studien- und Arbeitsbedingungen“, sagt Bühler. Und der Gesetzgeber müsse hierfür den Rahmen schaffen.
Lena-Marie Snelting bereut bis heute nicht, in die Pflege gegangen zu sein. „Die Entscheidung für die Ausbildung zur Pflegefachfrau würde ich immer wieder so treffen, obwohl bei uns oft Zeitdruck herrscht.“ Viele würden deshalb aber den Beruf wieder aufgeben. Anfangs waren sie in ihrem Jahrgang 30 Auszubildende, nur 20 sind noch dabei. „Ich finde, der Pflegeberuf verkauft sich unter Wert. Die Pflege bräuchte mehr positive Außenwerbung“, sagt die Auszubildende Snelting. Und Entlastung.
Mehr Infos und Link zum Ausbildungsreport Pflegeberufe: Pflegeausbildung gefragt, aber belastend
Was Lena-Marie Snelting noch zu ihrer Ausbildung zu sagen hat, steht hier.
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