Sommer auf dem Balkon
Arbeiten in Zeiten von CoronaEs ist ruhig am Himmel geworden. Kaum ein Flugzeug ist dort mehr zu sehen, keine Kondenzstreifen. Fernreisebusse stehen still, Hotels leer. Zwar hängen noch rund 300.000 Deutsche im Ausland fest und warten darauf, zurückgeholt zu werden. Doch Reiseunternehmen organisieren das nur noch bedingt. Reiseveranstalter und Reisebüros sind weitestgehend nur noch damit beschäftigt, schon gebuchte Reisen zu stornieren, weil niemand mehr reisen darf. Und obwohl die Reiseverkehrskaufleute momentan noch alle Hände voll zu tun haben, schicken die großen Touristikkonzerne ihre Beschäftigten längst in die Kurzarbeit. Und das gleich für einige Monate. Denn so schnell wird auch niemand wieder reisen dürfen.
Viele kleine Reisebüros, die es in den vergangenen Jahren durch zunehmende Onlinebuchungen ohnehin schwer hatten, zu überleben, werden diese Krise möglicherweise nicht überstehen. Den Sommer werden die allermeisten Menschen auf dem Balkon verbringen, im Garten oder vielleicht auch wieder im Park, im Wald, an einem See oder gar an der See. Denn selbst wenn sich das Coronavirus wider Erwarten abschwächen, sich ein Medikament oder Impfstoff dagegen finden sollte, werden die Millionen Menschen, die jetzt mit ihrem Kurzarbeitergeld vielleicht gerade so durchs Leben kommen, so bald kein Geld auf der Kante haben, um an einen Urlaub denken zu können. Urlaubsgeld bekommt in Deutschland zudem nur knapp die Hälfte aller Beschäftigten. Das alles wird die Branche langfristig belasten.
Kurzarbeit heißt nicht, dass es nichts zu tun gibt
14. April 2020 – „In unserer Zentrale in Hannover arbeiten derzeit pro Tag noch rund 50 Leute, normalerweise sind es 1.500. 98 Prozent unserer Beschäftigten sind mittlerweile im Home Office. Hinzu kommt, dass bei uns seit dem 1. April Kurzarbeit gilt. Die Arbeitszeit wurde über das gesamte Unternehmen hinweg auf 40 Prozent reduziert, allerdings wird in jedem einzelnen Bereich geschaut, wie viel Arbeitszeit tatsächlich notwendig ist. Bereits am 15. März hat das gesamte Unternehmen einen großen Teil der operativen Geschäftstätigkeit ausgesetzt. Die Kurzarbeit ist erst mal bis zum 30. September 2020 beantragt. Gesamtbetriebsrat und örtlicher Betriebsrat schauen jeden Monat, wie sich die Situation entwickelt. Kurzarbeit heißt nicht, dass es nichts zu tun gibt. Besonders in den kundennahen Bereichen ist viel los. Anfangs mussten alle Gäste aus den Zielgebieten zurückgeholt werden.
„Als Reiseveranstalter sind wir darauf angewiesen, wie sich die Situation jeweils in den einzelnen Zielländern entwickelt, ob das Reisen dorthin ohne Gefahren wieder möglich ist.“
Nachdem wir dann immer mehr Reisen absagen mussten, ging es um Stornierungen und Umbuchungen. Parallel arbeiten wir daran die Saison 2021 buchbar zu machen, um unseren Kund*innen die Möglichkeit zu Umbuchungen bzw. Neubuchungen zu geben. Ein erstes Grundangebot, welches sich ständig erweitert, ist bereits freigegeben. Der Buchungseingang macht uns Hoffnung, dass es nach der Krise weitergeht. Als Reiseveranstalter sind wir aber auch darauf angewiesen, wie sich die Situation jeweils in den einzelnen Zielländern entwickelt, ob das Reisen dorthin ohne Gefahren wieder möglich ist.
Für die Fragen der Beschäftigten sind wir als Betriebsrat/Gesamtbetriebsrat per E-Mail und telefonisch immer erreichbar. Zum Glück haben wir 2019 bei der TUI ein neues Office-System eingeführt. Das erleichtert uns die Arbeit derzeit sehr, denn es bietet unter anderem die Möglichkeit zu Videokonferenzen. Die Krise beweist uns, dass Home Office in vielen Bereichen möglich ist. Jetzt hoffen wir als örtlicher Betriebsrat, nach der Krise zu einer vernünftigen Regelung zu kommen. Bereits 2019, also vor der Krise, hatte die TUI Personalabbau angekündigt, die Verhandlungen dazu laufen auch in der Krise weiter. Offen ist, ob es bei dem ursprünglich genannten Abbaupotenzial bleibt, oder sich die Maßnahmen durch die Krise noch verschärfen.“
Das Geschäft für die kommenden Wochen ist schon mal zerstört
3. April 2020 – „Am 27. März hat DER Touristik angekündigt, vom 1. April bis zum 30. September 2020 Kurzarbeit zu beantragen. Alle Reisen bis zum 30. April wurden erst einmal abgesagt. Corona ist ein SuperGAU für uns, denn Reisen ist vorerst nicht wirklich möglich. Die Arbeitszeit wird bei uns auf bis zu 20 Prozent reduziert, das Kurzarbeitergeld beträgt nach derzeitigem Stand 60 Prozent. Viele unserer ca.1.800 Beschäftigten sind verunsichert, aber froh dass es nicht zu betriebsbedingten Kündigungen kommt.
Bei einem Einstiegsgehalt von etwa 2.100 Euro wird mit Kurzarbeitergeld die finanzielle Lage oftmals schwierig. Gerade Teilzeitbeschäftigte oder Alleinerziehende sind besonders betroffen. Allerdings haben wir als Betriebsrat mit dem Arbeitgeber einen Fond für solche Härtefälle ausgehandelt. Auch wir Betriebsratsmitglieder reduzieren unsere Arbeit auf 80 Prozent. Wir haben zwar mehr als genug zu tun, wollen aber einen Solidarbeitrag leisten. Auch die Geschäftsführung hat angekündigt, auf Teile der Bezüge zu verzichten.
90 Prozent der Beschäftigten arbeiten mittlerweile im Homeoffice. In Bereichen wie im Communication-Center wäre das auch nicht anders möglich, denn da sitzen die Beschäftigten sonst recht eng beieinander. Die Gefahr einer Infektion mit dem Corona-Virus wäre dort besonders groß, obwohl im Haus schon früh mit der Desinfektion und anderen Maßnahmen begonnen wurde.
„Wenn ich allein die Berge von Stornos sehe. Die müssen jetzt bearbeitet werden, das zieht einen Rattenschwanz an Arbeit nach sich.“
Die Arbeit zu Hause birgt die Gefahr von großer Belastung, denn trotz Kurzarbeit haben die Kolleg*innen genug zu tun. Wenn ich allein die Berge von Stornos sehe. Die müssen jetzt bearbeitet werden, das zieht einen Rattenschwanz an Arbeit nach sich. Im Homeoffice trägt jeder zu Hause seine Stunden selbst ein. Da wird in manchen Bereichen eventuell mehr gearbeitet, als die Kurzarbeit hergibt. Es gibt aus dem Personalbereich aber die klare Aussage, dass keine Mehrarbeit erbracht bzw. notiert werden darf. Und wir als Betriebsrat können nicht immer sofort eingreifen. Hier vor Ort ist die Kommunikation ganz anders, da bekommen wir viel mehr direkt mit, beispielsweise in persönlichen Gesprächen in der Mittagspause.
Wie es in der Branche weitergehen soll, ist zurzeit ein großes Fragezeichen. Das Geschäft für die kommenden Wochen ist schon mal zerstört, für Reisen, die wir nicht anbieten können, müssen wir das Geld zurückzahlen. Eventuell sind auch Gutscheinlösungen denkbar. Aber wie geht es weiter? Eigentlich würde jetzt die Vorbereitung für die Wintersaison beginnen, doch daran ist gerade nicht zu denken. Wir gehören zur Rewe-Gruppe, und damit zu einem starken Konzern. Aber ich fürchte, dass Corona in der Branche für massive Verwerfungen sorgen wird, nicht nur bei den Veranstaltern sondern auch bei Hotels und Fluggesellschaften.“
Knapp 400 Strandkörbe werden jetzt gereinigt und gestrichen
2. April 2020 – Normalerweise nimmt die Saison an der Ostsee jetzt so richtig Fahrt auf. Das Ostseebad Eckernförde ist über Ostern voll mit Gästen – im Normalfall. Doch die schleswig-holsteinische Landesregierung hat – als erste bundesweit – bereits Mitte März dem Tourismus im Land zwischen den Meeren einen Riegel vorgeschoben, vorerst bis zum 19. April.
Für Julia Scherer und ihre Kolleg*innen von der Eckernförde Touristik und Marketing GmbH bedeutete das erst mal Absagen. Gäste, die bereits in Eckernförde waren, mussten abreisen; denjenigen, die anreisen wollten, musste abgesagt werden. „Die meisten Gäste waren superverständnisvoll“, sagt Julia Scherer. Schließlich könne ja niemand etwas dafür. Sie bekommen ihr Geld zurück, einige haben ihre geplanten Reisen in das Ostseebad umgebucht. Schwieriger könne es für die Vermieter*innen werden, denn sie haben zur Zeit keine Einnahmen, ebenso wie Hotels und Restaurants. Für die Eckernförde Touristik und Marketing GmbH bedeutet der Reisestopp auch den Verlust an Provisionen für die Vermittlung von Unterkünften und der Einnahmen durch die Kurtaxe. Die Souvenirs liegen unangetastet in den Regalen der Tourist-Info, Stadtführungen fallen aus.
Weniger Arbeit für die Beschäftigten gebe es durch die ausbleibenden Tourist*innen allerdings nicht. Die ohnehin vorgesehene Umstellung auf den Online-Meldeschein mit dazugehörigem Systemwechsel macht noch viel Arbeit. „Wir erledigen jetzt auch viele Sachen, die im Laufe der Zeit liegen geblieben sind“, sagt Scherer. Außerdem bereite man sich auf den Zeitpunkt vor, an dem die Gäste wieder kommen dürfen, auch wenn im Moment noch niemand sicher weiß, ob das schon ab dem 20. April so weit sein wird. Derzeit werden knapp 400 Strandkörbe gereinigt und gestrichen, aber sie werden noch nicht an dem vier Kilometer langen Sandstrand aufgestellt. Ansprechpartnerin ist die Tourist-Info auch für die Gastgeber*innen im Ort mit ihren Problemen in dieser ungewöhnlichen Situation.
Erste Veranstaltungen wurden bereits abgesagt oder verschoben. Zum Beispiel die Kieler Woche: Statt im Juni findet diese jetzt im September statt. Zu deren Auftakt segeln rund 200 Jachten beim Welcome Race mit Aalregatta von Kiel nach Eckernförde und zurück. Ob sie und damit auch die Festmeile mit dem entsprechenden Programm und Live-Musik in dem Ostseebad auch verschoben werden können, wird derzeit in Eckernförde geprüft.
Derzeit sei es in der Stadt sehr ruhig, sagt Julia Scherer, die Straßen seien leer – nur mehr Fahrradfahrer sind unterwegs als sonst. Der traditionelle Fischmarkt am ersten Sonntag im Monat wurde verschoben, in dem Apartmenthaus der Stadt wohnen nur wenige Monteure und Gäste des Marinestützpunkts. Um den heimischen Handel zu unterstützen, hat die Tourist-Info eine Liste mit lokalen Läden erarbeitet, die ihre Waren online versenden.
Texte: Heike Langenberg